„Indésirables“ aus Übersee – Migrant/innen in Luxemburg am Anfang des 20. Jahrhunderts (8)

„Warum soll ich jeden Tag Gendarmen in meinem Haus dulden?“

d'Lëtzebuerger Land vom 26.04.2024

In diesem Teil der Serie geht es um ein in Indonesien geborenes Kommunistenpaar und ihre Tochter. Auch diesmal beruht ein Großteil der gesammelten Informationen auf Dokumenten der luxemburgischen und belgischen Fremdenpolizei. Dabei wird ein möglicher Ausschnitt ihres Lebens in Bad Mondorf nachgezeichnet und auf ihre internationalen kommunistischen Verbindungen eingegangen.

Groothoff, Jacoba (1892 Sumatra) und Hofman, Mary (1918 Niederlande) - Mondorf-les-Bains 1936

Mondorf-les-Bains ist ein schöner Ort voller Kurgäste. Sie wollen sich erholen oder Heilung für kleinere und größere Leiden finden. Eine Familienpension brächte da ein gutes Einkommen für sie und ihre Tochter Mary, hatte sich Jacoba gedacht. Anzufragen, ob sie diese Pension führen dürfe, hielt sie allerdings nicht für notwendig.

So oder so gingen immer wieder Gäste bei ihr ein und aus. „Ding, ding!“ hörte Mary die Glocke am Eingang klingeln. Eine ältere Dame trat ein. „Moien,“ sagte Mary. Die Dame musterte sie unverhohlen: „Was macht denn die kleine Chinesin hier?“ fragte sie, ohne auf Marys Begrüßung zu antworten. Das Mädchen wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte und jetzt stieg auch noch Wut in ihr auf. Ein leichtes Zittern begann sich breit zu machen und ihr Herz pochte immer schneller. Sie überlegte, wie sie der unhöflichen Dame antworten sollte. Sie könnte der Dame sagen, dass sie keine Zimmer mehr frei hätten und ihr irgendwelche bösen chinesisch klingenden Fantasiewörter nachrufen. Sie könnte aber auch die unhöfliche Art der Dame ignorieren und ihr in ihrer Mischung aus Luxemburgisch und Holländisch höflich ein Zimmer anbieten. Marys Gedanken überschlugen sich.

„Ding, ding!“ machte es wieder und plötzlich standen zwei Gendarmen vor ihr. Die Mutter war aus dem Hinterzimmer hervorgetreten. „Sie schon wieder“, sagte die Mutter kühl. Während Mary das Auftreten der Männer Angst machte, schien es die Mutter kaum zu beeindrucken.

Mary beobachtete, wie einer der Gendarmen die Mutter bedrängte, während die Dame kopfschüttelnd die Pension verließ. Langsam gelang es Mary, über ihren Herzschlag hinweg das Gespräch zu verstehen. „Ihre Pension ist illegal,“ sagte der Gendarm streng. „Sie hätten einen Antrag stellen müssen.“ Sie sah, wie sich das Gesicht ihrer Mutter verzog: „Ich glaube nicht, dass ich jemandem meine finanziellen Verhältnisse auf die Nase hängen muss. Und warum soll ich jeden Tag die Gendarmen in meinem Haus dulden. Sorgen Sie, dass es heute zum letzten Mal ist, dass Sie bei mir waren. Sie haben mir genug geschadet.“1 Der Gendarm war sprachlos. Eine solche Reaktion war er wohl nicht gewohnt. „Ich warne Sie, Madame…“, stotterte er, während der andere sich Notizen machte. „Ich werde mich um die Ermächtigung kümmern. Und jetzt auf Wiedersehen“, sagte Jacoba und schlug die Tür zu, als die Gendarmen draußen waren.

Mary war stolz auf ihre Mutter. Sie war eine starke Frau! Auch wenn sie schon viel von ihr gelernt hatte, gab es wohl noch einiges, das sie sich von ihr aneignen konnte. Und auch der Vater, der Intellektuelle, war ihr trotz der häufigen Abwesenheit ein guter Lehrer. Nicht nur durch ihr Leben, sondern auch durch ihn war sie von der Einheitsfront der unterdrückten Völker der ganzen Welt überzeugt.

Spioninnen aus Indonesien?

Mary war Tochter zweier in Indonesien geborener Niederländer, Jacoba Groothoff und George Hofman (geb. 1882 in Batavia). Jacoba war Georges zweite Frau. Justine Clercq Zubli (geb. 1887 auf Sumatra) hatte er mit Anfang 20 geheiratet. Als er Jacoba kennenlernte, hatte er mit Justine bereits drei Kinder. Mary kam 1918 als uneheliches Kind zur Welt. Erst 1919, kurz nach seiner Scheidung, heiratete er ihre Mutter, die erst kurz zuvor in die Niederlande gekommen war. Wann George in die Niederlande kam oder ob er hin und her reiste, was in dieser Zeit auch häufig vorkam, bleibt unklar.2

Beide Eltern waren möglicherweise schon im damaligen Niederländisch-Indien politisch tätig. Schließlich wurde dort bereits 1914, im Zuge der ersten antikolonialen Bewegungen, die Vorgängerpartei der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) gegründet, die sowohl indonesische als auch niederländische Mitglieder hatte. Verbindungen zur Kommunistischen Partei der Niederlande (CPN), die strikt antikolonial war, wurden unter anderem über Migration aufrechterhalten. Spätestens in den Niederlanden waren beide Eltern nachweisbar politisch aktiv. Die belgische Fremdenpolizei bestätigt, dass sie Mitglieder verschiedener revolutionärer Organisationen gewesen seien. George sei in Den Haag an einem Fischerstreik beteiligt gewesen, hätte in seiner Wohnung eine kommunistische Zeitung herausgebracht und die Marxistische Arbeiterschule (M.A.S.) dort gegründet. Die M.A.S., eine Kaderschule der kommunistischen Partei, existierte in den 1930-er Jahren in mehreren Städten der Niederlande.3 Der Streik, über den er wahrscheinlich in De Tribune, der Zeitung der CPN, schrieb, war wohl eher ein Seemanns- und kein Fischerstreik. Vielleicht ging es auch um die Meuterei auf der Zeven Provinciën 1933, die die Unabhängigkeit Indonesiens zu einem wichtigen Thema in der Partei machte.

Vermutlich aufgrund politischer Verfolgung in den Niederlanden wanderte die Familie 1934 nach Belgien aus. Dort soll Hofman bei einem Streik unter Anordnung von Moskau gehandelt haben und Mitglied der belgischen kommunistischen Partei gewesen sein.4 Er wurde darum bereits im Sommer desselben Jahres ausgewiesen und kam, weil er gegen das gegen ihn ausgesprochene Einreiseverbot verstoßen hatte, ins Gefängnis, bevor er an die Grenze gebracht wurde. Jacoba und Mary blieben weiterhin in Belgien, wurden der Polizei allerdings ebenso suspekt; denn sie würden ein Fort „in Begleitung von Studierenden ausländischer Nationalität“ mit Fernglas und Kamera erkunden. Es sei auch „davon auszugehen, dass die Betroffenen die Vorstellungen ihres Familienoberhauptes teilen und einen schädlichen Einfluss auf die jungen Studenten ausüben“. Mit dieser Begründung wurden die beiden in Lüttich der Spionage verdächtigt, beobachtet und einer Hausdurchsuchung unterzogen, bei der allerdings nichts gefunden wurde.5 Diese Passage ist sehr interessant, allerdings bleibt unklar, um welche Student/innen es sich hier handelt. Sie könnten durchaus Asiat/innen gewesen sein, da die Familie Groothoff-Hofman vermutlich in den Niederlanden Kontakt mit antikolonialen Student/innen hatte, die teilweise auch mit der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit, eine kommunistische internationale Organisation, deren erste Konferenz 1927 in Brüssel abgehalten worden war, in Verbindung stand.

Ende des Jahres 1934 wurde auch Jacoba und Mary ein Ausweisungsbescheid ausgehändigt. Im Januar 1935 verließen die beiden Belgien. Ob sie direkt nach Luxemburg gingen, oder vorher zurück nach Den Haag wird in den Quellen widersprüchlich dargestellt. In Mondorf meldeten sie sich jedenfalls erst im November 1935. Auch hier schadete ihnen nicht nur die oben beschriebene fehlende Anmeldung der Familienpension sowie das der Polizei gegenüber freche Verhalten, sondern auch ihre kommunistische Einstellung. Georg schien nicht bei ihnen gewohnt zu haben, sie jedoch immer wieder besuchen gekommen zu sein. Aus De Tribune ist ersichtlich, dass er sich zeitweise in Rotterdam aufhielt, um dort an der M.A.S. zu unterrichten.6 1936 bekam er ein Wiedereinreiseverbot in Luxemburg, woraufhin er in die Sowjetunion auswanderte und sich seine Spur verliert. Dabei waren die Jahre 1936 bis 1938 geprägt vom stalinistischen Terror, einer Zeit der politischen Säuberung, in der mehrere Millionen vermeintliche Gegner/innen des stalinistischen Regimes, oft Mitglieder der kommunistischen Partei, verhaftet und anschließend ermordet oder in Gulags oder Gefängnisse gesperrt wurden.7

Ende 1936 reisten auch Jacoba und ihre Tochter, denen in Luxemburg ebenfalls die Ausweisung drohte, aus. Laut Fremdenpolizei gingen sie in die Niederlande zurück. Allerdings schweigen auch über sie danach die Quellen. Die einzige Person der Familie Hofman, über die auch nach den 1930-er Jahren noch etwas in Erfahrung gebracht werden kann, ist einer von Georges Söhnen aus seiner ersten Ehe: Dieser 1917 geborene George kämpfte wahrscheinlich im Zweiten Weltkrieg in Indonesien und wurde nach dem Krieg vom Roten Kreuz in Thailand als Überlebender eingetragen.8 So zeigt sich, dass nicht nur der internationale Kommunismus tiefgreifende Verbindungen zwischen verschiedenen Ländern und Kontinenten herstellte, sondern sich auch Familiengeschichten in unterschiedlichen Regionen abspielten und für den kommunistischen Kampf nicht nur Gefängnis, sondern auch Trennungen in Kauf genommen wurden.

Julia Harnoncourt forscht zu zeitgenössischer Geschichte am C2DH

Julia Harnoncourt
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