Ein FB-Freund regt sich auf. Weil „Linkslinke“ sich nicht aufregen, wegen dem kleinen Jungen, Frankfurt, traurige Welt, schreibt er.
Ich würde gern antworten. Ich bin eine Verfechterin des Dialogs, auch in den so-
zialen Medien, am liebsten mit denen, die die Welt anders sehen als ich. Von Rausschmeißen halte ich nichts, die Algorythmen-Nanny betreut uns sowieso. Dass wir nur nicht in Kontakt kommen mit allzu Andersartigem. Ohne dass wir uns besonders darum bemühen, sind wir sowieso von unsern likeablesten Freund_innen umgeben. Die eh so ziemlich sind wie wir.
Wenn FB-Freund_innen drohen, jetzt endlich auszumisten, wird mir immer mulmig. Ethische Säuberung, ab mit denen, die so sind, statt so. Sich danebenbenehmen, das Falsche posten oder gar gar nichts, auch nicht beliebt. Warum eigentlich, wenn jemand nichts zu sagen hat? Zeugt es nicht von Einsicht, wenn er das Nichtssagende nicht sagt? Oder die, die nur spionieren würden. Wobei doch gerade das Herumschnüffeln zum kindischen Charme von FB gehört. Wie die Strengen das herausfinden, ist so Blauäugigen wie mir, die ohne Netz im Netz verkehren, natürlich ein Rätsel.
Meint sie jetzt mich? Werde ich aussortiert wegen nicht genug Empathie oder zu viel mit den Falschen, wegen Relativierens gar? Bin ich nicht auf der richtigen Seite, nicht eindeutig genug, wechsele ich nicht die Seiten manchmal, weil ich neue Seiten entdecke, bin ich nicht prinzipiell, nicht kategorisch genug? Habe ich zu viel Verständnis gezeigt für die, die
unbedingt zwou Bulle Mokka bestellen möchten? Bin ich zu empathisch mit den Unsympathischen? Habe ich während des Me Too- Höhepunkts nicht intensiv genug mit allen Verwundeten mitgelitten, bei Friday for Future über die idealistischen Bürgerkids gelästert und noch mehr über die Bürgeroldies, die noch schnell im Flugzeug den grünen Daumen recken?
Dialog wäre toll. Nur leider ist so ein Dialog beziehungsweise ein Austausch von Meinungen sooo außerordentlich anstrengend. Ist gerade drei Uhr früh, nicht gerade der Zeitpunkt, in wohlgesetzten Sätzen ausgewogen zu argumentieren. So dass es dem Fakten- Check standhält, auch noch. Guggelguggel, jede Menge, ein Studium müsste ich vorher auch noch absolvieren, was heißt eines, unzählige Studien. Und es dauert nicht lange, und ich lande gleich wieder in Teufels Küche, unter Kopftüchern, wo ehrengemordet wird, wie komm’ ich da wieder raus?
Was soll ich also dem armen FB-Freund antworten, der in einer traurigen, von emotionslosen Linkslinken besiedelten Welt lebt? Dass nach so etwas Tieftraurigem die Worte fehlen, da fehlen einem doch die Worte, sagen Trauerredner gern, sogar Priester. Aber die haben wenigstens einen Himmel im Angebot. Dass vielleicht alle mal den Mund halten sollten, ausnahmsweise, weil sie Menschen sind, vielleicht, und dass das sehr wohltuend wäre. Und dass die, die die andern gern Linkslinke schimpfen, ja sowieso schon drauflos reden, giften, geifern.
Zu kompliziert, zu heikel, ich kann ja nicht Gott und die Welt erklären, versteh sie selber nicht, aber schon gar nicht will ich sie erklärt bekommen. Zumindest gerade jetzt nicht. Dann doch lieber ein Schlaf förderndes Scherzlein posten, etwas Lyrisches, aber light, und noch ein paar unverfängliche Likes einheimsen.
Viel bekömmlicher als der Austausch von Ansichten. Der in letzter Zeit sowieso zunehmend ausdünnt. Es ist, als wären alle ermattet, erlahmt, als würden sie sich nicht mehr die Mühe machen wollen, Substanzielles zu posten, Anspruchsvolles, Politisches, sich in politische Debatten zu stürzen. Bringt sowieso nichts, lieber Katzenfotos. Warum sich in einem Medium, dessen Hauptcharakteristikum die extreme Flüchtigkeit ist, bei dessen Nutzung AHDS eine Voraussetzung ist, verausgaben? Das Posting von gestern ist so was von gestern.
Warum sich Stress machen da, wo es Missverständnisse am laufenden Band gibt? Schließlich sitzt man nicht in einer Bar wo man Ungeheuerliches von sich geben kann, man schaut, lächelt so oder so, schon ist die Be-Deutung eine andere. Nur ein Großeinsatz von Emoticons, ich hab sie immer noch nicht gebüffelt, kann Fehlinterpretationen entgegenwirken.
So, jetzt hab ich meinen Monolog beendet.