Der Wahlprogramm-Kongress der Grünen vergangenen Samstag im Forum Geesseknäppchen dauerte nur zwei Stunden. Die Hälfte der Zeit hielt Spitzenkandidatin Sam Tanson eine wenig leidenschaftliche Rede; die Kombination von Politik und Emotionen ist nicht ihr Ding. Mit etwas mehr Angriffslust vertrat zwei Tage später Parteipräsident Meris Sehovic die grüne Programmatik im RTL Radio.
Doch was heißt Angriff: Für Déi Gréng geht es strategisch nicht um den Premier-Posten. Sondern um eine dritte Runde mit DP und LSAP. Vor fünf Jahren gingen sie davon aus, dass kein Weg an der CSV vorbeiführte. Nähe zu ihr suchten sie mit einem moderaten Wachstumswahlkampf. Ohne Überfremdungsängste zu schüren, sondern um von einer Position intellektueller Redlichkeit aus zu fordern: „wir [müssen] die Geschwindigkeit und die Art und Weise unseres Wachstums in Frage stellen“.
Auf den 167 Seiten des Programms 2023, das noch kein Motto hat und bis zum gestrigen Donnerstag nur als Textdokument ohne Layout auf der Webseite der Partei stand, kommt „Wachstum“ ebenfalls vor. Aber nur fünf Mal und nicht als Entwicklung, die Luxemburg zu überfordern drohe, sondern die durch Management beherrschbar sei. Durch einen „Stresstest“ für die Wasserversorgung etwa (S. 83), mit neuen Schulen (S. 127) und weiteren Psychiatrie-Betten (S. 141). Dass „wir – trotz Bevölkerungswachstums – weniger Restmüll produzieren“, wird auf der ersten Seite des Programms als Erfolg angeführt.
Ihr politisches Kerngeschäft, den Umwelt- und Naturschutz, stellen Déi Gréng wie 2018 an vorderste Stelle. Der erste Satz im Programm lautet: „Die Natur braucht uns nicht. Wir aber brauchen sie. Wir haben nur diesen einen Planeten...“ Elf Seiten lang ist das Kapitel zum Arten- und Ressourcenschutz, in dem auch immer wieder „besser schützen“, „strenger Schutz“ oder „wenn nötig, verstärken“ vorkommen. So wollen die Grünen „30% der nationalen Fläche unter Schutz stellen“, ein Drittel davon unter „strengen Schutz“. Gleichzeitig versprechen sie „administrative Hürden im Umweltbereich“ abzubauen und „Genehmigungsprozeduren [zu] beschleunigen und [zu] digitalisieren“ (S. 4).
Wie kategorisch grün oder aber auf politische Machbarkeit hin optimiert das Programm aufgestellt werden sollte, war Gegenstand interner Diskussionen. Am Samstag war davon kurz ein Echo zu vernehmen: Die Bettendorfer Mobilitäts-Aktivistin Laure Simon-Becker schlug vor, der Aufzählung von Straßenbauvorhaben im Wahlprogramm (S. 73/74) hinzuzufügen, sie würden nur realisiert, falls „kurzfristig kein Abwärtstrend bei der individuellen Mobilität zu erkennen“ ist. Sie wolle „nicht in einer Partei sein, von der es heißt, ah, das sind doch die mit den Straßen!“ Der deshalb ein wenig aufgebrachte Minister François Bausch belehrte sie, seit seinem nationalen Mobilitätskonzept PNM 2035 seien Straßen „multifunktionale Korridore“ und sollten unter anderem den Autoverkehr innerorts reduzieren. Übrigens sei das PNM „schon zweimal international ausgezeichnet“ worden. Bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung gab der Kongress Bausch recht.
Die Straßen-Frage war einer der wenigen Änderungsanträge, über die separat abgestimmt wurde. 130 Anträge waren beim Exekutivkomitee der Partei insgesamt eingegangen. 200 weniger als 2018 zwar, doch angesichts der kurzen Zeit, die zum Aufstellen des Programms zur Verfügung stand, nicht so wenige. Mit 100 Anträgen erklärte die Exekutive sich einverstanden; der Kongress nahm sie en bloc an. Nur wenige Delegierte legten Wert darauf, ihren Antrag noch zu präsentieren. Fabricio Costa etwa, Sprecher der Jonk Gréng, hatte sich dafür eingesetzt, „Klimaneutralität“ nicht erst in 20 Jahren anzustreben (also 2043), sondern „bestenfalls“ 2040. Ein großer Unterschied ist das nicht, und es wurde akzeptiert. Zustimmung erhielt auch seine Idee, jedem Kind ab der Geburt einen Anteil an dem öffentlichen Investitionsfonds zur Finanzierung der Energiewende zu geben (S. 14). Die Grünen wollen den Fonds für Investitionen in erneuerbare Energien in Luxemburg einrichten. Bürger/innen, die sich beteiligen, sollen eine „grüne Rendite“ erhalten (S. 14).
Technikgläubig und marktkonform ist der klima- und energiepolitische Ansatz, der bis in die Wirtschaftspolitik hinüberreicht. Und als Angebot, aus der „Energie-Transitioun“ das föderierende Thema für die nächste Regierung zu machen, scheint er sich eher an DP und LSAP zu richten als an die CSV, die den Grünen wegen Spitzenkandidat #Luc nicht geheuer ist. Sam Tanson frohlockte am Samstag, dank Déi Gréng sei das „Luxemburger Modell“ der Energiewende sogar „exportfähig“. Weil es ohne Verbote auskommt. Anders als in Deutschland, wo der monatelange koalitionsinterne Streit um das „Heizungsgesetz“ die Grünen um Wirtschaftsminister Robert Habeck den höchsten politischen Preis kostete. Tanson klagte, das „Grünen-Bashing“ sei „über die Mosel zu uns geschwappt“.
Im Energie-Kapitel von Déi Gréng kommt „Pflicht“ nur als „Solarpflicht“ für neue Wohngebäude (das liegt in der Linie schon geltender Verordnungen) und Parkhäuser vor (S. 58). Sowie als „Ladesäulenpflicht“ für öffentliche Institutionen und öffentlich zugängliche Parkplätze (S. 65). Abgesehen davon verspricht die Partei, „ausreichend finanzielle Mittel bereitzustellen, damit alle Sektoren und alle Bürger*innen an der Energiewende teilnehmen können“ (S. 57). Die Erzeugung grünen Stroms an und die energetische Renovierung von Wohnhäusern soll staatlich „vorfinanziert“ werden; zunächst testweise für einkommensschwache Haushalte, danach für alle (S. 58). Wer grünen Strom selber produziert, soll ihn auch selber verbrauchen und darauf keine Steuern zahlen müssen (S. 59). Für die „Wärmewende“ versprechen die Grünen eine „gute Förderkulisse und organisatorische Hilfen beim freiwilligen Umstieg von einer fossilen Heizung“ (S. 62). Für eine „Wärmepumpenoffensive“ wollen sie die Förderprogramme „weiterführen“ (S. 63). Für Elektroautos auch; für Haushalte mit niedrigem Einkommen sollen sie durch ein „soziales Leasing“ erschwinglich werden (S. 65).
Unternehmen werden ebenfalls Hilfen zum energetischen Umstieg in Aussicht gestellt. Wirtschaftspolitik ist im grünen Wahlprogramm in erster Linie Energiepolitik. Erwähnt werden vor allem Industrie, Handwerk, Einzelhandel und Tourismus. Dem Finanzplatz sollen „Sorgfaltspflichten (,due diligence‘) zu Menschenrechten und Umweltschutz“ auferlegt werden (S. 105).
Wie die für alle bekömmliche Energiewende finanziert werden soll, ist dem Programm nicht klar zu entnehmen. Dass der öffentliche Transitionsfonds nicht alles tragen soll, ist zu vermuten. Bliebe es beim aktuellen Finanzierungsmodus, würde nicht zuletzt die CO2-Steuer herangezogen. Déi Gréng wollen sie weiterhin jedes Jahr um fünf Euro pro CO2-Tonne erhöhen. Was vorwegnimmt, dass ab 2027 ein europäischer CO2-Preis von 45 Euro die Tonne gelten soll; bei Beibehaltung des aktuellen Besteuerungsrhythmus’ käme Luxemburg dann genau dort an. Jedoch wollen die Grünen, „die Preise für Tabakprodukte an die Preise unserer Nachbarländer angleichen“ (S. 140). Das ist mehr als ein Detail, denn das Tankstellengeschäft funktioniert im Paket. DP-Finanzministerin Yuriko Backes erklärte RTL vor einer Woche, die Staatskasse schöpfe mittlerweile eine Milliarde Euro jährlich aus den Akzisen und der TVA auf Tabak. Ein Ende des Tabaktourismus ergäbe folglich ein Milliardenloch. Und wäre vielleicht auch das Ende des letzten Stücks Tanktourismus, das die Energiewende aus dem Ausland finanzieren hilft. Robert Habeck hat so einen Trumpf nicht in der Hinterhand.
Dabei versprechen Déi Gréng auch eine „gerechte Steuerreform“. Eine einzige Steuerklasse künftig sowie Entlastungen bis zum dreifachen Mindestlohn. Was sich vielleicht nicht nur durch stärkere Besteuerung höherer Einkommen gegenfinanzieren lässt. Für eine wieder eingeführte Vermögenssteuer will die Partei einen Freibetrag von einer Million Euro gewähren, außerdem Eigenheime davon ausnehmen, in denen die Steuerpflichtigen selber wohnen. Auch Kapitalerlöse wollen die Grünen „stärker“ besteuern. Und, ganz neu, Mehrwerte, die sich aus der Umwidmung von Grünland in Bauland ergeben. Ebenfalls ganz neu: eine CO2-abhängige Immatrikulationstaxe für Autos. Solange es Verbrennerautos noch gibt. Ob sich das zum Aufreger im Wahlkampf entwickelt, bleibt abzuwarten: Es steht auch im neuen Energie- und Klimaplan (Pnec) der Regierung, der auch DP und LSAP angehören.