Ein monotones Surren eröffnet Eyimofe (This Is My Desire), das Spielfilmdebüt der Zwillingsbrüder Chuko und Arie Esiri. Sekunden später enthüllt die Kamera die Quelle des Geräuschs. Inmitten von elektrischen Verteilerkästen trifft man Mofe, den Hautprotagonisten der ersten Hälfte des Films, welcher sich im nigerianischen Lagos abspielt. Mofe, Ingenieur mittleren Alters, repariert alles mögliche, quält sich, um die Kabel so abzukleben und instandzuhalten, damit in seiner die Technik nicht versagt und den Betrieb lahm legt. Seine ständigen Bitten, doch endlich neue Verteilerkästen installieren zu lassen, werden von der Chefin ignoriert.
Mofe lebt mit seiner jüngeren Schwester und ihren jugendlichen Söhnen unter einem Dach zusammen. Nicht weit entfernt von ihnen, im gleichen dichtbesiedelten, einem Slum ähnlichen Viertel von Lagos, begegnet man in der zweiten Hälfte des Films der jungen Rosa und ihrer jüngeren Schwester. Bis auf die Tatsache, dass Mofe und Rosa Geschwister haben, denen sie sehr nahe sind, verbindet sie eigentlich nur noch eins: der abstrakte Wunsch, Nigeria zu verlassen. Mofe spart sehr langsam, um Papiere und Visa für Italien zu erhalten. Rosa hat einen Plan, um früher oder später auf der iberischen Halbinsel anzukommen. Und so ist Eyimofe in zwei geteilt. Das Kapitel „Italy“ erzählt von Mofe, „Spain“ von Rosa. Aber bis auf die Kapitelnamen sind Italien und Spanien eine Tagträumerei im Leben der beiden Menschen.
Etwas fällt an dem Debüt der Esiri-Brüder – die sich im Vorspann mit „Directed by Chuko & Arie“ vorstellen – sehr schnell auf. Und zwar wie undramatisch die ganz alltägliche Dramatik des Lebens der Figuren inszeniert wurde. Sehr Dramatisches wiederfährt Mofe und Rosa allemal. Die Art und Weise, wie die Regisseure ihr Publikum daran teilhaben lassen, spricht Bände über die Realität, wie sie in Lagos wahrscheinlich zu erleben ist. Insofern distanziert sich der Film vom sozialen Realismus, wie er im englischen Kino praktiziert wird. Und umgeht diesen ganz präzisen sozialen Kitsch, den beispielsweise die späten Filme von Ken Loach innehaben. Die Tragödie wartet in der Realität der nigerianischen Arbeiterklasse eigentlich immer um die Ecke, und das wissen die Figuren in Eyimofe. Ihr Leben scheint wie ein Tanz. Manchmal gelingt der Tanz gut, oft jedoch nicht. Und fast schon stoisch werden die Rückschläge aufgenommen; wohlwissend, dass das Leben weitergehen muss. Italien und Spanien bleiben in der Ferne.
Mofe und Rosas Gesichter und den alltäglichen Trubel von Lagos hat Arseni Khachaturans 16-Millimeter-Kamera in warmen und körnigen Bildern eingefangen, welche die emphatische Verve des Films noch unterstreichen. Den nicht einmal 30-jährigen Kameramann gilt es im Auge zu behalten. Seine Arbeit für die Esiri-Brüder mag vielleicht, wie die Regie und der Film überhaupt, zurückhaltend erscheinen. Darüber hinaus hat Khachaturans aber auch Beginning der Georgierin Dea Kulumbegashvili in seiner Filmografie stehen und wird nächste Woche auf den Filmfestspielen von Venedig sein; mit Luca Guadagnino, für dessen neuen Film Bones and All er ebenfalls an der Kamera stand.
Mofe und Rosa werden zwei sehr verschiedenen Typen Darstellern verkörpert. Hinter Mofe steht Jude Akuwudike, ein in England ausgebildeter nigerianischer Schauspieler, der vor allem auf englischen Bühnen und Filmsets stand. Temi Ami-Williams, die Schauspielerin hinter Rosa, hat für diesen Film ihren ersten credit in der Internet Movie Database eingefahren. Beide agieren mit einer naiven Natürlichkeit, die eine Illusion von sozialer Realität schafft, als seien sie von der Straße direkt vor die Kamera geholt worden, strahlen aber zugleich eine Selbssicherheit aus, die es den Regisseuren angetan haben muss.
Wenn es in Eyimofe (This Is My Desire) einen Gegenspieler gibt, dann heißt er: Geld. Die nigerianische Währung Naira bestimmt jeden Aspekt im Leben der beiden Hauptfiguren, die sich im Film zwar nur sehr flüchtig begegnen, aber unsichtbar verbunden sind. Der Alltag wie auch die Tragödien, Beziehungen und Persönlichkeiten von Mofe und Rosa werden kommodifiziert, ob sie das wollen oder nicht. Es bleibt ihnen überlassen, inwiefern sie mit einem Mindestmaß an Würde und erhobenen Hauptes durchs Leben gehen wollen. Ob Italien und Spanien der Preis dafür sein sollen, bleibt die offene Frage. Die ersten Bilder mit den Verteilerkästen lassen grüßen. Denn von der titelgebenden Sehnsucht ist am Ende nicht mehr viel übrig. Alleine schon wegen der Augen – denen der Figuren so wie die denen der Regisseure –, durch die man die nigerianische Realität erfahren darf, lohnt sich Eyimofe. Ob einen die Empathie des Film zu berühren vermag, wird jeder für sich selber entdecken müssen.