Die Muße ist meine Lieblingsmuse.
Muße, wenn Mensch nichts mehr müssen muss, außer müssen. Oder sterben, tiefste Kinderweisheit.
Okay, das sind die allgemein bekannten Ausnahmen. Und Muße ist natürlich viel, viel mehr. Viel mehr als die Abwesenheit von Stress. Sich der Muße hingeben, gleich doppelt altertümlich, wer gibt sich noch hin, vielleicht ist man dann ja hin, da gibt es keine Garantien und keinen Konsument_innenschutz. Sich der Muße hingeben klingt nach bleich- beziehungsweise schwindsüchtigen Jungfern, Cello erklingt, ein Jüngling rezitiert etwas, Blätter fallen. Jemand zieht pfeifend, die Hände in den Taschen, über eine Straße, irgendeine, wie in einem alten Film.
Vermutlich nicht gerade das, was eben am Markt gefragt ist. Etwas sehr Leichtes, aber leicht wohl nicht in einer Gesellschaft, die es sich einfach nicht mehr einfach machen kann, auch wenn sie dauernd vom Einfachen quasselt und sich über nichts lieber den Kopf zerbricht. Talkrunden mit dem Thema füttert, ein zerfurchter Philosoph mahnt, „Quality Time“ murmelt
jemand, alle nicken ehrfürchtig. Aussteiger_innen werden präsentiert, aber die sind meist ehrgeizig, sie radeln zum Beispiel durch die Anden. Meist gondeln sie nicht mit einem Grashalm zwischen den Lippen – ich glaube, das ist sowieso ziemlich out, könnte ja ein Fuchsbandwurmbaby drauf hausen – durch die Geh-gend oder sind einfach so in den Wolken. Ohne reserviert zu haben.
Was soll man auch groß erzählen vom kleinen Glück, so zwischendurch? Glücks-
häppchen, Glücksschnäppchen, an jeder Ecke zu haben. Aber dann anscheinend auch wieder nicht. Ist nämlich ein schweres Aufsatzthema, wie alles Leichte. Muße ist ja nicht einfach nichts, nicht einfach Nichtstun. Nicht jede Müßiggängsterin, nicht jede Couch-Potato, nicht jeder Chiller oder Zeitkiller wird von der Muße geküsst. Also bitte nicht mit Laster aller Anfang verwechseln, mit Trägheit, Trunksucht und Todsünden.
Okay, jetzt wird es elitär und unfair, denn was gibt es Elitäreres als den Lebenskünstler? Weder Wellness noch Anti-Burnout-Strategien bringen es, noch rein Vegetatives, schon die Philosophen der Antike gedachten denkend der Muße. Sie wussten schon, da knistert was, sie nannten es schön das Schöpferische. Nicht jeder, der auf dem Hintern hockt und vor sich hin stiert, kriegt eben automatisch Satori! Oder erfindet etwas Geniales, das ganz Geniale wird ja angeblich so nebenbei ausgebrütet.
Andererseits darf es ja nichts bringen, beziehungsweise soll nicht, denn nur dann bringt es was. Zen quasi, aber ohne Stockschläge. Es ist eben nicht so einfach mit dem Einfachen.
Nicht gerade, was gerade am Markt gefragt ist? Auf einer Toilette, es gibt so freundliche Toiletten mit Lesestoff, meist nichts allzu Herausforderndes, eher Apotheken-News oder Hochglanzkunst, ein bisschen Lifestyle inklusive Aufspritzen verdorrter Gesichtspartien, man blättert so durch, und während man sich der Muße hingibt, dem Müssen auch noch, erweitert sich mal wieder der Horizont.
Muße out? Es gibt einen neuen Trend, ein taufrisches Mädchen, das entspannt an einem Baum lehnt, illustriert ihn. Er heißt „Niksen“ und bedeutet Herumliegen, Faulenzen, Lümmeln, all so was Schönes, und kommt aus den Niederlanden. Es gibt in dem bunten Magazin allerhand Beispiele und Verhaltensvorschläge zu dem Trend. Eine Autorin hat ein Buch veröffentlicht, in dem sie die holländische Art des Nichtstuns vorstellt. Man soll zum Fenster rausschauen, empfiehlt ein Soziologieprofessor und Glücksexperte. Man soll einem Teebeutel beim Ziehen zuschauen, meint eine Coachin. Oder auch nur einfach auf seine Hände starren, dafür kriegt man ein Sehr gut in Niksen. Inwieweit Holländer_innen jetzt anders nichts tun als Senegales_innen oder Japaner_innen? Ach, was soll das Grübeln, spiel lieber mit den Zehen!
Das Denk- und Schöpferbrimborium, für die Oldie-Philosophen noch ein Muße- Must, wurde in dem Dutch Lifestyle Concept wegrationalisiert. Muße light könnte ein Renner werden, kosten tut Herumstehen, Liegen, Hängen auch quasi nichts.
Außer für die extrem Motivierten. Für die gibt es Kurse, in denen Motivationstrainer_innen ihnen Anleitungen darin erteilen, nicht motiviert zu sein.