Einheitsgewerkschaft Vergangene Woche hat es den Gewerkschaften gereicht. Sie hatten sich in den ersten Corona-Wochen brav zurückgehalten, die bittere Pille der 60-Stunden-Woche im Ausnahmezustand geschluckt und auch sonst keine Kritik an der Regierungspolitik geäußert – jedenfalls nicht öffentlich. Aber sie merkten, dass es dafür kein Dankeschön geben würde. Und Staatsminister Xavier Bettel (DP) sie nicht einfach wieder zu Tisch bitten würde. Vielmehr sahen die Gewerkschaften, dass die Dreierkoalition die Welt nach Corona mit Expertengruppen und sogenannten Task Forces plante, in denen sie keine Rolle spielten. Sie sahen sich im Abseits.
Also warfen die drei größten Gewerkschaften OGBL, LCGB und CGFP ihre gegenseitigen Ressentiments über Bord und organsierten sich. In einem Schreiben mit dem anklagenden Ton „Was nun, Herr Staatsminister?“ hoben die Arbeitnehmerorganisationen Ansprüche auf Mitbestimmung, forderten die Einberufung einer nationalen Tripartite und erinnerten die DP-LSAP-Grüne-Koalition an die Kultur des Luxemburger Sozialdialogs. Das zeigte Wirkung: Nur zwei Tage nach ihrem muskulösen Auftreten gab es eine Einladung der Regierung nach Senningen – zwar noch nicht für eine Tripartite, aber immerhin für Zweiergespräche.
Mythos Dreierrunde Die nationale Tripartite hat sich als Kriseninstrument tief in die politische Kultur des Landes eingeprägt. Wenn es ernst wurde, zogen sich die Mächtigen des Landes seit Dezember 1977 in das Hôtel Saint-Maximin zurück, um die Dinge unter sich zu regeln. Dutzende Männer drängten sich Schulter an Schulter an einen langen Tisch. In der Mitte saß der Staatsminister mit seiner Regierung. Ihm gegenüber Gewerkschaftsfunktionäre und Arbeitgeberbosse. Und an den Rändern die jeweiligen Lakaien. Sie rauchten, tranken Kaffee und schwitzten. Was in diesem Raum geschah und gesagt wurde, blieb in diesem Raum. Aber am Ende trat der Staatsminister vor die Presse und verkündete, man habe nach zähem Ringen und Verhandeln sich im Konsens einigen können.
Doch den einstigen Raum im Hôtel Saint-Maximin gibt es nicht mehr. Und seit dem letzten Scheitern der großen Tripartite im Jahre 2011 gilt dieses Modell für viele als passé, selbst wenn das Gesetz dazu noch in Kraft ist. Arbeitgeberverbände, die schon bei der ersten Tripartite-Runde unter DP-Staatsminister Gaston Thorn skeptisch gegenüber den direkten Verhandlungsgesprächen mit Gewerkschaften und Regierung waren, haben diese Vorbehalte nie abgelegt. Im vergangenen Jahr sorgte UEL-Präsident Nicolas Buck für viel Aufregung, als er gegen das Tripartite-System wetterte und eine neue Methode forderte: Er will die Macht der Dreiergremien stutzen und aus ihnen beratende Gremien machen, in denen nur geredet, aber nicht verhandelt wird. Mit anderen Worten: zahnlose Tiger.
Buck rückt auch in der aktuellen Krise nicht von dieser Auffassung ab. „Es gibt dieses melancholische Verlangen, die sogenannten forces vives der Nation müssten uns nun alle retten“, sagt Buck im Gespräch mit dem Land. Das sei jedoch ein Trugbild, eine paternalistische Politikvorstellung, die nicht dem Jahr 2020 entspreche. Die klassische Tripartite habe für ihn als Entscheidungsgremium ausgedient. Buck erhielt für seinen aggressiven Angriff auf die Kultur des Luxemburger Sozialmodells im vergangenen Jahr viel Kritik. Aber die Arbeitgeberverbände stehen insgeheim hinter ihm.
Trilog statt Tripartite Luc Frieden ist ebenfalls kein Fan einer nationalen Tripartite. Der Präsident der Handelskammer war als CSV-Finanzminister an mehreren Dreierverhandlungen beteiligt, hat jedoch keine guten Erinnerungen an die letzten Runden im Saint-Maximin. Sein restriktiver Haushaltsplan wurde 2011 zerrissen, die Gespräche scheiterten. „Ich habe sowohl erfolgreiche als auch nicht-erfolgreiche Tripartiten mitgemacht“, sagt Frieden. „Aber ich war eigentlich immer der Überzeugung, dass politische Entscheidungen vom Parlament oder der Regierung getroffen werden müssen und nicht am Tripartite-Verhandlungstisch.“ Es ist eine Kritik, die der Staatsrat bereits im Dezember 1977 äußerte: Die Körperschaft hielt den Tripartite-Ausschuss für verfassungsrechtlich bedenklich.
Für Frieden scheitert das Modell der Dreierverhandlungen heute an der „Mediatisierung der Gespräche“: Jede Seite gehe mit Maximalforderungen in die Verhandlungen, die kurz vor Beginn der Presse mitgeteilt werden. In einem viel zu engen Raum mit überhitzten Gemütern sei vor diesem Hintergrund keine Kompromissfindung mehr möglich, ohne dass jemand das Gesicht verliere. Das klingt, als müssten die Verhandlungen zwangsweise an ihrer Form scheitern. Allerdings funktionieren viele demokratische Entscheidungsprozesse exakt nach diesem Modell des institutionalisierten Streits: Koalitionsverhandlungen nach Wahlen oder auch Sitzungen des Ministerrats der Europäischen Union laufen in ähnlicher Form ab.
Das Patronat hat jedoch in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass es sich eigentlich als Verlierer nach den Gesprächen fühlte. Index, Mindestlohnerhöhung und sonstige soziale Errungenschaften sind oftmals das Ergebnis langer Verhandlungsrunden der Tripartite gewesen. Das war für die Arbeitgeberseite ärgerlich, garantierte aber den sozialen Frieden und zementierte den Ruf der Luxemburger Konsensdemokratie ohne ausgeprägte Protestkultur. Auch Frieden sagt, dass er den Sozialdialog nicht abschaffen will: „Politische Stabilität ist auch in unserem Interesse.“ Aber er will ähnlich wie Buck eine Tripartite light. Keine langen Diskussionen, in denen es um Verteilungsfragen wie etwa das Kindergeld geht. Sondern eine Plattform, bei der große Themen „im Trilog“ debattiert werden. Etwa über Digitalisierung oder Globalisierung. Brainstormen, ohne Entscheidungen zu treffen. Kurz: ein Gespräch bei Kaffee und Kuchen.
Warten auf Bettel Gerade das hat Staatsminister Bettel in der Vergangenheit stets ausgeschlossen. Bereits 2015 sagte er in einem Interview mit dem Luxemburger Wort, dass der Sinn der Tripartite nicht sei, „bei Kaffee und Kuchen zusammenzusitzen“, sondern „Beschlüsse zu fassen“. Vergangene Woche wiederholte er diesen Satz in Senningen. Doch dem Wunsch der Gewerkschaften, den Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP) bereits im März in Aussicht stellte, kam Bettel nicht entgegen. Er spielte auf Zeit, erklärte den Gewerkschaften lapidar, dass die genauen Zahlen für die Einberufung einer nationalen Tripartite noch nicht vorliegen würden – er zunächst noch Absprache mit der Europäischen Kommission in Brüssel nehmen müsste. „Ich glaube, die Regierung will eine Tripartite vermeiden“, sagte OGBL-Präsidentin Nora Back zu Beginn der Woche dem Land. Auch LCGB-Präsident Dury zeigt sich über die Zurückhaltung der Regierung enttäuscht.
Für beide Gewerkschaftsbosse geht es jedoch darum, nicht ausgespielt zu werden. Eine handlungsfähige Tripartite hat für beide absolute Priorität. Nur so könne das Interesse der Beschäftigten vertreten werden, nur so verhindere man, dass die Dreierkoalition zur Defizitbekämpfung nicht wie 2014 auf die Idee kommt, einen Austeritätskurs zu fahren, bei dem die Kosten der Krisenmaßnahmen vergemeinschaftet und auf die Arbeitnehmer abgedrückt werden. Deshalb drohen sie notfalls mit dem Äußersten, um die Einberufung einer Tripartite durch den Druck der Straße zu erzwingen. Xavier Bettel hat zwar augenscheinlich keine Lust, sich mit den Gewerkschaften und Lobbyorganisationen herumzuplagen, aber er hat sicher auch kein Interesse an einer öffentlichen Konfrontation in Krisenzeiten. Dass Bettel als Staatsminister nicht über die Eigenschaften verfüge, um eine Tripartite zu leiten, verneinen übrigens sowohl Arbeitgeber- wie Arbeiternehmervertreter. „Jeder Staatsminister kann eine Tripartite leiten“, so Frieden. Immerhin gab es vom Premierminister ein neues Datum: Am 10. Juni sollen sich die Gewerkschaften erneut mit der Regierung treffen. Ob für Tripartite- oder Bipartite-Gespräche, wird sich zeigen.