Der ehemalige Wirtschaftsminister Henri Grethen (DP) kokettierte gerne mit der Behauptung, dass es das Ziel eines jeden liberalen Wirtschaftsministers sein muss, sein Amt überflüssig zu machen. Denn man soll den Marktkräften nicht ins Handwerk pfuschen. Das sollte ihm aber bis 2004 nicht gelingen, als die Nachfrage nach liberalen Ministern einbrach.
Doch in Wirklichkeit ringt jeder Wirtschaftsminister damit, was Grethens Vorgänger, Robert Goebbels (LSAP), in einem Kommentar den „Ausverkauf des Hauses Luxemburg“ genannt hatte. Grethens Nachfolger Jeannot Krecké (LSAP) muss dieser Tage wieder heftig im Ringen um die Kontrolle über die Luxemburger Volkswirtschaft mitmischen.
Vor 14 Tagen beschloss die Regierung, zusammen mit der Sparkasse 12,15 Prozent der Luxair-Aktien zu kaufen. Die krisengeschüttelte Fortis-Bank hatte ihr am 10. Juni einen Brief geschrieben, dass sie nun nicht mehr länger warten könne, um die Beteiligung der ehemaligen Banque générale an der nationalen Fluggesellschaft zu verkaufen.
Ziel der Regierung ist es, einen stabilen Großaktionär für die nun vorübergehend zur Hälfte verstaatlichte Luxair einzusetzen, dem die Quadratur des Kreises gelingen soll: das Unternehmen nach privatwirtschaftlichen Kriterien zu führen und gleichzeitig zu gewährleisten, dass Luxemburg an das internationale Passagierflugnetz angebunden bleibt – auch im Interesse der anderen Bereiche der Wirtschaft und der internationalen Behörden.
Ebenfalls vor 14 Tagen wurde unter der Aufsicht des Wirtschaftsministers eine Absichtserklärung über die Fusion der nationalen Strom- und Gaslieferanten Cegedel und Soteg sowie der Saar Ferngas unterzeichnet. Der Staat, der derzeit 44,7 Prozent der Cegedel und 31 Prozent der Soteg hält, soll direkt und mittels der Nationalen Kredit- und Investitionsgesellschaft SNCI 39,1 Prozent des neuen Energieversorgers kontrollieren.
Denn auch in Zeiten der Globalisierung gibt es Bereiche einer Volkswirtschaft, die von strategischer Bedeutung sind, weil sie die Bevölkerung und die restliche Wirtschaft mit unverzichtbaren Produkten, Infrastrukturen und Dienstleistungen versorgen oder einfach ein sehr großes Gewicht in der Volkswirtschaft haben. Deshalb kann es weder der Bevölkerung, noch der Wirtschaft und also auch nicht den Politikern gleichgültig sein, wer über sie entscheidet. Und dies gilt um so mehr für eine sehr kleine Volkswirtschaft, die von einer Handvoll Branchen und Unternehmen abhängt.
So erstellt das Hochkommissariat für die nationale Sicherheit Krisenpläne, um Infrastrukturen von strategischer Bedeutung vor Naturkatastrophen und Terroranschlägen zu schützen. Ob ihrer ökonomischen Sicherheit außerhalb von Krisenzeiten aber die gleiche Bedeutung beigemessen werden soll, wird dagegen aus wirtschaftlichen oder ideologischen Gründen oft angezweifelt. Jedenfalls kann ein Festungs- und Identitätsmuseum lebhaftere Debatten auslösen.
Was ein Wirtschaftsbereich von strategischer Bedeutung für die Volkswirtschaft ist, lässt sich bereits an den Tatorten der Bommeleeër der Achtzigerjahre ablesen: Energieversorgung, Kommunikation, Transport – am Anfang der Attentatsserie stand ein Erpressungsversuch gegen die Cegedel.
Weniger wegen ihrer Zulieferung an andere Firmen als angesichts ihrer dominierenden Bedeutung in der Luxemburger Industrie gilt oder galt lange auch die Schwerindustrie als ein Sektor von strategischer Bedeutung. Deshalb war der Staat nach der nationalen Tripartite-Solidarität in den Siebziger- und Achtzigerjahren vorübergehend größter Aktionär der Arbed. Während des schließlich erfolgreichen Übernahmeversuchs durch Lakshmi Mittal hielt Premier Jean-Claude Juncker sich noch öffentlich an die Tageblatt-Schlagzeile „It’s NO, Mr Mittal!“, als Jeannot Krecké und Haushaltsminister Luc Frieden sich bereits diskret mit Lakshmi und Aditya Mittal trafen.
Heute hält der Staat noch 2,69 Prozent des Weltkonzerns und muss lange einladen, bis die Stahltripartite zusammenkommt. Auch weil die Regierung darauf verzichtet hatte, die Übernahme mit legislativen Mitteln abzublocken, um nicht dem Ansehen einer anderen Branche zu schaden, des von Liberalismus lebenden Finanzsektors.
Wenn auch die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung von strategischer Bedeutung für einen Staat ist – während Jahrzehnten der Kerngedanke der EU-Agrarpolitik –, stellt sich die Frage, ob eine Agrarpolitik die landwirtschaftlichen Betriebe auf Landschaftsgärtnerei und die Herstellung von Reformhausprodukten spezialisieren soll. Manche Länder betrachten wegen ihres Einflusses auf die politischen Debatten auch die Medien als strategische Wirtschaftszweige, aber im Land der Parteiblätter und des Werbefunks war dies nie ein Thema.
Die Idee der strategischen Wirtschaftszweige war am Ende des Zweiten Weltkriegs besonders verbreitet, als auch rechte Parteien die Verstaatlichung der Eisenbahn verlangten. Bis in die Siebzigerjahre war es dann der manchmal naive Glaube an einen kleinen, aber feinen Luxemburger Kapitalismus, der dafür sorgen sollte, dass wichtige Unternehmen in der Hand einheimischer Privatanleger, einheimischer Banken, wie Banque générale und Banque internationale, oder der für halbstaatlich gehaltenen Arbed waren.
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die beschleunigte Globalisierung, der Durchmarsch des Liberalismus und schließlich eine auf Privatisierung und Deregulierung bedachte EU-Politik, die sogar das Ende der Bezuschussung nationaler Anteilscheine mittels Loi Rau bedeutete, schränkten den Handlungsspielraum der Wirtschaftspolitik ein.
Dabei zeigt die Reorganisierung der Post oder der Eisenbahngesellschaft, welche Verrenkungen nötig sind, um staatliche Dienstleister als Privatunternehmen zu verkleiden, Rentabilitätskriterien mit flächendeckenden Dienstleistungen zu vereinbaren. Dass privatwirtschaftlich geleistete Dienstleistungen aber im Vergleich zu öffentlichen nicht unbedingt zuverlässiger sind, zeigen die privaten Kabelnetzbetreiber.
Im Juni 2006 rechtfertigte sich Premier Jean-Claude Juncker vor dem Parlament: „Wir sind als Staat auch mehr als Kapitalisten, die eine Gesellschaft führen. Denn wir haben andere Ambitionen, Pläne und Profile zu vertreten als Leute, die aus nicht bloß ökumenisch breit gestreutem kollektivem Gemeinsinn Geschäfte betreiben, sondern dies auch aus Eigeninteresse tun. Wir machen keine Industriepolitik aus Eigeninteresse. Wir machen Industriepolitik, weil wir politisch gewählte Vertreter eines Volkes sind.“