Nachdem die Regielegende Martin Scorsese 2019 mit der kontroversen Aussage, Marvelfilme seien für ihn kein Kino, für Aufsehen sorgte, öffnete sich auch dem breiten Publikum die Problematik, die manchem Filmkritiker unlängst glasklar war. Mit Blick auf den jüngsten Ableger des Marvel-Cinematic-Universe – allein die Selbstbezeichnung dieses unverhohlen kommerziellen filmischen Projekts ist die Negation aller künstlerischen Individualität – Thor: Love and Thunder unter der Regie des neuseeländischen Regisseurs Taika Waititi scheint das zeitnahe Ende dieser filmischen Fastfood-Kette immer noch nicht absehbar zu sein. Nachdem der Donnergott Thor (Chris Hemsworth) einige Schicksalsschläge hat einstecken müssen, wünscht er sich nichts weiter als seinen inneren Frieden. Er will aus dem Superheldengewerbe aussteigen, doch da taucht der galaktische Göttermörder Gorr (Christian Bale) auf, der auch Thor ins Visier nimmt. Unterstützung erhält Thor ganz unerwartet von seiner einstigen großen Liebe Jane Foster (Natalie Portman), die aufgrund des magischen Götterhammers Mjölnir selbst zu Superkräften gefunden hat. Gleich vorweg: Thor: Love and Thunder ist ein ganz miserabler Film. Die Hauptfiguren, der Donnergott und seine Partnerin Jane Foster sind auch mit ihren bunten Superheldenkostümen so farblos wie Barbie und Ken. Dass Chris Hemsworth mehr mit seiner Muskelmasse zu überzeugen weiß, als mit schauspielerischen Gestaltungsmitteln, fällt in diesem Debakel nicht weiter ins Gewicht. Mit dem Verweis auf ständig brüllende Ziegen ist auch der geistige Horizont von Taika Waititis Film nach rund zehn Minuten abgesteckt. Marvelfilme werden immer unerträglicher, je mehr alberne Bespaßung sie präsentieren. Den Marvelschaffenden will diese Erkenntnis nicht recht einleuchten, denn sie stellen keine wirklichen Identifikationsmöglichkeiten bereit.
Um sich dieses Problemfeld besser zu erschließen, genügt der Blick auf andere großangelegte Franchises: James Bond ist, wie Thor auch, ein einziges Zeichenprodukt, kein Mensch; Tom Cruise in Mission Impossible oder Top Gun ist allemal ein Held, dessen Heldenhaftigkeit in einer eindrücklichen Flugsimulations-Szene in Top Gun: Maverick regelrecht messbar wurde. Diese Erkenntnis ist nahezu selbstverständlich und wirklich nicht neu. In der Folge aber schält sich die superlative Krux heraus, die für die Superheldenfilme aus dem Hause Marvel von besonderer Schärfe ist: Thor der Donnergott ist per se keine wahre Identifikationsfigur, seine Superhelden-Freunde können es ohnehin nicht sein. Diese Superhelden haben allerlei übernatürliche Fähigkeiten, ja untereinander bilden sie einen ganz superben Haufen, die sie vollends in die Sphäre der Superlative heben. Gerne und besonders im amerikanischen Mainstreamkino werden Kräfteverhältnisse gemessen. Etwa durch eine immer neu verhandelte Auflage des David-gegen-Goliath-Mythos, so in der Harry Potter-Reihe, die von der allesumfassenden Kraft der Liebe erzählt, die den unscheinbaren Zauberlehrling gegen den finsteren und übermächtigen Lord Voldemort triumphieren lässt. Trotz mittlerweile 29 Marvelfilmen, darunter vier Einträge in der Avengers-Reihe, dem großen Zusammentreffen aller Superhelden, erscheinen einem aber die Besonderheiten dieser Fähigkeiten immer noch ganz diffus. Das, was den Superhelden besonders macht, ihn abgrenzt vom Gewöhnlichen, macht ihn in dieser Clique paradoxerweise wieder ganz ordinär. Seine Fähigkeiten sind demnach beliebig austauschbar, nichtssagend, ebenso wie die Namen der Regisseure dieser Filme. Marvelfilme setzen auf die Negierung des ausgeprägten, singulären Stils zugunsten eines audiovisuellen Einheitsbreis, den man immer wieder vorsetzen kann: Es sind computergenerierte Welten, durch die sich dieser Thor und seine Gefolgschaft bewegen, die wohl bildgewaltig, letztlich aber seelenlos und wenig einprägsam sind.
Der Mensch allerdings hat in alledem nichts mehr verloren, er wird deklassiert zu einem Wesen niedrigerer Rangordnung ohne Recht auf Mitsprache und Selbstbestimmung. Ja, er verschwindet teils gänzlich aus der Handlung, wenn sich wieder der Frage gewidmet werden muss, wie die Welt denn nun am besten zu retten ist. Freilich, dem Identifikationspotenzial, das diese Überhelden zu bieten haben, sind enge Grenzen gesetzt. Das wissen auch die Marvelschaffende von Anfang an. Das allumfassende Novum, das Wundermittel schlechthin, das sie sich gegen diesen Umstand ausgedacht haben, ist die Ironie. Kein Marvelfilm ohne „Marvel-Humor“, stete aufgesetzte Witzeleien und Pointen, die zu einer nervenstrapazierenden, unsäglichen Erwartung werden. Überhaupt sind die Marvel-Dialoge, die Sprache der Superhelden, von einer seelenlosen Dummheit – wie da selbst gestandene Filmkritiker Parallelen zu Shakespeare ziehen können, muss ein Rätsel bleiben.
Wie aber misst man nun diese Superhaftigkeit des Superhelden? Richtig: an seinem Antagonisten. Mit Christian Bale prominent besetzt, wird so versucht Ernsthaftigkeit, Gefahr, Eiseskälte, Herzlosigkeit, kurz all das, was den Bösewicht so richtig böse macht, in einer Figur zu vereinen. Daraus erwächst letztlich eine ganz unausgeglichene Mischung aus Spaß und Ernst. Marvelfilme scheinen sich nicht recht entscheiden zu können, von was sie denn eigentlich erzählen wollen: Es gibt nie den Triumph des großen noch des einfachen Gefühls bei Marvel. Es gibt nur die distanziert-amüsierte, letztendlich aber leere und indifferente Haltung gegenüber der Handlung, der Figuren, der Ideen. Themenkomplexe, Charakterzüge oder gar -entwicklungen sind nicht ernsthaft auffindbar. Der Marvelgänger sucht etwas anderes in diesen Filmen, er sucht das auf sinnliche Reizüberflutung abzielende Spektakel. Schon bei Thor (2011), Thor: The Dark World (2013) oder Thor: Ragnarök (2018) galt, dass Lärm Logik jederzeit ersetzen kann. Thor: Love and Thunder gerät endgültig zur filmischen Banalität, wenn auf einer Theaterbühne zum Amüsement schaulustiger Touristen die Geschehnisse aus den vorherigen Filmen zum Kasperletheater erklärt werden. Rückblickend steht da die Erkenntnis, dass der Anspruch, eine kohärente, halbwegs intelligente Geschichte zu erzählen, schon damals definitiv aufgegeben wurde. In der Marvel-Logik der ständigen ironisch-zynischen Selbstüberbietung ist diese vollbewusste, selbstentlarvende Persiflage indes nur folgerichtig. Die postmoderne Ironie der Achtziger- und Neunzigerjahre bezog ihre Kunstfertigkeit gerade aus dem teils subtil, teils ganz unverhohlenem Zitieren anderer Werke – mal qua Subversion, Revision oder Reverenz – in allen Fällen aber stand in ihrem Kern eine Bewusstmachung filmischer Konventionen, filmhistorischer Konstellationen. Das Traditionsbewusstsein der Bewegung ist unumstritten. Die hauptsächlichen Referenzen, die Thor: Love and Thunder und Mitangeklagte bemühen, sind jene, die auf die Vorgängerfilme und demnach auf das eigene Universum verweisen. Kein filmischer Erkenntnisraum außerhalb der eigens definierten Limitationen.
Gewiss darf Kino Unterhaltung sein, daran sollte nichts auszusetzen sein. Durch die immerwährenden Einträge in das Marvel-Cinematic-Universe verkommt das Mainstream-Kino, nicht zuletzt aufgrund seines seriellen, fernsehartigen Charakters zu einem Ort der reinsten Unterforderung. Genau dahin steuern die Marvelfilme, sie degradieren das Kino zu einem Ort, an dem hohle und stumpfsinnige Figuren nur mittels Geistesabwesenheit überhaupt noch zugänglich werden können. In der Folge erleben wir, wie actionbasierte Kinoformeln missbraucht werden, um eine Attraktion der Sinnlosigkeit zu feiern, der sich das Publikum selbst bereitwillig ausliefern will. Es soll nicht übersehen werden, dass Marvelfilme dem Comicheft entnommen sind und mithin einem Medium entstammen, das nicht auf gleichzeitige, kommunale Rezeption ausgelegt ist. Hinter alledem steckt kaum überraschend eine Marketingstrategie, die auf die Risikominimierung und die Profitmaximierung ausgelegt ist. Das ist gegenüber dem Verständnis von Film als Kunst und den Pionierleistungen eines Steven Spielberg oder George Lucas, die mit dem Blockbuster eine neue Form des kommerziellen, aber nicht anspruchslosen Mainstreamkinos fanden, indes nicht nur mutlos, sondern regelrecht verachtenswert.