Ich bin nicht so gerne unter Leuten, deshalb hat es mir gar nicht viel ausgemacht“, sagt Lilée und lächelt etwas scheu in die Webkamera. Die Schülerin des Lycée des garçons in Limpertsberg erlebte den Lockdown im März-April als „pretty okay“. Lilée ist in Vancouver, Kanada, geboren und spricht daher fließend Englisch. „Wir hatten nicht viel zu tun. Unsere Lehrer waren noch nicht wirklich auf Homeschooling vorbereitet. Also blieb Zeit für anderes.“ Zeit, die die 16-Jährige nutzte, um „zu kochen, zu malen, zu basteln“.
Die Schülerin kocht am liebsten koreanisch und japanisch, sie ist vom Fernen Osten fasziniert und vor allem: Lilée steht auf koreanische Pop-Musik. „BTS sind meine Lieblingsband. Blackpink finde ich auch super“, fügt sie hinzu. Was ihr an der Musik gefällt: „Ihre Texte handeln von der Jugend, handeln von Themen, die für meine Altersgruppe wichtig sind“, sagt sie. Die bunten Farben, die Fröhlichkeit der Musik ziehen sie an, „auch wenn es einige düsterere Songs gibt“, ergänzt sie. Als BTS (Bangtan Sonyeondan, übersetzt: kugelsichere Pfadfinder) im November weltweit ihr neues Album BE veröffentlichten, mit der Single-Auskopplung „Life goes on“, schrieben begeisterte Fans auf Youtube: „Das ist das Beste, was mir dieses Jahr passiert ist.“ Binnen Kürze wurde das Video mit der hoffnungsfrohen Botschaft millionenfach angeklickt, derzeit steht der Zähler auf fast 245 Millionen Klicks.
Auf die K-Bands, wie das jugendliche Pop-Phänomen heißt, wurde die Schülerin durch Klassenkameradinnen aufmerksam: „Die haben mich initiiert“, lacht sie. Das war vor einigen Jahren. Seitdem hält sich die Faszination für diese Musik. Jetzt ist sie Teil der Armee, wie die Gemeinschaft der Fans sich selbstironisch nennt. Mit Militärkult hat das nichs zu tun: Die Mitglieder von BTS sind das Gegenteil: Charmante, lustige, höfliche Strahle-Jungs, die wahrscheinlich jeder Vater gerne als Schwiegersohn hätte. Lilée war mal auf einem K-Popkonzert: „Das geht wegen Corona leider nicht mehr.“ Dass nicht alles Gold ist, was glänzt, weiß Lilée: „Manchmal tun sie mir leid. Die Bandmitglieder stehen sicher enorm unter Druck.“
In ihrer Freizeit, von der sie vergangenes Jahr viel hatte, zeichnet und malt Lilée, richtiger: Sie bemalt T-Shirts, Schuhe und Taschen mit Motiven, die sie aus den Videofilmen oder von den K-Bands kennt, und postet ihre Arbeiten auf Instagram. Sie hält einen Nike-Schuh in die Kamera: Ein blaues Pferd mit Herzchen ziert die Seite. „Das ist ein Symbol aus einem Video einer Band; ich habe das nachgezeichnet.“ Auf einer Stofftasche hat sie knallrote saftige Erdbeeren gemalt: Farbenfrohes liegt ihr. Auch die Papierblumen, die sie in stundenlanger Feinarbeit gefaltet hat, sind roter Klatschmohn. Um die fragilen Blüten aus Papier nachzuformen, braucht es Geschicklichkeit und viel Konzentration. „Ich kann stundenlang vor mich hin arbeiten“, sagt sie leichthin.
Das kam ihr zupass. Während der Ausgangsbeschränkungen war sie viel in ihrem Zimmer, nebenan ihr jüngerer Bruder, mit dem sie sich gut versteht. Fitness ist ihr wichtig, draußen und drinnen. Die Zeit des ersten Lockdown hat ihr gefallen, weil „wir uns mehr mitbekommen haben“. Zusammen essen, sich in der Familie austauschen, dafür war vor der Pandemie weniger Zeit: Beide Eltern sind sehr beschäftigt, der Vater ist Profi-Fotograf, die Mutter arbeitet im Veranstaltungsmanagement und ist ebenfalls viel unterwegs.
Im zweiten Lockdown dagegen mussten die Eltern wieder ins Büro und auch der Unterricht fand wieder statt, wenn auch abwechselnd daheim und in der Klasse. „Den zweiten Lockdown habe ich als schwieriger erlebt, weil mir das Lernen über Visio nicht so liegt“, gibt Lilée freimütig zu. In Teams, der Visio-Plattform von Microsoft, die die Schulen landesweit verwenden, haben Schüler/innen häufig die Kamera ausgeschaltet. Das können sie sich aussuchen. „Aber sich zu konzentrieren, ist richtig schwer“, gesteht Lilée. Freundinnen ertappen sich dabei, sich abzulenken, mit anderen im Chat zu quatschen oder parallel zu kochen. „Irgendwie ist alles flacher, bleibt Gesagtes nicht so hängen wie im Klassenzimmer“, findet Lilée. Sie hat Glück, das Lernen fällt ihr vergleichsweise leicht: Um sich für eine Prüfung vorzubereiten, liest sie die entsprechenden Kapitel im Schulbuch nach.
Ob sie denkt, dass der Unterricht während der Pandemie dieselbe Qualität hat wie zur Vor-Corona-Zeit? „Nein, sicher nicht“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Inzwischen hat ihre Schule auf digitale Plattformen umgestellt, aber nicht jedem/r Lehrer/in liegt das Medium, und die didaktischen Möglichkeiten sind für Ungeübte begrenzt. Manche dozieren, als stünden sie weiter vor einer Klasse, ohne viel Austausch und Kreativität. „Manche lernen besser im Präsenzunterricht. Die können sich überhaupt nicht konzentrieren“, erzählt Lilée. Die einen, weil zuhause kein Platz und keine Ruhe ist. Die anderen, weil sie sich nicht wohl fühlen. Lilée versteht sich gut mit ihren Eltern.
Und trotzdem: Ständig gibt es Ablenkung – Netflix, der Chat mit den Freund/innen. Ihr fehlt die Schule aus anderen Gründen: Selbst bei ihr, die sie gut alleine zurechtkommt, zerrt der ausnahmeähnliche Zustand allmählich an den Nerven. „Ich würde so gerne einfach mal wieder in ein Café gehen, Leute treffen und unbeschwert quatschen“, sagt sie wehmütig. Noch etwas fehlt ihr: das Reisen. „Für März hatten mir meine Eltern einen Flug nach Kalifornien geschenkt.“ Die Reise fiel wegen der Pandemie ins Wasser. „Es ist schon hart, weil dies jetzt die Zeit im Leben ist, wo man eigentlich rausgeht, Leute kennenlernt, etwas Cooles unternimmt“, sagt sie nachdenklich.
Sie versteht, dass sich bei Freund/innen eine gewisse Pandemiemüdigkeit breitmacht: „Das geht mir auch so.“ Trotzdem hat sie kein Verständnis für Altersgleiche, die heimlich Partys machen oder sich in großen Gruppen treffen. „So dauert der Ausnahmezustand für alle nur noch länger“, sagt sie. Ob sie frustriert ist, dass die Pandemie ihr und ihren Freund/innen die Unbeschwertheit genommen hat? Sie denkt einen Moment nach: „Die Pandemie ist trotzdem nur für eine überschaubare Zeit. Mir machen ganz andere Dinge Sorgen: Der Klimawandel ist nach der Pandemie immer noch da.“