Die Grünen haben in dieser Woche Soforthilfe wegen der steigenden Gaspreise versprochen und damit die politische Rentrée frühzeitig eingeläutet. Gleichzeitig haben sie für die Tripartite im Herbst „den Terrain preparéiert“

Harter Winter, heißer Herbst

Die Tankstelle  in Lonkech verfügt über eine einzige Zapfsäule
Foto: Luc Laboulle
d'Lëtzebuerger Land vom 02.09.2022

Claude Turmes holte am frühen Dienstagmorgen die Regierung jäh aus ihrem Urlaub zurück, als er auf Twitter mitteilte, der Strom- und Gasanbieter Enovos habe eine signifikante Gaspreiserhöhung beschlossen und andere Anbieter würden nun ähnliche Entscheidungen treffen müssen. Den Bürger/innen und Unternehmen stehe ein harter Winter bevor, verkündete der grüne Energieminister, deshalb werde die Regierung nicht nur die Übernahme der Gasnutzungskosten verlängern, die sie unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar beschlossen hatte, sondern auch neue gezielte Maßnahmen ergreifen, um denen zu helfen, die am meisten unter dem Gaspreisanstieg leiden.

Ganz neu war die Verlautbarung nicht. Nachdem vor drei Wochen der EU-Notfallplan Gas in Kraft getreten war, hatte Enovos-Verkaufsdirektor Claude Simon bereits im RTL Radio einen Preisanstieg um 80 Prozent für den Herbst angekündigt. Zwei Tage später meldete RTL dann, auch der Strom werde Anfang nächsten Jahres um 35 Prozent teurer, was einerseits an der sogenannten Merit-Order liegt, derzufolge der Strompreis sich nach dem teuersten Kraftwerk an der Strombörse richtet, also derzeit ein mit Gas betriebenes. Andererseits sind in Frankreich 32 der insgesamt 56 Atommeiler wegen Wartungsarbeiten oder Korrosionsüberprüfungen vom Netz und die Wasserkraftwerke in Norwegen, Italien, Spanien und Portugal sind wegen niedriger Wasserstände infolge der langen Dürre weniger leistungsfähig.

Trotzdem sorgte der Tweet von Turmes am Dienstag in den sozialen Medien für viel Aufregung, denn bevor Russland seine Lieferungen begrenzte, galt Gas noch als günstige und halbwegs ökologische Heizquelle, mindestens solange, bis nachhaltigere Alternativen in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. In der Folge überschlugen sich die Oppositionsparteien mit Vorschlägen, wie sie die Mehrausgaben für die Privathaushalte staatlich kompensieren wollen. Déi Lénk wiederholte ihre Forderung nach einem gestaffelten Steuerkredit, die Piraten verlangten einen Energiebonus von 150 Euro monatlich für alle Haushalte und die CSV will die Einkommensgrenze für den Erhalt der Energieprämie verdoppeln.

Was wollte Turmes mit seinem Tweet bewirken? Offiziell hieß es, er habe damit nur noch einmal auf die von Enovos durch eine kleine Anzeige im Wort angekündigte Preiserhöhung hinweisen wollen. Mit den anderen Regierungsmitgliedern war sein Vorstoß offenbar nicht abgesprochen. Offensichtlich waren Turmes‘ Äußerungen Teil einer politischen „Offensivstrategie“, die seine Partei entwickelt hat, auch um von dem am Mittwochabend abgelaufenen „Tankrabatt“ abzulenken, dem eigentlich nur CSV und ADR nachtrauern, und den die Grünen lediglich aus Koalitionsräson mitgetragen hatten.

Nur einen Tag nach dem Tweet von Turmes legte seine Partei nach. Die Ko-Vorsitzenden Djuna Bernard und Meris Sehovic forderten auf ihrer „wegen der Multikrisen“ um einen Monat vorgezogenen Rentrées-Pressekonferenz gezielte finanzielle Soforthilfen für Bürger/innen mit kleinen und mittleren Einkommen. „Lieber 1 000 Euro für die, die es wirklich brauchen, als 100 Euro für jeden“, meinte Sehovic am Mittwoch. Auch Betrieben, die unter den steigenden Heiz- und Stromkosten leiden, wollen die Grünen helfen. Auf die Art der Unterstützung wollten Bernard und Sehovic sich noch nicht festlegen, präzisierten aber, dass sie noch vor Beginn der Tripartite beschlossen werden, für Einkommen in einer Größenordnung von bis zu 80 000 Euro jährlich gelten und gestaffelt sein solle. In Frage käme wohl ein Energiescheck, von dem voraussichtlich nur Einwohner/innen profitieren würden, oder ein Steuerkredit, der auch Grenzpendler/innen zugute käme.

Finanzieren wollen die Grünen ihre Hilfe – falls nötig – mit zusätzlichen Staatsschulden, die zu einem späteren Zeitpunkt über eine Solidaritätssteuer für „Superreiche“ und Betriebe mit hohen Gewinnen wieder abbezahlt werden könnten.

Ob der Regierungsrat die von den Grünen vorgeschlagene Soforthilfe heute annehmen wird und wenn ja, in welcher Form, bleibt abzuwarten. Die LSAP dürfte damit kein Problem haben, außer vielleicht, dass sie es versäumt hat, im langsam beginnenden Wahlkampf in dieser sozialen Frage selbst in die Offensive zu gehen. Weder Vize-Premierministerin Paulette Lenert, noch Wirtschaftsminister Franz Fayot haben sich jedoch bislang dazu geäußert. Die DP, die das Familien- und Finanzressort besetzt, dürfte über Turmes’ Alleingang weniger amused gewesen sein. Während Corinne Cahen seit drei Wochen nicht mal mehr auf Facebook aktiv ist, weilte Finanzministerin Yuriko Backes, nach ihrem Treffen mit ihren liberalen und konservativen „deutschsprachigen“ Amtskollegen vergangene Woche in der Schweiz, am Dienstag als Ehrengast bei einer Gedenkzeremonie der Fédération des Enrôlés de force. Staatsminister Xavier Bettel plauderte derweil in Paris mit der französischen Premierministerin Elisabeth Borne über die Großregion und mit seinem Freund Emmanuel Macron über Europa. Ob Bettel den französischen Präsidenten auch vor dem Verkehrschaos warnte, zu dem es am Wochenende in Lonkech kommen könnte, wenn 10 000 CSV-Mitglieder mit ihren Süvchen zur einzigen Zapfsäule in der Kleinstadt pilgern werden, um der gestern noch einmal erhöhten französischen Version des Tankrabatts zu huldigen, ist nicht bekannt. Für die Luxemburger Regierung scheint der Tankrabatt jedenfalls endgültig vom Tisch zu sein. Gekostet hat diese appeasement-politische Maßnahme sie samt Verlängerung im August schätzungsweise 65 Millionen Euro, was sie eingebracht hat, ist schwer zu berechnen. Laut Finanzministerium ist derzeit keine Verlängerung vorgesehen, auch Gerüchte über die Einführung eines neuen, höheren Tankrabatts weist das Ministerium zurück: Zum Erreichen der Klimaziele wolle man sich mittel- bis langfristig vom Tanktourismus verabschieden; Alternativen, um den staatlichen Einnahmeverlust durch die Akzisen auf Erdölprodukte zu kompensieren, müssten noch gefunden werden.

Zum Index wollten die Grünen am Mittwoch nicht eindeutig Stellung beziehen. Am 14. September will die Regierung sich erneut mit den Sozialpartnern zu bilateralen Gesprächen treffen, ein Termin für die Tripartite steht noch nicht fest. Sowohl Patronat, als auch Gewerkschaften haben sich aber bereits öffentlich positioniert. Die Handwerkerkammer hat vergangene Woche ihren Konjunkturbericht vorgestellt. Laut einer nicht veröffentlichten Umfrage, an der 1 400 von 8 000 Unternehmen sich beteiligt hätten, seien die Handwerksbetriebe mit steigenden Rohstoffpreisen und höheren Löhnen konfrontiert, sagte ihr Präsident Tom Wirion im Radio 100,7 – bei der Aktivität sei eine Stagnation zu beobachten. Auf Gewerkschaftsseite gab Patrick Dury vom bislang eher zurückhaltend aufgetretenen LCGB sich am Montag im Le Quotidien kämpferisch und schloss die Streichung einer Index-Tranche kategorisch aus.

Dass die Regierung mit der von den Grünen nun vorgeschlagenen Soforthilfe, die laut Djuna Bernard „den Kaufkraftverlust bis in die Mittelschicht hinein“ kompensieren soll, ebenfalls für die Tripartite „den Terrain preparéiert“, ist nicht auszuschließen. Sie könnte sie in den Verhandlungen um den Index strategisch einsetzen – beispielsweise, um die immer unausweichlicher zu werden drohende Streichung einer Tranche zu legitimieren; umso mehr die Direkthilfe eher dem Anspruch der Grünen entspricht, selektiv den sozial Schwachen zu helfen, statt Geld „mat der Strenz“ zu verteilen, wie es dem Indexmechanismus häufig vorgeworfen wird – ein Ansatz, den inzwischen auch die LSAP vertritt.

Die Grünen hegen die Hoffnung, dass die aktuelle Energiekrise, gepaart mit extremen Wetterphänomenen wie der historischen Dürre in weiten Teilen Europas und den dramatischen Überschwemmungen in Pakistan, das Bewusstsein der Menschen für die Notwendigkeit der Klimawende schärfen und endgültig zu einem Umdenken führen wird. Emmanuel Macron hatte vergangene Woche „la fin de l᾽abondance, la fin de l᾽insouciance“ verkündet.

Schon Mitte Juli hatte die EU-Kommission im Rahmen ihres Notfallplans die Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, vom 1. August bis zum 31. März den Gasverbrauch um 15 Prozent zu senken. Behörden, Eigentümer von öffentlichen Gebäuden, Energieversorger, Industrieunternehmen und Verbraucher/innen sollten ihren Beitrag dazu leisten. Auch die von den Grünen nun vorgeschlagene Hilfe geht einher mit der Aufforderung, Gas und Strom zu sparen. Dadurch könne verhindert werden, dass die Preise weiter extrem ansteigen, sagte Meris Sehovic am Mittwoch. Denn richtig teuer wird es erst, wenn die kontinuierlich erworbenen Gasmengen aufgebraucht sind und die Anbieter zu Großhandelspreisen auf dem Spot-Markt einkaufen müssen. Um das zu verhindern, will Claude Turmes in der kommenden Woche konkrete Sparmaßnahmen auf einer Pressekonferenz vorstellen.

Fedil-Direktor René Winkin hat am Mittwoch im RTL Radio gemahnt, manche Betriebe könnten die hohen Kosten nicht akzeptieren und man könne keinem Betrieb erklären, er müsse dekarbonisieren, „also fortkomme vu Gas a Masutt – an op Elektresch setzen, wann d᾽Präisser esou bleiwe wéi den Ament“. Deshalb müsse der Strompreis vom Gaspreis entkoppelt werden. Die EU-Kommission hatte zuvor bereits eine strukturelle Reform des Strommarktes und eine Preisdeckelung angekündigt, die aber nicht so leicht umzusetzen sein dürften. Bis dahin werden vor allem die Verbraucher/innen sparen müssen und unter denen insbesondere die, die trotz staatlicher Hilfen am Ende des Monats nur schwer über die Runden kommen und eh schon am wenigsten Energie verbrauchen, weil sie in kleinen überteuerten Wohnungen leben, selten Auto fahren, kaum Flugreisen unternehmen und auch keinen Pool im Garten und keinen Weintemperierschrank im Keller haben.

Luc Laboulle
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