Der britische Regisseur Christopher Nolan hat sich in Hollywood als ein Filmemacher etabliert, der auf besondere Weise die Ansprüche eines philosophisch-existenzialistisch ausgerichteten Arthouse-Kinos mit den unterhaltsamen Strategien des Mainstream-Blockbusters so verbindet, dass sie immer noch unschwer als klassische Genrefilme gelten dürfen. Seinen Status als Mainstream-Auteur hat er sich mitunter dadurch erarbeitet, dass er seit seinem Regiedebüt Following (1998), besonders aber mit Memento (2000) als ein Regisseur wahrgenommen wird, der konsequent und innovativ die Formen filmischer Zeitlichkeit untersucht.
Mit Oppenheimer hat sich Nolan nun aber deutlicher als jemals zuvor von diesen Ansprüchen gelöst und präsentiert zum ersten Mal ein Biopic, das die einschneidenden Ereignisse aus dem Leben des Physikers Robert Oppenheimer, des „Vaters der Atombombe“, während des so genannten „Manhattan-Projekts“ schildert: Nachdem in Kreisen der amerikanischen Regierung die Befürchtung wächst, die Nationalsozialisten könnten als erste Kriegspartei eine Atombombe entwickeln, wollen sie dem zuvorkommen, um den Ausgang des Krieges zugunsten der westlichen Alliierten zu entscheiden. Die Vorlage für diese Erzählung um eine ganz umstrittene historische Persönlichkeit lieferte das Buch von Kai Bird und Martin J. Sherwin, American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer, aus dem die hautsächlichen Themenfelder des Filmes abgeleitet wurden: das Genie, die Anmaßung; die Schuldfrage, die Höllenqualen. Das Leben des Physikers scheint sich für eine Verfilmung durch Christopher Nolan geradezu anzubieten, beruht es doch auf einem ganz augenfälligen Paradox: Ausgerechnet um die Welt vor der Zerstörung zu retten, muss Oppenheimer in Betracht ziehen, sie möglicherweise zu vernichten. Dieses moralische Dilemma ist der narrative Fokus von Oppenheimer: Nolan erkundet das menschliche Bestreben, das Gute zu erreichen und dabei das Böse zu schaffen. Unter diesem existenzialistischen Grundaspekt bewegt sich Oppenheimer freilich nah an der Batman-Trilogie, die das existenzielle Problem seines zwielichtigen Helden besonders in The Dark Knight (2009) aufschlüsselte.
Je größer die Anstrengung, die individuelle Geste und die soziale Verpflichtung zueinander zu bringen, desto mehr wächst die Entfremdung zwischen Oppenheimer und seinem Land. Das ist das Entscheidende an Nolans Blick auf seinen zweifelnden Helden: Sein Film zeigt das Zerbrechen eines Einzelnen an der Verantwortung für das Kollektiv. Er versteht den Mann gut, sieht ihn als Wissenschaftler bei der Arbeit – sein Pioniergeist und Tatendrang strukturieren besonders den ersten Erzählabschnitt –, sieht aber auch die verheerenden Folgen, die seine Schöpfung hervorbringt, verurteilt ihn dafür aber nicht. Die Faszination und das Grauen für die neue Erfindung gießt Nolan in die für ihn so typischen formalen Gestaltungsmittel: Das Sounddesign und besonders die Filmmusik von Ludwig Göransson sind äußerst druckvoll, ja bombastisch, vor allem auf dem dramatischen Höhepunkt, dem vorläufigen Test der Waffe, um alle Kriege zu beenden. Freilich wäre dieser Film nicht von Christopher Nolan, würde er nicht mit erzählerischen Finessen aufwarten. Nolan nutzt das Prinzip der Parallelmontage, um Vergangenes und Zukünftiges ineinandergreifen zu lassen; Farb- und Schwarzweißaufnahmen für das Zurückliegende und das Kommende dienen dabei als visuelle Stütze. Einmal mehr geht es Nolan damit auch um erzählerische Täuschungsmanöver: Er legt bewusst falsche Fährten, so dass sein Publikum vorerst falsche Schlüsse über das Gezeigte zieht, nur um am Ende neues Licht auf einen entscheidenden Dreh- und Angelpunkt zu setzen. Nolans besondere Ansprüche an die Komplexität narrativer Präsentation sind es denn auch, die kaum Momente der wahrhaftigen Introspektion zulassen: Der Mensch Oppenheimer und seine ganz intimistische Gefühlslage, das Erleben aus der ersten Person, bleibt eine behauptete, wirklich spürbar wird sie im Film nie.