Kino

Spiegelkabinett

d'Lëtzebuerger Land vom 08.07.2022

Spätestens seit Orson Welles’ The Lady from Shanghai (1947) wissen wir, dass man einem Spiegelkabinett im Film nicht so leicht entkommt. So ergeht es auch dem jungen Elvis Presley (Austin Butler), der auf einem Jahrmarkt dem schmierigen und gerissenen „Colonel“ Tom Parker (Tom Hanks) begegnet, ja, in die Fänge geht. Der erfahrene Mann aus dem Showbusiness, eine ganz mephistophelische Figur, bietet dem jungen Musiker an, sein Manager zu werden und ihm zu Ruhm und Reichtum zu verhelfen …

Mit Elvis kehrt der australische Regisseur und Drehbuchautor Baz Luhrmann nach The Great Gatsby (2014) wieder auf die Leinwand zurück. Erzählt wird das Biopic aus der Sicht dieses Colonel Parker, der sich im hohen Alter rückblickend an den Ausnahmekünstler erinnert und sich gegen die Anschuldigungen wehrt, er sei für den Niedergang des Stars verantwortlich. Viel eher möchte er sich als den wahren Schöpfer von Elvis präsentieren. Entsprechend formt die Dichotomie des Showgeschäfts aus aufrichtigem Streben und unverhohlener Ausbeutung die beiden Pole, über die Baz Luhrmann seine fast dreistündige Filmbiografie des „King of Pop“ auslegt. Der Filmtitel hält dabei, was er verspricht, denn Elvis ist das allumfassende Thema des Films. Er wirkt jedoch wie leer gesetzt. Da gibt es den Schauspieler Austin Butler, der zumindest in den Szenen der Bühnenauftritte mit dem Bild des King übereinstimmt. Es gibt ferner extradiegetisch eingestreute Neuinterpretationen von Elvis-Songs, die die wichtigen Lebensstationen wenig subtil über die Songtexte von außen kommentieren: „I can’t help falling in love with you“, „I’m caught in a trap / I can’t walk out“. Zudem orientieren sich die orchestrierten Kompositionen des Filmscores an eingängigen Refrains des Musikers.

Luhrmanns Stärke bestand seit jeher darin, durch eine besonders intensive Inszenierung der Oberfläche diese zugleich zu zelebrieren und zu unterlaufen. Man denke nur an die Liebesgeschichten aus Romeo + Juliet (1996 oder 2001), in denen Luhrmans Stil mit der Erzählhaltung der Postmoderne noch harmonierte. Elvis scheint sich indes nicht richtig entscheiden zu können, ob der Elvis-Überfluss verklärt werden oder doch aus der Distanz betrachtet werden sollte. Nie bindet uns Luhrmann konsequent und ausschließlich an die Perspektive des Managers; immer wieder lässt er Raum für die Erlebniswelt des Künstlers selbst, ohne dann aber wirklich auf die Exzesse und Abgründe des Stars einzugehen: Dafür wirken die entscheidenden Wendepunkte im Leben des Musikers dann doch zu schnell abgehakt, so dass der Film immer knapp am Ikonoklasmus vorbeizieht.

Denn es geht in Elvis auch darum, dass ein Mensch, der nicht vollständig einer kontrollierten und selbstbestimmten Biographie unterworfen ist und im sozialen wie im psychischen Sinn „gespalten“ scheint, in einer gestörten, unvollständigen oder unfertigen Geschäftsfamilie lebt, diese dann aber als freies Radikal – Elvis will zu seinen Wurzeln zurück, entgegen den Ratschlägen seines Mentors – in seinen Niedergang treibt. Indes bleibt das Potenzial einer entsprechenden Untersuchung unausgeschöpft, allenfalls zitathaft. Ebenso verhält es sich mit den Anspielungen auf die bewegte Geschichte der USA, die Rassentrennungsgesetzte, die Ermordung Martin Luther Kings oder des Senators Kennedy. Zu viel will Luhrmann erzählen und am Ende führt dies dazu, dass der beträchtliche biografische Aufwand, den das Drehbuch betreibt, zu nichts führt. Als endlich geklärt ist, wie Zögling und Mentor zueinander stehen, ist der Effekt regelrecht antiklimaktisch. Erst ganz am Ende und deshalb viel zu spät, wenn die Found-Footage-Aufnahmen den echten aufgedunsenen und von Drogenmissbrauch zerrütteten Elvis zeigen, der voller Leidenschaft singt, beginnt der Film eine Wirkung zu entfalten, eine Bewusstmachung dafür, wie gesellschaftliche Vereinnahmung den Menschen zerbricht. Und zwar auf eine äußerst unmerkliche Art.

Marc Trappendreher
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