Ein Polizist mit steiler Karriere und Kontakten in viele politische Richtungen entpuppt sich als nützliches Glied in einem internationalen Agentenring: Egisto Ott, ehemals Mitarbeiter des damaligen Österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung BVT, sitzt seit Anfang April in Untersuchungshaft in Wien. Bereits zum dritten Mal. Der 61-jährige Kärntner, der sein Berufsleben als Polizist gestartet hatte, wird verdächtigt, Teil eines Spionagenetzwerks zu sein, das tief in Putins Russland reicht. Ott stehe im Verdacht, so ist es in der Festnahme-Anordnung formuliert, „zum Nachteil der Republik Österreich einen geheimen Nachrichtendienst der russischen Föderation (…) unterstützt zu haben“.
Indessen hat Christo Grozev, 55, Unternehmer und Journalist, seine Zelte in Wien abgebrochen. Der Investigativreporter mit bulgarischer Staatsangehörigkeit war mit seiner Familie nicht mehr sicher an der Donau, wo er 20 Jahre lang gelebt hatte. Der in Bulgarien geborene Grozev steuerte als Mitglied des investigativen Netzwerks Bellingcat heikle Recherchen etwa zu russischen Geheimdienstoperationen und Verstrickungen des Regimes bei; seit 2023 leitet er die Rechercheabteilung der russischen Internetmediums The Insider und wurde mit dem Europäischen Pressepreis für investigative Recherche ausgezeichnet. Mit seinem Team recherchiert er die Hintergründe zu schrecklichen Geheimnissen des russischen Staates: Verbindungen zum gescheiterten Giftanschlag auf den mittlerweile in sibirischer Haft verstorbenen Regimekritiker Alexej Nawalny oder zum Berliner Tiergartenmord. Zuletzt publizierte er Hinweise, dass hinter dem mysteriösen „Havanna-Syndrom“, das vorrangig amerikanische Agenten befiel, ebenfalls russische Geheimdienste stecken könnten.
Der Einbruch in seine Wiener Wohnung, als ganz offenkundig Profis in seiner Abwesenheit nach Computern und Datenträgern suchten, liegt bereits fast zwei Jahre zurück. Durch Recherchen des britischen Geheimdiensts kam jedoch nun ans Licht, dass offenbar ehemalige hochrangige österreichische Verfassungsschützer dabei ihre Hände im Spiel hatten und eine Spur zum international gesuchten Millionenbetrüger und vermutlichen Top-Spion Jan Marsalek führt. Der eingangs genannte Egisto Ott soll gemeinsam mit Martin Weiss, einem weiteren ehemaligen österreichischen Spitzenbeamten, Grozevs Meldedaten ausheben lassen und an Marsalek weitergegeben haben.
Im Wissen, dass österreichische Spitzenbeamte keine Skrupel hatten, Regimegegner wie ihn an Putins Agenten zu verraten, lässt Journalist Grozew kein gutes Haar an Österreich: „In Wien gibt es mehr russische Handlanger als Polizisten“, vermutete er gegenüber der Wiener Wochenzeitung Falter, und dem Österreichischen Rundfunk sagte er: „Sie haben geholfen, in meine Wohnung einzubrechen, den Computer meiner Familie zu stehlen und ihn dem russischen Geheimdienst zu übergeben. Das kommt mir vor wie ein Vertrauensbruch par excellence.“
Offenbar hat der Österreicher Marsalek, der als Ex-Wirecard-Vorstand Millionen von Anlegern um ihr Geld brachte, sensible IT-Technik an den russischen Geheimdienst geliefert. Dabei konnte er sich auf Verbündete in Wien stützen: eine vertraute kleine Runde österreichischer Spitzenbeamten des Verfassungsschutzes. Sie konnten innerhalb des österreichischen Polizeiapparates eine Art „nachrichtendienstliche Zelle“ installieren, wie der Vorgang im Ermittlungsakt beschrieben wird. All das geschah trotz mehrfacher Warnungen und unter den Augen der Vorgesetzten. Investigative Recherchen des Falter und des Standard in Wien legen nahe, dass diese quasi-nachrichtendienstliche Zelle über Jahre aktiv Datenbanken und Akten nach Material zu Dissidenten und Regimegegnern durchforstete, die sie an russische Dienste weiterreichte.
Dabei geriet Ott schon zweimal in Verdacht: Bereits 2017 gaben ausländische Geheimdienste einen ersten Hinweis auf Spionageverdacht. Der Beamte legt eine zunächst recht schnelle Karriere hin, vom Kärntner Gendarm zum Staatsschützer in der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (die unter anderem die Briefbombenserie der 1990-er Jahre aufklärt) bis zum Verbindungsbeamten in Rom und Ankara vergehen nur wenige Jahre. Zurück in Österreich, lernt er im Extremismusreferat im Rahmen seiner Aufgaben Mechanismen und Techniken verdeckter Ermittlungen und Beobachtungen, beobachtet Auffälligkeiten im linken wie rechten Spektrum und bildet V-Leute aus. Auch für das Thema Dschihadismus ist er zuständig.
Zu einem wichtigen künftigen Ansprechpartner wird ab 2015 Abteilungsleiter Weiss, den Ott aus seiner Zeit in der Terrorismusbekämpfung kennt, und dem er nun als persönlicher Assistent zugeteilt wird. Auch Weiss macht seinen Weg aus der Provinz als Aufsteiger bis in höchste Kreise und wird Counsellor in Brüssel. Beider Karriere gerät jedoch ins Stocken – und Insider vermuten in diesen Kränkungen den Auslöser dafür, gegen den eigenen Dienstgeber zu agieren und sich Ansehen, Bedeutung und nicht zuletzt möglicherweise das nötige Kleingeld auf anderen Wegen zu verschaffen.
Das lukrative Zweitgeschäft hieß Nachrichtenhandel. Über Jahre hinweg sollen sich die beiden mit Beschaffung und Weitergabe geheimer Daten zu einer zerstörerischen Zelle innerhalb des Staatschutzes entwickelt und gemeinsam daran gearbeitet haben, den Verfassungsschutz zu destabilisieren. Dabei kam ihnen ab 2017, als die Freiheitliche Partei mit Karin Kneissl als Außenministerin und Herbert Kickl als Innenminister die beiden für sie zentralen Ressorts innehatte, die Russlandnähe der Regierungspartei zupass. Auch die Intention Kickls, im traditionell konservativ regierten Innenministerium „aufzuräumen“ und die schwarze Beamtenschaft durch Gesinnungsleute zu ersetzen, kam gelegen. Eine von Kickl – wie sich später herausstellte, auf rechtswidrige Weise – angeordnete Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz besiegelte dessen Destabilisierung, die Behörde wird schließlich aufgelöst.
Jahre später gibt auch Martin Weiss zu Protokoll, dass diese Entwicklung ganz im Sinne seines Freundes Marsalek verlaufen war. International dagegen führen die Geschehnisse dazu, dass andere Geheimdienste das Vertrauen in das BVT verlieren und auf Distanz zu Österreich gehen. Im November 2017 wird Ott nach Hinweisen ausländischer Nachrichtendienste, er habe Informationen an Russland verkauft, vorläufig suspendiert. Die Suspendierung wird jedoch bald wieder aufgehoben und Ott in die Sicherheitsakademie versetzt. Offenbar ist es ihm auch von dort aus gelungen, weiterhin seine persönlichen Kontakte zu nutzen und Personenabfragen ohne dienstlichen Hintergrund zu veranlassen. Auch eine zweite Suspendierung 2021 wird jedoch bald wieder aufgenommen.
Nun erhebt die Staatsanwaltschaft erneut schwere Vorwürfe gegen Ott: Er habe „systematisch nicht für die Öffentlichkeit bestimmte geheime Tatsachen und Erkenntnisse sowie personenbezogene Daten aus polizeilichen Datenbanken zum Zweck der Übermittlung an Jan Marsalek und an unbekannte Vertreter der russischen Behörden gesammelt“ , heißt es in der Anklageschrift. Zur U-Haft hatte unter anderem ein Unfall geführt, der zunächst wie eine Posse erschien. Bei einem Kanu-Ausflug des Innenministeriums waren hochrangige Beamte aus einem kippenden Boot gefallen; ihre Mobiltelefone wurden nass, auch das des Kabinettschefs des Innenministers. Zur Wiederherstellung der Daten wurden sie in die IT-Abteilung gebracht. Ein Mitarbeiter sicherte die Daten nicht nur, sondern gab sie auch an Ott – der die Dateien mit Staatsgeheimnissen seinerseits weitergegeben haben soll.
Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Ott und seinen Geheimdienst, der dem Netzwerk um Marsalek zu Daten nicht nur aus Österreich verholfen haben soll. Eine Affäre, die Fragen aufwirft über die Verbindungen Russlands in die österreichische Innenpolitik; darüber, wie das Ausmaß und das Ziel der geheimen Aktivitäten von Spitzenbeamten so lange unentdeckt bleiben konnten; und darüber, ob Behördenversagen und möglicherweise politische Ignoranz beigetragen haben, Menschenleben zu gefährden.