„Zu Lëtzebuerg si Klimaprotester keen Thema méi“, titelte RTL am 15. März – fünf Jahre zuvor hatte Fridays for Future zu einem ersten internationalen Klimaprotest aufgerufen. Der Beitrag veranlasste Elisha Winckel dazu, ein Video auf Instagram hochzuladen mit dem Zugeständnis: „RTL huet irgendwéi Recht.“ Doch die Frage, die daran anschließe, laute: „Wer hat Bock einen Klimastreik zu organisieren?“ Fünf Wochen später steht er in der Verandahalle der CFL an einem Stand, an dem ein Poster befestigt ist, auf dem man Botschaften hinterlassen kann. Ein Vorbeilaufender, der Kaufmann Yahya Nabil, schreibt „Bio-Bauernhof“ drauf. Neben einem Fahrrad steht Semion Smolenskiy. Er war seit seinem Abschluss am Ettelbrücker Lyzeum vor einem Jahr mit dem CreatiVelo unterwegs, einem mit Solarenergie betriebenen E-Bike, das mit Videobeiträgen über Aktionen von Youth4Planet informiert. Es ist 12 Uhr. Für 18 Uhr ist ein Umzug vom Bahnhof zur Abgeordnetenkammer angesetzt. Werden sich diesem viele Jugendliche anschließen?
2019 hatte sich die globale Klimabewegung ausgedehnt und ist mittlerweile wieder verpufft. Während Fridays for Future friedlich auftrat, verstörten Gruppierungen wie die Letzte Generation mit kaum nachvollziehbarem Suppengeschmiere. Doch nun ist die Letzte Generation mutiert und will sich im Umfeld der Parteipolitik neu aufstellen. Auch Extinction Rebellion organisiert keine chaotischen Proteste mehr – sondern sucht das Gespräch an der Haustür und in Versammlungen. Haben freundlichere Klimaproteste nun wieder mehr Raum? Danach sieht es aus. Aber unter demographisch neuen Vorzeichen. Auf dem Vorplatz des Bahnhofs sind viele Grauhaarige eingetroffen. Eine Gruppe von drei Männer hält ein Banner mit der Aufschrift „Seniors for Climate“ hoch. In der Schweiz sind die Klimaseniorinnen entstanden, in Deutschland die Omas for Future. Zwei Volontäre von ATD-Quart-Monde haben sich dem Umzug angeschlossen. Warum sind die beiden Ü-Fünfzigjährigen hier? „Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Und die Ärmsten werden am meisten unter dem Klimawandel leiden.“ Dann erklingt der Spruch „Climate Justice now“ auf dem Platz. „Was rufen sie? Wir verstehen kein Englisch“, fragen die beiden. Eine ältere Dame ist alleine gekommen. „Bedauerlicherweise ist Fridays for Future im Sande verlaufen. Aber es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen“, urteilt sie. In ihrem Umfeld sei der Klimawandel Thema, „aber die Bereitschaft, auf Flugreisen und Luxusgüter zu verzichten, ist gering“. Die Veranstalter zählten etwa 450 Teilnehmer/innen. Das ist wenig für ein Aufruf, der von 36 Nichtregierungsorganisationen getragen wurde; Hauptorganisatoren waren dabei Citizens for Ecological Learning and Living (Cell) und Greenpeace. Wurde der Umzug nicht konsequent angekündigt? Ist Montagabend nicht der beste Zeitpunkt für Potestaktionen? Ist die Gesellschaft von Klimaapathie und Krisenmüdigkeit erfasst?
Am Montag wurde der Bericht des europäischen Klimawandel-Dienstes Copernicus für das Jahr 2023 publiziert. Vor allem für letztes Jahr seien extreme Niederschläge beobachtet worden, die zu Überschwemmungen in Italien, Griechenland, Slowenien, Norwegen und Schweden führten. Gleichzeitig haben sich in Südeuropa die Dürreperioden verschärft. Überhaupt zählte der Copernicus-Dienst europaweit einen Rekordanteil von Hitzestress-Tagen; einer Temperatur also, die über 46 Grad entspricht. Auch der nordöstliche Atlantik wies überdurchschnittlich hohe Meeresoberflächentemperaturen auf: Im Juni wurde die größte monatliche Anomalie seit Beginn der Aufzeichnungen festgestellt, als die Temperaturen 1,76 Grad über dem Durchschnitt lagen. Und in Südeuropa hat es auf insgesamt 500 000 Hektar gebrannt. Der Klimatologe Andrew Ferrone erklärte darüber hinaus im Radio 100,7, für Europa sei festgestellt worden, dass hitzebedingte Todesfälle zunehmen. Es bedürfe besseren Warnkonzepten für Hitzestress, um Vulnerable zu schützen. Vor allem aber müsse es in punkto Anpassungsmaßnahmen weiter vorangehen. Die Begrünung von Städten könne Temperaturen senken und bei Niederschlag Wasser aufsaugen. Immerhin eine gute Nachricht enthält der Bericht: Der Anteil an Energie aus Solar-, Wind- und Wasserkraft ist im Vergleich zum Vorjahr von 36 auf 43 Prozent gestiegen.
An der Demo nehmen auch zwei 16-Jährige aus dem Lycée Vauban teil, Louise und Victor. Victors Mutter hat ihm von der Demo erzählt. „Wir haben uns spontan nach der Schule entschieden, hierhin zu kommen.“ Seit der Pandemie habe sich die Klimabewegung zerfleddert. „Wir sind enttäuscht, dass nicht mehr Jugendliche hier sind“, sagt Louise. Zudem seien seit etwa zwei Jahren Rechtsextreme unter jungen Menschen angesagt. „Sie haben es verstanden, ihre Ideologie in den sozialen Medien zu ästhetisieren“, analysiert Louise. Populär sei derzeit unter Gleichalterigen die Influencerin Thaïs D’Escufon, die der Génération identitaire angehört und vor den letzten Wahlen Eric Zemmour unterstützte. Louise und Victor erläutern, dass die Polarisierung auf dem Schulhof dennoch nicht zugenommen hätte – man bewege sich in parallelen Bubbles. Und ob die identitäre Gruppe an ihrer Schule wächst, weil sich Jugendliche von Umweltaktionen abgewenden, sei schwer zu sagen – sie waren wahrscheinlich vorher schon desinteressiert.
Die Zeit berichtete diesen Dienstag, dass laut der neuesten Studie „Jugend in Deutschland“ 22 Prozent der 14 bis 29-Jährigen sich für die AFD aussprechen. Damit liegt die Partei, die einen rechtsextremen Flügel besitzt, bei der Jugend vorn. Den Studienautor/innen zufolge hänge dies mit der Inflation, dem Krieg, der Wohnungsnot und hohen Mieten zusammen; die AfD verspricht gerade in diesem Bereich angeblich ganz neue Ansätze – und dies tut sie in den sozialen Medien, wo sie eine vergleichsweise hohe Präsenz aufweist. In Luxemburg war sich Adrenalin-Präsident Maks Woroszylo auf dem Parteikongress vor einem Monat sicher: „D’Jugend hei am Land wielt ADR.“ Vor den Nationalwahlen sei die ADR-Jugendpartei in Schulen unterwegs gewesen. „Viele Schüler wollten mit uns reden, da wir die Themen ansprechen, die sie beschäftigen.“ Die Jugend wolle ihren Verbrennungsmotor zurück und dafür setze sich die ADR ein.
Magali Paulus, Netzwerkanimatorin von Cell, konstatiert ebenfalls, dass Klimafragen überlagert wurden: Geopolitische Herausforderungen und finanzielle Ängste stehen im Vordergrund. Dennoch würden Cell-Mitarbeiter/innen im Kontakt mit Jugendlichen einen hohen Grad an eco-anxiety feststellen. In einer Studie von Reach-Out aus dem Jahr 2019 gaben 82 Prozent der US-Jugendlichen an, der Klimawandel werde ihrer Generation Schaden zufügen. Der Youth Survey Luxembourg aus dem gleichen Jahr hebt hervor, dass 83,5 Prozent der Befragten Angst vor dem Klimawandel haben. Ähnliche Zahlen wurden für die Philippinen, Indien und Nigeria in The Lancet publiziert. Das Zentrum für Kindheits- und Jugendforschung der Universität Luxemburg sieht seinerseits jedoch für die hiesige Jugend keinen Zusammenhang zwischen Umweltangst und Lebenszufriedenheit.
Insgesamt nehme sich die Gesellschaft dem Thema nicht an. In der Klimapolitik geht es nicht voran. Es bestehe eine hohe Diskrepanz zwischen den Herausforderungen und den tatsächlichen Handlungen, moniert Magali Paulus. Während Xavier Bettel (DP) sich als Klimapremier ausgab, suggeriere nun CSV-Premier Luc Frieden, dass allein der technologische Wandel das Problem lösen könne. „Das führt zu einem weiteren Verdrängen der Klimafrage aus der politischen Debatte“, urteilt Paulus. Eine Reihe an Studien kamen zu dem Schluss, dass Befragte den Klimawandel als ein Problem erkennen und sich zu umweltfreundlichen Ideen bekennen, sie zeigen sich allerdings nicht bereit, Umweltschutz auf Kosten ihres täglichen Komforts zu betreiben. Auf genau dieses mentale Setting hat Premier Frieden seine Rhetorik angepasst.
Blaue Strumpfhosen und eine grüne Mütze trägt Magali Paulus, die beiden Farben wurden passend zum Earth Day ausgewählt. Eher verspieltere Sprüche ruft sie während des Umzugs ins Megafon: „Mama Äerd ,Du bass et wäert.“ Und politischere: „On est là pour pousser le gouvernement à respecter ses engagements.“ Doch die politische Resonanz des Protestzuges bleibt aus. In der Presse wird die Demo am darauffolgenden Tag kaum erwähnt. Und nur vier Politiker nahmen am Umzug teil, die beiden Europakandidaten der Grünen, Fabrizio Costa und François Bausch, der 30-jährige DP-Kandidat Christos Floros sowie der Ko-Parteisprecher von déi Lénk, Gary Diderich. Am Rande der Demo taucht Natascha Lepage auf. Auf ihrem Rücken trägt sie die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. 2019 war sie Teil der „Youth for Climate“, die Klimastreiks mit teilweise 7 000 Teilnehmern organisierte. Aufgrund der Berufstätigkeit ihrer Eltern in Indien lebte sie dort einige Jahre. Ein bestimmtes Ereignis aus ihrer Kindheit in Indien sensibilisierte sie für den Klimawandel: Nach einem Tag mit 38 Grad brach wegen eines Zyklons eine Kältewelle durch. Über Nacht fielen die Temperaturen auf 6 Grad. „Das war für diese Jahreszeit untypisch. Einige Menschen erfroren in dieser Nacht. Das war ein Schock“, erinnerte sie sich im Paperjam. Gegenüber dem Land erläutert sie, die letzte große Klimaprotestaktion habe Ende November 2022 stattgefunden. „Als die Vertreter/innen von Youth for Climate anfingen im Ausland zu studieren, ist die Bewegung auseinandergebrochen.“ Natasha Lepage studiert derzeit in Irland Geopolitik und Politikwissenschaften.
Dass Jugendbewegungen kommen und gehen, ist kein neues Phänomen. 2012 berechnete Gary Diderich in einem Forum-Beitrag, dass die meisten Gruppierungen nicht länger als fünf Jahre überleben. Die Action-Solidarité-Tiers-Monde-Jeunes, die Lëtzebuerger-Schüler-Delegatioun und die Jugend fir Fridden a Gerechtegkeet sind hier zu nennen. Das gleiche gilt für Jugendgruppierungen innerhalb von Gewerkschaften. Der Differdinger Gary Diderich ist selber in einer Jugendbewegung groß geworden. Mit 16 engagierte er sich im Mouvement Ecologique und beäugte Parteipolitik skeptisch. 2009 änderte er seine Meinung und trat déi Lénk bei.
Elisha Winckel geht den umgekehrten Weg. Vor fünf Jahren war er eine Nachwuchshoffnung der LSAP, er stand bei den Jungsozialisten in der ersten Reihe, war 2019 Kandidat bei den Europawahlen und arbeitete im Wirtschaftsministerium unter Franz Fayot (LSAP). Heute arbeitet er für Cell und lässt sein parteipolitisches Leben ruhen: „Meine Aktivitäten im Umweltbereich sollen nicht als Parteiwerbung missverstanden werden.“ Zwei Jahre hat er an der New School in New York studiert und hat bei den letzten US-Wahlen für die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez mobilisiert. Den angelsächsischen Geschmack, Identitäten auf Symbole runterzubrechen, hat er sich vielleicht dort angeeignet. An seiner Jeans-Jacke ist eine Wassermelone angepinnt. Was sagt er zur demographischen Zusammensetzung der Teilnehmer/innen an der Klimaaktion? „Es ist kein Jugend-Klimastreik, sondern ein Umzug im Rahmen des Earth-Day, dementsprechend zirkulierte der Aufruf weniger unter Jugendlichen“, urteilt er. Magali Paulus sieht in der Earth-Day-Aktion „ein wichtiger erster Anlauf“, um vielleicht wieder die Erfolge wie vor den Pandemiejahren zu verbuchen. Letztlich spiele das Alter der Klimabewegten auch keine Rolle.