Interview mit Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP)

No frills

d'Lëtzebuerger Land vom 23.10.2008

Durch die Vertrauens- und Finanzkrise riskieren die Staatseinnahmen zu schwinden. Dadurch kommt die „Wirtschaftsdiversifikation“ wieder stark in Mode. Meistens spricht Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) davon ohnehin, wenn er die Herbst- oder Frühlingsmesse eröffnet. So auch vergangenen Samstag. Im Gespräch mit dem Land plädiert er für einfachere Prozeduren. Auch weil er sich selbst in seinem Tatendrang von unnötigem prozeduralem Schnickschnack ausgebremst sieht.

d‘Lëtzebuerger Land: Herr Minister, bei der Eröffnung der Herbstmesse forderten sie, es müsse sich weiter angestrengt werden, damit die Prozeduren in Sachen Firmenniederlassung einfacher werden. Ihr großer Traum war immer das Einrichten eines guichet unique, einer einheitlichen Anlaufstelle. Davon hört man in letzter Zeit aber nicht mehr viel.

Jeannot Krecké: Das Projekt guichet unique hat zwei Ebenen. Es gibt erstens den virtuellen Schalter und zweitens den tatsächlichen, physischen Schalter. Letzteren planen wir in Zusammenarbeit sowohl mit der Handwerker- als auch mit der Handelskammer. Der espace entreprise in der Handelskammer wird zum guichet unique ausgebaut werden. Dort können später die Anträge gestellt werden und gegebenenfalls auch die Genehmigungen abgeholt werden. Die Regierung hat also davon abgesehen, selbst diese Anlaufstelle aufzubauen, sondern tut dies in Zusammenarbeit mit der Handelskammer. Zweitens wird die Webseite entreprises.lu zum virtuellen Schalter ausgebaut. Dieser Prozess läuft auf Hochtouren. Eine kleine Verzögerung gibt es nur aus Personalgründen. Entreprises.lu wird ausgebaut, so dass man dort nachher Anträge stellen kann und Antworten erhält.

Weshalb richtet die Regierung nicht selbst einen guichet unique ein? Die Idee war doch, dass dort alle in den Zulassungsprozess implizierten Verwaltun­gen vertreten sind. Damit es sofort Antworten gibt. Das wäre noch viel komplizierter geworden. Gegebenenfalls müssten dort dann auch die jeweiligen Gemeindeverwaltungen vertreten sein. Zum Beispiel wenn es um Baugenehmigun­gen, Generalbebauungspläne oder Teilbebauungspläne geht. Wir sind zum Schluss gekommen, dass es physisch nicht machbar sein wird, alle diese Entscheidungsträger an einem Ort zu versammeln. Der Firmengründer und Antragsteller jedoch wird dort alle seine Anträge abwickeln können. Außerdem gab es dort den espaces entreprises schon, sowohl wir als auch die Handwerker- und die Handelskammer haben ein Interesse daran, in diesem Punkt zusammenzuarbeiten und unsere jeweiligen Anstrengungen nicht zu vergeuden.

Welche Anstrengungen werden denn – vom guichet unique abgesehen  – noch unternommen, um die Niederlassung von Firmen zu vereinfachen und den Prozess zu beschleunigen??Mittelstandsminister Fernand Boden (CSV) und ich werden die Kommission zur Vereinfachung der Verwaltung jetzt wieder ankurbeln. Weshalb? Weil wir merken, wie wichtig es ist, den Inhalt unserer Gesetzgebung zu prüfen und gegenenfalls Änderungen vorzunehmen. Zum Beispiel versuchen wir mit dem Innenministerium, das das Kommunalplanungsgesetz vorbereitet, darauf hin zu arbeiten, die Prozeduren zu beschleunigen. Zeit ist der wichtigste Faktor. Dafür müssen wir keine Abstriche bei den Umwelt- und Sicherheitsstandards und den damit verbundenen Auflagen für die Unternehmen machen. Mit diesen Auflagen selbst haben die wenigsten Firmen Schwierigkeiten. Was wir aber beiseite räumen müssen, sind unnütze Hürden. Wir müssen nicht andere Entscheidungen treffen, sondern diese nur schneller treffen.

Was heißt das konkret??Konkret heißt das, dass das Kommunalplanungsgesetz eine Reihe von Elementen enthalten soll, welche die physische Niederlassung einer Firma einfacher machen. Zum Beispiel musste bisher eine Firma, die sich in einer ausgezeichneten Industriezone niederlassen wollte, für die es ei­ne abgeschlossene Commodo-Prozedur gibt, einen Teilbebauungsplan vorlegen – sofern sie nicht haargenau die Parzelle einnahm, die im Generalbebauungsplan der Industriezone vorgesehen war. Wenn sie zum Beispiel mehr Platz brauchte, als die vorgesehenen Parzellen boten. Ein anderes Beispiel betrifft materielle Fehler auf Plänen. Mir ist ein Fall bekannt, wo eine Grünzone inmitten einer Halde eingezeichnet ist. Alle Beteiligten wissen, dass es diese Grünzone nicht gibt. Nun wird schon seit mehr als einem Jahr daran gearbeitet, diesen Fehler zu beheben. Wir sollen sinnvolle Anforderungen stellen und den Rest beiseite lassen. Das muss systematischer gemacht werden. 

Weshalb sprechen Sie das gerade jetzt an??Weil das produzierende Gewerbe anders als der Dienstleistungssektor, – da braucht man einen Berater, eine Handelsermächtigung und vier Wände – eine ganze Reihe von Genehmigungen benötigt. Und ich hatte den Eindruck, dass manche in der letzten Zeit der Meinung waren, wir könnten auch ohne. Wir brauchten nur den Dienstleistungssektor. Der macht uns schließlich weniger Probleme, weshalb der sich auch schneller entwickelt hat. Da müssen wir eine Kurskorrektur vornehmen. Wir müssen in Luxemburg eine Reihe von Produkten selbst herstellen und aufhören zu glauben, wir könnten alles im­portieren, nur weil uns das geneh­mer ist. Die Transportkosten steigen, die Sicherheit von ausländischen Pro­dukten ist nicht unbedingt immer gegeben. Deswegen müssen einen Teil unserer Waren hier im Land herstellen. Das gilt insbesondere für Lebensmittel.

Die fürs Finanzwesen zuständige Aufsichtsbehörde nennt Minister Luc Frieden (CSV) "business friendly". Müssen die fürs Handwerk und die Industrie zuständigen Behörden denn nun auch in diesem Sinne „freundlicher“ werden? Wie soll das geschehen?Die Verwaltungen werden zunehmend zum Wettbewerbs- und Standortfaktor. Deswegen muss dort die Flexibilität gesteigert werden. Dazu ist viel Aufklärungsarbeit nötig, Gespräche, um die Problematik der Betriebsniederlassung zu erklären. Um überhaupt schnell Entscheidungen nehmen zu können, brauchen sie aber vor allem das nötige Personal. Die Verwaltungen sind nicht unbedingt in gleichem Maß gewachsen, wie sich die Wirtschaft entwickelt hat. Dann treiben wir spezifische Bereiche voran. Zum Beispiel die Logistik. Ein wichtiger Bestandteil davon sind Frischwaren. Die müssen bei ihrer Ankunft in Europa speziell geprüft werden. Wenn Logistikfirmen interessiert sind, größere Teile ihres Geschäftes über Luxemburg abzuwickeln, dann muss das Personal der zuständigen Verwaltung zu Spitzenzeiten aufgestockt werden können. Das ist aber in unseren Prozeduren nicht vorgesehen. Diese Leute stehen dann einem riesigen Arbeitsvolumen gegenüber, ohne über ausreichend Personal zu verfügen. Wir müssen also über neue Wege und Strukturen nachdenken, damit wir in solchen Fällen schneller reagieren können.

Was könnten denn solche Strukturen sein??Darüber denken wir derzeit nach. Damit wir die Kontrollen durchführen können, müssen wir beim Personaleinsatz auf jeden Fall flexibler werden. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Die Zollbehörden sind dabei, sich komplett auf die elektronische Kommunikation umzustellen. Jetzt hängt alles davon ab, ob wir das schneller umsetzen können als die Zollbehörden anderer EU-Länder. Ob wir die neuen von der EU vorgesehenen Systeme, wie das Konzept des „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“ schneller einführen können als andere. Bald wird es möglich sein, die Ladung eines Schiffes, das im Hafen von Porto einläuft, in Luxemburg zu verzollen. Dann würden 25 Prozent der Einnahmen in die Luxemburger Staatskasse fließen. Eine effiziente Ver­waltung wird damit zunehmend zu einem Wettbewerbsvorteil und damit auch zum Vorteil für den Haushalt.

Sie sprachen in ihrer Rede auch das Thema WSA an und sagten, das Projekt gehe nicht schnell genug voran.Ja.

Woran liegt das??Unser Prozeduren sind zu langatmig. Erst muss der Generalbebauungsplan geändert, dann müssen die Teilbebauungspläne gemacht, eine Commodo-Prozedur für das ganze Areal eingeleitet werden und dann noch eine für die einzelnen Unternehmen. Diese Aneinanderreihung von Prozeduren wird wahr­scheinlich zur Konsequenz haben, dass es vor 2012 dort keine neue Halle gibt. Das dauert einfach zu lange.

Gibt es denn viele Interessenten??Selbstverständlich. Unser Joint-venture-Partner Sogaris würde lieber heute als morgen anfangen. Jetzt kommen wir nicht aus diesem Provisorium heraus, diesen Hallen, die für Logistik überhaupt nicht geeignet sind. Es gibt ja schon Aktivitäten dort, aber auch dafür sind die Hallen nicht geeignet.

Sie kritisieren den Glauben vieler Luxemburger, alles importieren zu können, die Nimby-Mentalität. Was kann man denn, außer zu predigen, dagegen unternehmen??Wir müssen aufhören zu denken, wir könnten alles aus China importieren, oder Indien, Thailand oder Vietnam. Wenn ich Glas in die Hand nehme, muss ich doch bedenken, das wurde hergestellt. In der Glasindustrie. Also müssen wir uns doch bewusst sein, dass es diese gibt. Wir müssen aufhören, den Leuten vorzugaukeln, die Milch komme aus dem Supermarkt. Die Milch kommt von der Kuh. Die macht Dreck und so ist das auch in der Industrie. Das muss wieder in die Köpfe. Wir können nicht weiter sagen, wir wollen nur das Produkt hier und nicht den Dreck. Das ging einige Zeit lang gut, weil es im Finanzwesen so gut lief – das gilt für ganz Europa. Jetzt steht allerdings eine Zeit an, wo die Herstellungskosten in diesen Ländern ansteigen, die Transportkosten wegen der Energiepreise wachsen. Die Importabhängigkeit eines Landes im Bezug auf die Grundbedürfnisse, zum Beispiel Nahrungsmittel, ist eine Riesenschwäche. Für die Energieversorgung gilt das sowieso.Deswegen versuche ich immer, verschiedene Aktivitäten – das sind natürlich nicht immer Produktionsaktivitäten – hierher zu locken. Es sind einige Akteure aus dem Bereich der Informationstechnologie hergekommen, wir haben uns mit der Logistik versucht, es gibt erste Projekte im Bereich der Gesundheitstechnologien, ich werde in den USA noch mit weiteren Interessenten aus diesem Sektor sprechen. Diese Felder verlangen völlig unterschiedliche Vorgehensweisen. Bei Ersteren sprechen wir das produzierende Gewerbe an, um ihre Logistik zu übernehmen, bei Letzteren setzen wir stark auf die Forschung, müssen die öffentlichen Forschungszentren mit einbinden. Der nächste Punkt ist die Umwelttechnologie, das wird wieder ganz anders. Ich hoffe, dass wir den Aktionsplan Umwelttechnologien bald vorlegen können.

Der sollte doch eigentlich schon vorliegen. Wieso ist er noch nicht fertig??Das stimmt. Das ist eine Frage von Kapazitäten. Wir müssen externe Experten heranziehen, denn wir verfügen nicht über das nötige Wissen. Sonst hat es keinen Sinn, einen Plan aufzustellen. Ich gehe, wie gesagt, davon aus, dass dieser bald vorlegen wird.  Was wir jetzt auch noch mal anpacken, ist der Bereich „Hauptgeschäftssitz“. Worauf müssen wir aufpassen, wenn wir Konzernchefs begegnen, was ist denen im Hinblick auf einen eventuellen Umzug der Konzernleitung wichtig? Welche Gesetzesänderungen müssten eventuell vorgenommen werden, und wie müssen wir unsere Promotion aufbauen? Denn headquartering ist auch etwas, das wir anpeilen. Die Bandbreite der Wirtschaftsentwicklung muss möglichst groß sein. Deswegen muss das Vertrauen in den Finanzplatz wiederhergestellt werden. Denn der war auch immer ein Aushängeschild und Verkaufsargument bei anderen Wirtschaftszweigen. Der stark entwickelte Finanzplatz signalisierte automatisch: gute ITC-Infrastruktur, gute Datenverarbeitung, Datenaufbewahrung, genügend Anwälte, Buchhalter usw. Sonst wäre der Finanzplatz nicht so entwickelt.Heißt denn headquartering nicht, dass man sich weiter der Logik des Steuerwettbewerbs unterwirft??Nein. Das hat keinen Sinn. Wer glaubt, nur durch niedrige Steuern Unternehmen anziehen zu können, der liegt falsch. Wir wollen natürlich im Vergleich nicht völlig abrutschen. Aber Rabatte machen keinen Sinn, die dauern nur an, bis der Nachbar wieder unterbietet. Wir haben viel mehr zu bieten. Zum Beispiel die kurzen Verwaltungswege. Wer seinen Hauptsitz hierher verlegen möchte, den empfange ich hier. Der erhält einen persönlichen Service, den er nicht in Deutschland oder Frankreich bekommt. Ich sehe mich da in der Rolle des Dienstleisters, und diese Leute sind die Kunden.

Wie viele Unternehmen wurden denn bisher durch intensivierte Werbung, durch die Promotionsreisen angezogen??Es ist ein Fehler sich darauf zu konzentrieren, wie viele Firmen von außerhalb angezogen werden konnten. Wir haben hier Firmen, denen sollten wir erst einmal ein Umfeld schaffen, in dem sie sich willkommen fühlen, und ihnen die Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln. Deswegen sind wir dabei, den Sektorplan Aktivitätszonen aufzustellen. Wir haben Pläne, wie die einzelnen Zonen aussehen sollen. Die können wir selbstverständlich noch nicht vorlegen, bis wir ein System haben, um die Spekulation auf den Grundstücken zu verhindern. Das ist das Problem.

Wenn Sie auf Werbereise gehen, ist es aber doch auch ein Ziel, neue Firmen anzulocken? Ein Unternehmen mit 3 000 Mitarbeitern kommt doch heute nicht mehr nach Luxemburg. Von dieser Vorstellung muss man sich verabschieden und aufhören zu glauben, wir würden deswegen Promotionsreisen unternehmen. Unsere Promotion ist viel breiter angelegt. Welche Firmen das jetzt sind, ob Handwerk, Industrie oder Dienstleistung, das kann man so nicht aufrechnen. Fakt ist: In Luxem­burg werden jährlich 18 000 bis 19 000 Arbeitsplätze geschaffen. Netto, wie ich unterstreichen möchte. Wie viele davon auf die Promotionsanstrengungen zurückzuführen sind, lässt sich nicht sagen.

Sie haben außerdem eine Reform der Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in Unternehmen angekündigt. Was hat es damit auf sich? Der europäische Regelrahmen hat sich geändert. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollen Hilfs­instrumente an die Hand bekommen, um Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Wir werden ein Maximum der auf EU-Ebene beschlosse­nen Instrumente in die Luxemburger Gesetzgebung aufnehmen. 

In Ihrer Rede erinnerten Sie zudem an die Steuerbegünstigungen für geistiges Eigentum. Seit einem Jahr wird mit Spannung auf das Rundschreiben der Steuerverwaltung gewartet, das klären soll, ob Domain­namen geistiges Eigentum sind oder nicht. Hat sich denn das Problem auf EU-Ebene gelöst? Es war ja zu befürchten, dass die Maßnahme auf die Liste der schädlichen Steuerpraktiken landet, bevor sie jemals umgesetzt wird.Das Problem ist im Prinzip gelöst.

Das heißt??Das heißt, der Rat der Wirtschafts-  und Finanzminister wird bei seiner nächsten Sitzung seine Zustimmung geben. Das dürfte eine reine Formalität sein. Auf der Ebene der Arbeitsgruppe haben wir Anfang Oktober grünes Licht erhalten. Auch auf einem weiteren Punkt, wo es noch Schwierigkeiten gab: Auf geistigem Eigentum wird die Vermögenssteuer abgeschafft werden. 

Michèle Sinner
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