LEITARTIKEL

200 Euro schon jetzt

d'Lëtzebuerger Land vom 28.10.2022

Am 1. Januar 2021 wurde die CO2-Steuer auf fossile Brennstoffe eingeführt: 20 Euro pro Tonne „CO2-Äquivalent“ waren das damals. Dadurch stiegen die Akzisen pro Liter 95-er Benzin um 4,3 Cent, pro Liter 98-er Benzin und Diesel um 4,6 Cent. Pro Liter Heizöl nahmen sie um fünf Cent zu. Auf Erdgas, das bis dahin frei von Verbrauchssteuern war und dessen Endpreis hierzulande deshalb zu den niedrigsten in der EU gehörte, wurden vier Euro pro Megawattstunde erhoben. Wobei ein typischer Vierpersonenhaushalt, der Gas nutzt, zwölf bis 14 Megawattstunden pro Jahr verbraucht. So dass für ihn die Steuerlast um monatlich vier bis 4,67 Euro wuchs.

Stellt man sich einen Moment lang vor, dass die Steuer nicht mit 20 Euro, sondern 200 Euro pro CO2-Tonne eingeführt worden wäre, hätten die Akzisen auf den Liter Benzin, Diesel und Heizöl um das Zehnfache zugenommen und der typische Gas verbrauchende Vierpersonenhaushalt monatliche Gasakzisen von 40 bis 47 Euro ertragen müssen. Weil nach den Akzisen noch die Mehrwertsteuer kommt, wären die Endpreise, je nach Brennstoff, um weitere acht (für Gas) bis 17 Prozent (für Benzin und Diesel) höher geworden. Das hätte jenem Szenario entsprochen, das der Klimabiergerrot in einem seiner 56 Vorschläge umzusetzen empfiehlt, damit Luxemburg es tatsächlich schafft, bis zum Jahr 2030 seine Treibhausgasbilanz um 55 Prozent zu verbessern und bis 2050 „klimaneutral“ zu werden.

Natürlich erscheint diese Idee extrem. Zumal jetzt. Denn es ist keine sechs Wochen her, dass die Tripartite beschloss, mit einem Milliardenaufwand an Steuermitteln die Strom- und die Gaspreise für Haushalte und ganz kleine Betriebe, die ebenfalls als Haushaltskunden gelten, zu deckeln. Damit hoffentlich die Inflation sich nächstes Jahr in jenen Grenzen hält, die das Statec im September ausgerechnet hat.

Doch ein Blick auf die Preisentwicklung der letzten zwei Jahre zeigt: Die Energieknappheit wegen des Post-Covid-Booms und des Wirtschaftskriegs zwischen der EU und Russland hat vielleicht sogar mehr besorgt als die CO2-Steuer, die der Biergerrot sie sich vorstellt. Gut abzulesen ist das an den Ölprodukten. Anfang Juni, als die Benzinpreise besonders hoch waren, kostete ein Liter 95-er vor der Mehrwerststeuer 81 Cent mehr als Ende 2020 vor Einführung der ersten Runde CO2-Steuer. Der Liter 98-er Benzin kostete 96 Cent mehr. Als Mitte Oktober die Preise für Diesel und Heizöl ihre vorläufige Rekordhöhe erreichten, lagen sie für Ersteres 93 Cent über dem Stand von Ende 2020, für Letzteres 90 Cent. Salopp ausgedrückt, haben die weltpolitische und weltwirtschaftliche Entwicklung zeitweilig besorgt, wozu in Luxemburg 400 oder 450 Euro Steuer pro CO2-Tonne geführt hätten. Würde man den Durchschnitt über die Preise dieses Jahres bilden, käme wahrscheinlich heraus, dass in ihnen die 200 Euro schon stecken.

Die interessante Frage lautet, was klimapolitisch daraus folgen soll. Natürlich ist sie nicht leicht zu beantworten. Denn sie hat den Aspekt soziale Gerechtigkeit. Den Aspekt energieintensive Wirtschaftsbranchen. Den Luxemburg-spezifischen des Index-Warenkorbs. Richtig ist auch, dass Klimapolitik nicht nur mit Preisen und Steuern zu tun haben kann, und dass es etwas anderes ist, nationale Politik zu definieren, als auf eine Situation zu reagieren, mit der alle EU-Staaten ringen. Mit dem für die Staatskasse einträglichen Tanktourismus wäre natürlich Schluss, wenn nur hierzulande eine besonders hohe CO2-Steuer gälte.

Trotzdem liegt in der Aufregung um Energiemärkte, Tripartiten, Deckelungen, Rabatte und den Index die Chance, eine längerfristige Politik abzuleiten. Bei der Debatte am Dienstag in der Abgeordnetenkammer zu den 56 Ideen des Klimabiergerrot wurde diese Chance nicht ergriffen. Je nach Fraktion wurde entweder vermieden, auf die CO2-Steueridee einzugehen, oder sie wurde bald freundlich, bald ängstlich zurückgewiesen. Anklang fanden vor allem jene Vorschläge, denen zuzustimmen, politisch nicht viel kostet. Die Sache ist nur die, dass Luxemburg vergangenes Jahr nur knapp die „Trajektorie“ hin zu 55 Prozent weniger CO2 bis 2030 einhielt. Eigentlich hatte die Regierung die Kammer am Dienstag zu weiter reichenden Maßnahmen „konsultieren“ wollen. Wie zuvor den Biergerrot. Doch guter Rat ist offenbar teuer.

Peter Feist
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