ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Le grand remplacement

d'Lëtzebuerger Land vom 14.07.2023

Selten verweigert eine Partei einem Abgeordneten im erwerbsfähigen Alter die Wiederwahl. Das Mandat ist Beweis genug, dass er seiner Partei viele Wählerstimmen bringt.

Der Abgeordnete Roy Reding war 2013 und 2018 der Erstgewählte der ADR im Zentrum. Mit einem weiten Vorsprung auf die Nächstgewählten. In einer Presseerklärung begründete die Parteileitung vor 14 Tagen, weshalb sie ihn nicht mehr will: Wegen „senger Inaktivitéit, sengem Feelen a senger Net-Presenz an der Chamber, an der Gemeng an an der Partei“.

Das ist der Roy Reding, wie ihn die ADR nie anders kannte. Sie hat stets seine gutgelaunte Rücksichtslosigkeit hingenommen. Sie profitierte von seiner Popularität als liberaler Staatsfeind. Für ihn war die Partei Mittel zum Zweck. Es könnte auch jede andere sein. Das Abgeordnetenmandat, der Sitz im hauptstädtischen Gemeinderat, die Politik sind ihm eine Mischung aus Amüsement und Eigeninteresse. Der patriotische Schmus der ADR ist Protektionismus für Loser. Er macht Geschäfte in Südafrika.

Damit hatte die ADR nie wirklich ein Problem. Für die ADR saßen schon schrägere Vögel im Parlament: Jean Colombera (Engel Albert), Aly Jaerling (Spielkasino), Fernand Kartheiser (Doppelagent), Roby Mehlen (Valissen-Affär), Josy Simon (Fep-Prügelei)... Roy Reding (Hooters) hat sich nie geändert. Wenn die ADR heute nicht mehr mit Reding auskommt, dann hat sich die ADR geändert.

Die ehemalige Rentenpartei war stets ein politischer Gemischtwarenladen. Ein erster Versuch, sie auf die Neue Rechte einzugrenzen, scheiterte: Offizier Fernand Kartheiser musste nach neun Monaten als Parteipräsident abtreten.

Nun findet ein neuer Versuch statt. Seit 2015 ist der rechte Rechtsanwalt Alex Penning Generalsekretär. Vergangenes Jahr wurde der Erdkundelehrer Fred Keup Parteipräsident. Auf Facebook wetterte er 2015 gegen das Referendum zum Ausländerwahlrecht. RTL machte aus ihm das Gesicht der Nein-Wähler.

ADR-Vizepräsident wurde Keups Mitstreiter Tom Weidig. Er bietet seine Dienste der Finanzbranche an. Er ist der Ideologe. Er hielt sich im Hintergrund. Bis er als Spitzendkandidat bei den hauptstädtischen Gemeindewahlen auftrat. Und gerade sein erstes Mandat erhielt. Gemeinsam ließen Keup und Weidig sich in den Vorstand der greisen Actioun Lëtzebuergesch wählen. Gemeinsam veröffentlichten sie Mir gi Lëtzebuerg net op. Die Streitschrift sorgte für Heiterkeit – sie ist ganz auf Deutsch geschrieben.

Die Gründergeneration von 5/6 und ADR stammt aus Handwerker- und Bauernverbänden. Sie antwortete auf soziale Anliegen. Mit Neid auf Beamte. Ihre Nachfolger sind Beamte, Selbständige. Soziale Anliegen sind ihnen fremd. Sie radikalisieren den Neid zu Identitäten. Sie bieten Feinde feil: ihnen fremde Nationen, Religionen, Sexualitäten.

Sie tun es der radikalen Rechten im Ausland nach: Sie ereifern sich über Gendern und Wokeismus. Die ADR-Mitglieder verstehen nur Bahnhof. Die Partei hält sich mit Kritik an Russlands Überfall auf die Ukraine zurück. Ärgert sich Ehrenpräsident Roby Mehlen (Wort, 22.4.23). Stolz zeigte sich Fernand Kartheiser Ende Juni an der Seite von Éric Zemmour. Dem Hassprediger des französischen Milliardärs Vincent Bolloré. Zemmour und Kartheiser ist der proletarische Faschismus zuwider. Sie wollen eine gutbürgerliche Wählerschaft bedienen.

Nun bringt die neue Führung die Partei auf Vordermann. Die Disziplinlosigkeit und der Liberalismus Roy Redings passen nicht in eine stramm rechte ADR. Auch wenn das über 2 000 Stimmen im Zentrum kostet. Im Norden säubert sie mit Hilfe des gleichgesinnten Bezirkspräsidenten Michel Lemaire den Vorstand. Vier Vorstandsmitglieder traten aus.

Roy Reding ließ sich im Parlament als „Sensibilité politique ‚Liberté Chérie‘“ eintragen. Um die bisherige ADR-Wählerschaft werben die Piraten. Mit der gleichen Demagogie, ohne identitären Ballast.

Romain Hilgert
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