Ohne die LSAP gäbe es keinen sozialen Fortschritt, erklärte Parteipräsidentin Francine Closener auf dem Kongress zu den Landeswahlen. Spitzenkandidatin Paulette Lenert sagte, die Lohnabhängigen bekämen nicht genug von den Produktivitätsgewinnen ab. „Wenn der Wohlstand nicht mehr im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum steht, dann ist das keine Fatalität für uns.“
Das klang, als setze die LSAP im Wahlkampf wie 2018 auf den Sozialstaat, ihren traditionellen Politikfundus. Weil auf die Corona-Krise nahtlos eine Krise in der Energieversorgung und der Bereitstellung von Primärmaterialien folgte, Russlands Überfall auf die Ukraine alles noch verschlimmerte, die Inflation in die Höhe schnellte und die Regierung dem mit drei Tripartite-Paketen entgegensteuerte. Was bis Ende 2022, Covid-Ausgaben inklusive, 5,5 Milliarden Euro kostete. Weil die Krisenlage anhält, viele Menschen sich Sorgen machen, könnte der Ansatz der LSAP lauten, dass der Sozialstaat es nötig habe, durch sie verteidigt zu werden.
Als Verteidigerin des Sozialstaats empfiehlt die LSAP sich in ihrem Wahlprogramm auch, widmet sich dem aber erst weiter hinten im Text. An der ersten Stelle steht „Nouvelle génération et générations futures: miser sur les jeunes pour un meilleur monde demain“. Die LSAP verspricht darin, für eine Gesellschaft einzutreten, „où les jeunes sont non seulement entendus, mais aussi activement impliqués dans les décisions qui les concernent“. Schließlich handelten die aktuellen politischen Diskussionen von ihrer Zukunft.
Vor allem geht es in diesem Kapitel um die Schule. Die LSAP will die Orientierung reformieren; Schüler/innen und Eltern sollen „individualisiert“ über schulische und berufliche Perspektiven informiert werden. Die Ressourcen für die Grundschulen sollen nach dem Sozialindex „gezielter“ an die Gemeinden fließen. Im Zyklus 1 soll es eine zweite Lehrperson geben. Fällt das laufende Pilotprojekt entsprechend aus, würde die LSAP in der Grundschule die Alphabetisierung auch auf Französisch verallgemeinern. Im Secondaire würde sie den Sprachenunterricht flexibilisieren, die Schüler/innen sollen zwischen einer Hauptsprache und einer oder zwei Nebensprachen wählen können, je nach ihren Fähigkeiten und Interessen. Und: Die LSAP will die unter DP-Minister Claude Meisch geschaffenen Europaschulen im Grundschulbereich „mittelfristig“ den öffentlichen Schulen „annähern“. Langfristig will sie das öffentliche Schulangebot vereinheitlichen. Die Rolle der Elternvertretungen würde sie redefinieren, „pour qu’ils puissent rééllement participer à la vie scolaire et que leur voix soit entendue“.
Schulpolitik ist ein strategischer Schwerpunkt im Programm. Hervor sticht noch der Vorschlag, eine vierjährige kombinierte Ausbildung einzurichten, die sowohl zu einem DAP-Berufsabschluss als auch zur allgemeinen Hochschulreife führen würde. Ein „enseignement sociétal“ soll kritisches Denken fördern. Von dort ist es nicht weit zur Senkung des (freiwilligen) Wahlalters auf 16 Jahre.
Transversal angelegt ist das Kapitel „Une société intergénérationnelle, inclusive et égalitaire des genres“. Die LSAP will die freie Wahl bei der Eintragung des Geschlechts in offizielle Dokumente und den Personalausweis einführen, „rigoros“ gegen Diskriminierung von LGBTIQ+-Personen vorgehen lassen. In den Betrieben sollen sämtliche Gehälter bekanntgemacht werden (das steht in einer EU-Richtlinie von diesem Jahr). Den „Pension gap“ will sie unter anderem durch Anreize an beide Elternteile verkleinern, nach einem Elternurlaub eine Weile Teilzeit zu arbeiten, während die Staatskasse „einen Teil“ des Vollzeit-Äquivalents der Beiträge zur Rentenkasse übernehmen „könnte“. Älteren soll ein „Spezialfonds“ helfen, die Unterbringungspreise in Alten- und Pflegeheimen zu erschwingen; bisher zahlt der nationale Solidaritätsfonds ein complément. Die LSAP verspricht, neue Wohnformen für Ältere zu schaffen und „community health nurses“ in den Gemeinden einzuführen.
In Sachen Wohnungsbau hat LSAP-Innenministerin Taina Bofferding einige politische Mitverantwortung. Etwa, was das Planungsverhalten der Gemeinden betrifft und die Gemeindefinanzen. Federführend bei der Grundsteuerreform war sie auch. Deshalb kann die LSAP zu dem von ihr wie die Schule zur „nationalen Priorität“ erklärten Wohnungsbau kaum mehr versprechen, als die zügige Umsetzung der von der Regierung egriffenen Maßnahmen: Henri Kox’ Reformen des subventionierten Wohnungsbaus und der Wohnungsbeihilfen, über die nächste Woche die Kammer abstimmen soll. Bofferdings Gesetzentwurf über den „Baulandvertrag“, der noch nicht soweit ist. Weil Paulette Lenert meint, eine Beschleunigung der „Prozeduren“ würde viel bringen, stellt das Programm sie in Aussicht. Die von Lenert in ihrer Kongressrede versprochene Übernahme von 25 Prozent der Mietwohnungen in die öffentliche Hand stellt die LSAP sich „mittelfristig“ vor: zehn bis 15 Jahre könne das dauern. Zur Finanzierung des Baus erschwinglicher Mietwohnungen will sie einen „Fonds d’investissement“ einrichten. Was vielleicht eine Idee aus dem DP-Wahlprogramm 2018 aufgreift, die es in den Koalitionsvertrag schaffte, aber nicht konkretisiert wurde. Erweiterungen der Perimeter würde die LSAP nur zulassen, wenn sie einen „minimalen“ Klima-Fußabdruck hätten.
Zu den politisch interessanten Kapiteln im Programm zählt das über die Gesundheit. Die LSAP betont in der Einleitung, sie lehne „kategorisch“ eine Zweiklassen-Medizin und eine Auflösung der Vertragsbindung der Dienstleister an die CNS ab. Einen klaren politischen Plan mit strategischen Prioritäten und ihrer Umsetzung, wie ihn Paulette Lenert am Gesondheetsdësch nicht hatte, hat die LSAP nun vielleicht: Sie geht davon aus, die Spitäler als den Kern der Versorgung stärken zu müssen. Die Klinikärzt/innen würden ein „einheitliches und attraktives“ Statut erhalten, „tout en maintenant l’activité libérale en cabinet“. Ob das Salariatsmedizin in allen Kliniken heißt, wie das vor 50 Jahren die DP-LSAP-Koalition für das CHL vorsah, ist nicht klar. Die vier Centres hospitaliers will die LSAP an einem „Hôpital universitaire“ beteiligen, das auf die Standorte der vier Klinikgruppen verteilt wäre. Auf der anderen Seite der Versorgung will sie Gemeinschaftspraxen von Ärzt/innen und anderen Gesundheitsberufen ausbauen und fördern; ins Angebot dieser Praxen könne auch Psychotherapie integriert werden. Am Gesetzentwurf Paulette Lenerts über Handelsgesellschaften im außerklinischen Bereich hält die LSAP fest. Jedenfalls vorerst, denn er könnte die Tür für Finanzinvestoren aus dem Ausland öffnen, weil sich das auf dem EU-Binnenmarkt und wegen der Niederlassungsfreiheit schwer verhindern ließe.
Der Abschnitt zum Umweltschutz ist kurz. Die Aussagen zur Klimapolitik gehen kaum weiter als ein Bekenntnis zu den EU-Gesetzesinitiativen „Fit for 55“ und zum neuen Energie- und Klimaplan der Regierung. Bereichert wird das Kapitel durch das Vorhaben, Reisen mit Privatflugzeugen an Destinationen zu verbieten, die innerhalb von drei Stunden auch mit der Bahn erreichbar sind. Der Parteikongress nahm es auf Initiative der Jungsozialisten an. Wie die LSAP das Verbot umsetzen würde, weiß sie vermutlich noch nicht. Der Nutzung der Atomenergie erteilt sie eine Absage. AKW sollten „progressiv“ geschlossen werden. Im Abfallbereich würde sie ein Pfandsystem für Plastikflaschen einführen. „Konsequent“ sollte das Verursacherprinzip durchgesetzt werden, Paulette Lenert sagte dazu am Dienstag, Beispiel dafür könne die CO2-Steuer sein. Das Naturschutzgesetz würde die LSAP so reformieren, dass es keinen „Verbotsnaturschutz“ geben würde. Allerdings enthalten schon EU-Naturschutzregeln Verbote.
Zum Sozialstaat sticht hervor, dass die LSAP offenbar keinen Anlass für eine weitere Rentenreform erkennt. Um der Rentenkasse zu Zusatzeinnahmen zu verhelfen, würde sie eine „Robotersteuer“ einführen, die Grünen haben diese Idee auch. Die Familienleistungen würde die LSAP in die Sozialversicherung integrieren. Den Erste-Klasse-Zuschlag im Krankenaus würde sie abschaffen, aber das wollte sie schon oft.
Im Abschnitt über die Steuern kommt die LSAP auf ihre Vorschläge zurück, die sie vor einem Jahr gemacht hatte. Zur Berechnung der Einkommensteuer für natürliche Personen würden Einkünfte bis zum unqualifizierten Mindestlohn steuerfrei. Die Steuerstufen würden anders verteilt. Für versteuerbare Einkünfte zwischen 26 067 und 48 837 Euro jährlich würde die Besteuerung von Stufe zu Stufe um je einen Prozentpunkt zunehmen. Zwischen 48 837 und 60 000 Euro würde der Steuersatz 40 Prozent betragen. Um weitere je zwei Prozentpunkte stiege er in den Tranchen 60 000 bis 100 000 Euro, 100 000 bis 180 000 Euro und 180 000 bis 300 000 Euro (dann läge er bei 46%). Die LSAP „suggère“ darüber hinaus 48 Prozent Steuersatz für versteuerbare Jahreseinkommen zwischen 300 000 und 500 000 Euro und 49 Prozent für noch höhere. Parteipräsidentin Closener hatte auf dem Kongress gesagt, „wer behauptet, die Steuern könnten für alle sinken, sagt nicht die Wahrheit“.
Wie die Regierung es eigentlich vorhatte, will die LSAP für eine einheitliche Steuerklasse sorgen und die Progression dort „später“ einsetzen lassen. Bis die Einheitsklasse steht, sollen in der Klasse 1A entweder kleine und mittlere Einkommen entlastet, oder die Übergangsphase zwischen Klasse 2 und 1A auf fünf Jahre verlängert werden. Familien mit Kindern sollen einen Steuerkredit pro Kind erhalten. Geschiedene, die sich die Kinderbetreuung teilen, erhielten ihn hälftig. Den Steuerkredit für Alleinerziehende würde die LSAP ausbauen und die Schwelle, ab der eine Alimente ihn reduziert, von 2 424 auf 4 560 Euro heraufsetzen. Ebenfalls auf 4 560 Euro erhöhen (heute: 4 020 Euro) würde sie den maximalen Steuerabschlag auf Kinder, die nicht im Haushalt des Steuerpflichtigen leben. Berufsanfänger/innen würde die LSAP während fünf Jahren einen Steuerkredit von bis zu 200 Euro gewähren.
Die Betriebsbesteuerung würde die LSAP nur im Rahmen der G20-Abmachung für multinationale Unternehmen senken, die einen Höchstsatz von 15 Prozent auf die Unternehmensgewinne vorsieht. Die LSAP kündigt an, „il y a également lieu de se pencher sur le problême es bases d’asiette“; was sie damit meint, würde einem Gesetzentwurf zu entnehmen sein. Betrieben, die zum ersten Mal einen Kollektivertrag abschließen, würde sie einen befristeten Steuervorteil gewähren. Ebenso Betrieben mit einem Projekt zur „ökologischen oder digitalen Transition“. Betriebe mit weniger als 175 000 Euro versteuerbarem Einkommen soll die Solidaritätssteuer um vier Prozent nachgelassen werden. Einer Finanztransaktionssteuer würde die LSAP zustimmen, wenn sie für alle OECD-Staaten verbindlich wäre. Zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die die Grünen vor zwei Wochen ins Spiel gebracht hatten, würde die LSAP sich nicht „einer Analyse widersetzen“. Einer Besteuerung der Wertsteigerung von Grundstücken nach Umwidmung im kommunalen PAG zu Bauland steht sie „positiv“ gegenüber.