Urbane Landschaften verwandeln sich während Hitzewellen in Steinsaunen. Wie kann Luxemburg-Stadt in Zeiten des Klimawandels lebbar bleiben?

Alerte Rouge

d'Lëtzebuerger Land vom 15.07.2022

Vergangenen Mittwoch wurde für den Süden des Landes eine alerte jaune ausgesprochen, nicht zum ersten Mal diesen Sommer, Mitte Juni war die Hitzewarnung rot – und mit großer Wahrscheinlichkeit wird das die kommenden Wochen noch öfter vorkommen. Temperaturen über 30 Grad werden zur Norm – Kinder, die 2020 geboren wurden, werden vier bis sieben Mal öfter extreme Hitzewellen erleben als die Boomer-Generation. Rezente Forschungsergebnisse zeigen, dass Westeuropa in den letzten vier Jahrzehnten zu einem Hotspot für solche Hitzewellen geworden ist, sie ereignen sich öfter und sind intensiver. Gleichzeitig lebten 2021 etwa 57 Prozent der Gesamtbevölkerung der Welt in Städten und städtischen Gebieten, bis 2050 sollen es 66 Prozent sein. Die Frage nach lebbaren urbanen Regionen stellt sich demnach dringlicher denn je.

Die Klimakarte Luxemburgs, die im Rahmen des Klimaanalyseberichts der Umweltverwaltung in Zusammenarbeit mit dem LIST erstellt wurde, spricht Bände. Sie zeigt die sogenannten Wärmeinseln, die den Temperaturunterschied zwischen Stadt und Umland angeben, auf. Die dunkelroten Inseln deuten auf eine Lufttemperatur von mehr als 20 Grad in zwei Metern Höhe und auf eine „sehr ungünstige bioklimatische Situation“ hin. Das obere Drittel des Landes ist quasi Wärmeinsel-frei, die roten und dunkelroten Regionen beschränken sich auf eine Handvoll Orte.

In Luxemburg-Stadt sind es die Place Guillaume, das Garer Quartier, Bonneweg, die Avenue Pasteur und das Areal um den Flughafen. An diesen Orten gibt es eine „hohe bis sehr hohe Empfindlichkeit gegenüber Nutzungsintensivierung“ und die Handlungsempfehlung lautet, die Situation prioritär und auf lange Sicht zu verbessern. Im Süden findet man die höchste Konzentration an Wärmeinseln in Esch/Alzette, Differdingen und seinem Arcelor-Mittal Stahlwerk und in der Industriezone zwischen Bettembourg und Düdelingen. In Mersch, Diekirch und Ettelbrück und im Grenzgebiet um Mertert flammt es noch etwas auf. „Je höher die Bevölkerungsdichte, desto mehr Wärmeinseln gibt es“, sagt Jürgen Junk, Wissenschaftler am LIST. Auf dem Kaltreis und in Belair und Nord-Limpertsberg ist es vergleichweise kühl. Dort gibt es mehr Gärten, Wald und Grünflächen befinden sich vor der Tür.

Alle Befragten sind sich einig: Es braucht mehr Grün und Blau, um sich an den Klimawandel anzupassen. Mehr Begrünung bedeutet mehr Kaltluftaustauch, mehr Windbildung. Bäume und Grünflächen saugen Co2 auf, sie tragen aktiv dazu bei, die Stadt, deren mineralische Baustoffe die Hitze speichern, nachts abzukühlen und sie schaffen es, den Bedarf an Klimatisierung um bis zu 30 Prozent senken, da die Temperatur unter Bäumen zwischen zehn bis 20 Grad kühler sein kann. Auch Entsiegelungsmaßnahmen wirken dem Trend entgegen, also die Begrünung von Dächern und Innenhöfen. Jene Grünflächen, die um Wohngebiete angesiedelt sind, haben eine besonders hohe Bedeutung für die Temperaturregulierung im urbanen Raum.

No worries Die Stadt Luxemburg, umrandet vom Gréngewald und vom Bambësch, und zentral versetzt mit dem Stater Park und dem Wald in der Péitruss, ist vergleichsweise grün. Das weiß auch Schöffe Serge Wilmes (CSV), der das gerne in enthusiastischer Manier wiederholt. Wer ihm zuhört, könnte fast denken, es gäbe keine klimabedingten Hitzeprobleme in der Stadt. Er verweist auf das geplante Ökoquartier Porte de Hollerich, das Co2-neutral sein wird, auf die Leitfäden des ökologischen Urbanismus, an denen die Stadtverwaltung arbeitet. Die neuen Bebauungspläne (PAP) müssten etwa mindestens 10 Prozent Begrünung aufzeigen, um genehmigt zu werden, man arbeite auch an „tiny forests“ in der Stadt. Die Verantwortung für die mangelhafte Begrünung der Verlängerung der Tram in Richtung Bonneweg, wo weder die Tramschienen bisher begrünt sind, noch Schatten zu finden ist, läge bei Luxtram und Verkehrsminister François Bausch (déi gréng). Was die Place de Paris angeht, die zwar hell aber zu mineralisch ist, „müsse man nuancieren und die Dinge in den Kontext setzen.“ Nach der Bürgerbeteiligung sei auf Wunsch der Bevölkerung beschlossen worden, dass dieser Platz ein Ort bleiben soll, an dem auch ein Markt oder eine Kirmes stattfinden kann, da es im Garer Quartier mit seinen 11 000 Einwohnern sonst keinen gäbe, der diese Funktion erfüllen könne. Außerdem würden die gepflanzten Platanen im Laufe der Zeit noch größere Kronen bekommen und mehr Schatten spenden, der Natur müsse man Zeit lassen. Und sowieso sei man hier fünf Minuten von der Péitruss entfernt, „dat ass de Bësch an der Stad.“ Natürlich könne man auf der Place de Paris auch vermehrt Pflanzenkübel hinstellen, „dat mëscht der Kaz kee Bockel“, doch die Funktion des Platzes würde die Gleiche bleiben. Ähnliches gelte für die Place Guillaume.

The grass is greener Die Gegebenheiten dort lassen eine konsequente Begrünung tatsächlich ohnehin nur bedingt zu, da lediglich 60 Zentimeter Boden über dem unterirdischen Parkhaus Knuedler liegen. Für eine Bepflanzung des Bodens bedarf es allerdings einer Bodentiefe von einem Meter, wenn es eine unterirdische Struktur darunter gibt. „Wir haben den Boden als natürliche Unterstützung vergessen, weil wir ihn seit der Industriellen Revolution lediglich zweckorientiert genutzt haben“, sagt Nico Steinmetz, Architekt und Urbanist. Das spüre man nun in den versiegelten Städten. Das Bewusstsein werde größer, das richtige Gleichgewicht im öffentlichen Raum zu finden, sei jedoch nicht einfach. „Mettwurscht und Gromperekichelcher kann man aber auch unter großen Bäumen essen“. Auch Gestrüpp und wildwüchsige Natur müssten ihren Weg zurück in die Urbanität finden, um der Bodenversiegelung entgegenzuwirken. Diesen Bodenraum sollte man schaffen, findet er.

Was Bauen in Zeiten des Klimawandels angeht, so sollten Glasoberflächen an Fassaden nicht zu groß sein, sagt Axel Volvert, thermischer Ingenieur. Materialien sollten möglichst luftdurchlässig sein, auch seien kleine schirmartigen Konstrukte über Türen und Eingängen sinnvoll, um Sonneneinstrahlung zu verringern. Rollläden, die außen befestigt werden, ebenso wie helle Fassadenfarben, würden dabei helfen, Häuser ohne Klimaanlagen einigermaßen kühl zu halten. Zellstoffwatte und Holzfaserdämmung sind die besten Isolierstoffe, um im Sommer drinnen nicht zu ersticken.

„Man muss Mut haben, nicht mehr alles unter einen Hut bekommen zu wollen“, sagt Bürgermeister-Kandidat François Benoy (déi gréng). Nicht alle Busse, die etwa in der Al Avenue fahren, müssten dies unbedingt weiterhin tun, damit hier mehr Platz entstünde für sanfte Mobilität und Grün. Auch die Bebauungspläne müssten alle „massiv“ überarbeitet werden, sie seien kaum mehr zeitgemäß, was Klimaschutz und Klimaanpassung angeht. Ihm seien verkehrsberuhigte Zonen in jedem Quartier wichtig, vor allem um die Schulen. Er wirft dem aktuellen Schöffenrat vor, in ihren Aktionen nicht weit genug zu gehen, es fehle an „Vision“.

Man darf nicht vergessen, dass déi gréng das ziemlich ungrüne 14-Millionen-Hamilius-Projekt mitgetragen haben, als Carlo Back 2013 im Gemeinderat saß und François Bausch und Viviane Loschetter Stadtschöffen waren. Die verantwortliche Baugesellschaft Codic preist ihr Projekt auf ihrer Homepage als „verdoyant“ an. Von der geplanten Dachbegrünung des sogenannten „Sky Garden“ – der noch nicht zugänglich ist, das Restaurant eröffnet im August – abgesehen, gibt es außer den vier Bäumchen vor der BGL Paribas jedoch kaum Grün. Schatten werfen hier nur Gebäude. Nun kann man einwerfen, dass die Problematik der Wärmeinseln in den letzten Jahren dringlicher geworden ist und das Bewusstsein zu diesem Zeitpunkt noch nicht so ausgeprägt war. Doch auch vor zehn Jahren wusste man schon um Erderwärmung und Hitzewellen, um die Wichtigkeit urbaner Biodiversität und Begrünung. Die Planung der Neugestaltung der Place de Paris war ihrerseits 2020 abgeschlossen.

Was die Begrünung auf privaten Arealen angeht, gilt laut städtischer Bauregelung mittlerweile ein Steingarten-Verbot. Serge Wilmes sagt, dass alles außer Zufahrt und Terrasse begrünt sein müsse. Laut Stadtverwaltung hat bisher Sensibilisierung und Druck des Service Urbanisme auf die Eigentümer/innen ausgereicht, um diese Problematik einzudämmen, gerichtlich verfolgt wurde nichts. Bürgermeristerin Lydie Polfer (DP) schaue in diesen Fällen auch gerne mal persönlich vorbei, um den Leuten ins Gewissen zu reden, so die Verwaltung. Für eine einfache Fassadenbegrünung durch Efeu oder andere Pflanzen ist keine Genehmigung vonnöten, für vertikale Gärten schon.

Up in the trees In Paris verspricht Bürgermeisterin Anne Hidalgo in ihrer zweiten Legislaturperiode, die bis 2026 geht, 170 000 Bäume zu pflanzen. Auch sonst laufen in der französischen Hauptstadt innovative Projekte, um die Stadt an den Klimawandel anzupassen, „Paname 2022“ nennt sich eins davon. Luftballons messen in der Luft die Temperaturen, auch der Einfluss der Seine und ihres Kühleffektes werden begutachtet, um die Stadtplanung zu optimieren. Wie viele Bäume in den nächsten Jahren gepflanzt werden sollen, darauf will ein Jahr vor den Wahlen in Luxemburg-Stadt niemand sich festlegen.

Der Baumbestand der Hauptstadt liegt seit Jahren mehr oder weniger konstant zwischen 20 600 und 20 900. Diese Zahl beinhaltet weder die Bäume in den Wäldern, noch jene, die auf Friedhöfen stehen oder dem Staat gehören. Mit dem Park am Ban de Gasperich wird der Bestand dieses Jahr über 21 000 steigen. Überall dort, wo es möglich sei, wie etwa an dem neuen Radweg im Rollingergrund, würden Bäume hinkommen, sagt Serge Wilmes. Sowohl er als auch François Benoy würden nicht zögern, Parkplätze der Baumbepflanzung und der sanften Mobilität zu opfern. Sagen sie.

Die Dringlichkeit der Causa lässt sich auch anders messen. Während der canicule im Jahr 2003 zählte Frankreich 15 000 Hitzetote. Das Gesundheitsministerium in Luxemburg gibt an, seit 2003 seien im Großherzogtum acht Menschen wegen der Hitze verstorben. Allerdings würde sich das Todesursachenregister nur bedingt als verlässliche Quelle eignen, woraus sich schließen lässt, dass es durchaus mehr sein könnten. Daten zu Dehydrationen gibt es laut Santé nicht.

Es braucht eine urbane Vision, um all diesen komplexen Herausforderungen gerecht zu werden. In der luxemburgischen politischen Klasse findet man sie nicht. Am Mittwochmorgen lud die NGO Mouvéco zur Pressekonferenz „Méi Gréngs vir eis Stied an Dierfer“. Der Präsident des Oekozenter Pafendall, Théid Faber, forderte dort Vision und sprach von der Wichtigkeit der Natur für unsere Psyche. Die Präsidentin des Mouvéco, Blanche Weber, betonte, dass Begrünung immer einherginge mit einem Gewinn an Lebensqualität, doch dafür brauche man eine nationale Strategie. Die kreative Vision der Umweltorganisation wurde letztlich anhand von drei Videoclips vorgestellt: An der Porte de Hollerich, auf der Place Stalingrad in Esch/Alzette und auf der Stäreplaz in Mersch heben Autos und Verkehrsschilder vom Boden ab und fliegen in einer Abgaswolke gen Himmel davon, um von Pflanzen und Fahrradwegen abgelöst zu werden. In Hollerich vor der Kirche würde ein Springbrunnen stehen, Markstände würden unter schattigen Kronen zum Flanieren einladen – diese Planungen seien nicht real, sondern sollten den Kopf öffnen und „träumen lassen“.

Sarah Pepin
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