Hausfrauen hätten große Mühe, eine Putzfrau zu finden, die ihnen die „schwerste Arbeit“ abnimmt, stellte das Luxemburger Wort 1954 auf seiner page de la femme fest. Geklagt wird über Dilettantinnen, die ihren Dienst nicht antreten, und wenn ja, dann nur „frischfröhlich etliche Putzstellen herunterrubbeln, wenn der Geldbeutel eben schlaff ist“. Der Beruf sei nicht anerkannt, die „Schaffung qualifizierter vollwertiger Arbeitskräfte“ um das „Niveau des Berufs zu heben“ sei wichtig. 70 Jahre später sind es kaum die wenigen noch existierenden Hausfrauen, die Putzfrauen engagieren, sondern meist Familien mit zwei berufstätigen Eltern – und von mehr Anerkennung oder Vollwertigkeit kann nicht die Rede sein.
Mittlerweile arbeiten schätzungsweise 11 300 Personen im Putzsektor in circa 180 kleinen, mittelgroßen und größeren Firmen, 2007 waren es noch 6 000. Dussmann gibt den Ton an, allein dort sind 2 900 in der Gebäudereinigung beschäftigt. Ihre Nationalität ist weitgehend portugiesisch; waren es 2001 fast 60 Prozent, lag der Prozentsatz 2020 immer noch bei 53 Prozent, wie eine Liser-Studie 2020 herausfand. Zuwachs gab es in den vergangenen zwanzig Jahren von Grenzgängerinnen, mittlerweile hat fast ein Viertel der Beschäftigten die französische Staatsbürgerschaft. 83 Prozent von ihnen sind Frauen, etwa zwei Drittel der Angestellten arbeitet immer noch in Teilzeit, um sich auch um ihr Zuhause kümmern zu können. Denn 15 Prozent von ihnen waren 2020 alleinerziehend mit einem im Haushalt lebenden Kind unter 19 Jahren. Ihr Stundenlohn liegt laut Kollektivvertrag bei 15,2418 Euro (Stand April 2023). Die meisten Prozesse, um ihre Tätigkeit im Rahmen einer zehnjährigen Berufserfahrung als qualifiziert geltend zu machen, verlieren die Klägerinnen. In privaten Haushalten waren laut Centre commun de la sécurité sociale 2021 knapp 8 000 Haushaltshilfen für vier Stunden in der Woche engagiert, darunter fallen jedoch auch Tätigkeiten wie Kinderbetreuung und Pflege. Die Zahl stagniert seit einigen Jahren. Und den Schwarzmarkt gibt es natürlich auch noch.
Im fünften Stockwerk des OGBL-Büros ist es mangels Klimaanlage schon morgens stickig. Estelle Winter, Generalsekretärin für das Syndikat Reinigung, kennt die Herausforderungen der Gebäudereinigung seit 35 Jahren. Als sie Anfang der 90-er-Jahre anfing in Luxemburg Gebäude zu putzen, waren 16-Stunden-Tage die Norm, von Montag bis Sonntag wurde durchgearbeitet. Zwar habe sich das durch die Syndikatsgründung verändert. Allerdings gebe es heutzutage weder mehr gesellschaftliche Anerkennung, noch mehr Vereinbarkeit für Familien.
Rund 17 000 Menschen sind eine kritische Masse an Menschen, die ihren Alltag eher schwer bewältigen können. (Krankenschwestern, Lastwagenfahrer und andere Nacht- und Schichtarbeiter/innen dürften die Zahl wohl leicht verdoppeln.) Trotz einer Verbesserung durch die Einführung der Chèques Services (CSA) existiert das Problem der Kinderbetreuung für untypische Arbeitszeiten weiter. Die schwache Lobby dieser Bevölkerungsschicht trägt sicherlich dazu bei, dass sich auf politischem Niveau wenig verändert. (Antónia Afonso Bagine (LSAP) ist Putzfrau und sitzt bald im Gemeinderat von Luxemburg-Stadt, siehe S. 4) Manche Frauen berichteten, ihre leicht älteren Kinder alleine zuhause lassen zu müssen, erklärt Estelle Winter. Vor einigen Jahren habe der OGBL gemeinsam mit der Firma Dussmann versucht, eine bessere Infrastruktur auf die Beine zu stellen – und seien an der Mammutaufgabe gescheitert. Lösungen für so viele, an verschiedenen Orten im Land und Ausland lebende Familien zu finden, sei nicht machbar gewesen. Es blieb Privatsache der Angestellten: „Elles n’ont pas le choix, elles se sont arrangées.“ Manchmal müsse der Große dann auf den Kleinen achtgeben.
Crèches und Maison relais dürfen ihre Türen zwischen fünf und 23 Uhr öffnen, das legt die Geschäftsführung je nach Bedarf fest. Die Möglichkeit sich auszuruhen oder zu schlafen muss es in jeder Struktur geben. Analysen des Bildungsministeriums zufolge besuchen derzeit landesweit 617 Kinder 49 verschiedene Einrichtungen nach 19 Uhr. Im Schnitt sind sie bis halb neun abends geöffnet und seien zu dieser Zeit nicht ganz ausgelastet. Weiter wird auf Tageseltern verwiesen, die Kinder mitunter bei sich zuhause am späteren Abend oder über Nacht betreuen können. Hier werden derzeit 270 Kinder nach 19 Uhr betreut, im Schnitt bis nach 21 Uhr. Der Bedarf sei eher „punktuell“ und die Tageseltern am besten dafür geeignet, ihm gerecht zu werden; sie seien am flexibelsten. Erklären kann man sich den Kontrast zwischen den nicht ausgelasteten Plätzen in den Einrichtungen und der Realität der Familien nur mit einem mismatch, was Angebot und Nachfrage angeht, mit der damit einhergehenden organisatorischen Sackgasse. Im Ausland sieht es übrigens ähnlich aus: In Frankreich gibt es sogenannte nounous décalées. In Deutschland wird seit 2015 mehr in Kindergärten investiert, die atypische Betreuungszeiten anbieten, es gibt allerdings nur wenig Angebot.
Dores, Judith und Karine sitzen in einem Raum neben Estelle Winters Büro. Sie sind Delegierte und arbeiten seit mehr als fünfzehn Jahren in der Reinigung. Dores und Judith sind gebürtige Portugiesinnen, Karine ist Französin und überquert jeden Tag die Grenze. Vor allem junge Putzhilfen seien immer noch bei mehreren Auftraggebern stundenweise angestellt, berichten sie. Jenen, denen mehr als ein Job zufällt, dürften noch mehr Schwierigkeiten haben, ihren Alltag einzuteilen. Wie haben sie es selber gemacht? Dores begann mit einer Teilzeit-Tätigkeit, morgens und abends, ihr Mann kümmerte sich abends um die beiden Kinder. Das sei eine bewusste Entscheidung gewesen, um mehr für ihre Familie da sein zu können. Auf ihre Tochter, die ein Studium in Strasburg anfängt, ist sie stolz; auch ihr Sohn wird studieren gehen. Um ihre Familie durchzubringen, arbeitet sie mittlerweile in Vollzeit. Judith, 43 Jahre alt, hat drei Kinder, der jüngste ist sechs. Ihr Mann ist Bauarbeiter. Ihre Kinder habe sie durch die Arbeitszeiten wenig gesehen, nachdem sie eingeschult wurden, sagt sie. Sie klingt weder traurig noch resigniert. Karines Kinder sind erwachsen und ausgezogen. Als sie klein waren, schliefen sie oft, wenn sie nach Hause kam. Das Wort „kompliziert“ fällt häufig.
Sie wirken nicht unzufrieden. Und dann plötzlich doch. „On en a marre d´être des esclaves modernes“, sagt Karine. „Wenn wir nicht da waren, dann sieht man uns; wenn wir da sind, sind wir unsichtbar“, statuiert Dores. Beim Wort Work-Life-Balance heben sie die Augenbrauen. Putzen sie ihr eigenes Zuhause am Feierabend auch noch? Allgemeines Gelächter als Antwort. „Mein Mann gehört der vieille époque an, außer selbst zu essen macht er nichts“, erklärt Karine. Wenn sie spät nach Hause komme, sage sie ihm am Telefon, er solle sich keine Sorgen machen, dann gingen sie halt Kebab essen. Die anderen beiden erklären, ihr Mann würde sie bei der anfallenden Hausarbeit unterstützen.
Erhellend zur Auslagerung von Tätigkeiten wie Putzen ist eine Grafik zum Thema in der Zeit. Aufgeteilt in Teil- und Vollzeitarbeit schlüsselt sie die Wünsche von Erwerbstätigen auf, abgefragt in einer Leserbefragung in 2016: Väter und Mütter, die Vollzeit arbeiten, wünschen sich vermehrt mehr Zeit, um sich selbst um Haushalt und Kinder zu kümmern. Mütter, die zu Hause sind, wünschen sich im Gegensatz dazu mehr Geld, um andere für diese Arbeit zu bezahlen. Nachbars Garten ist wohl immer grüner. Insgesamt liegt der Trend jedoch bei sowohl Frauen als Männern mit 61 zu 39 Prozent eher darin, das „bisschen Haushalt“ selber zu erledigen. Gesamtgesellschaftlich aussagekräftig ist diese Umfrage nicht, und sie lässt sich schlecht auf Luxemburg übertragen, wo es in der Mittelschicht für viele selbstverständlich ist, eine Putzhilfe zu bezahlen. Im Vergleich dazu machen das nur um die 5 Prozent in Deutschland.
Estelle Winter beobachtet in den letzten Jahren eine Veränderung im Verhalten der Arbeitgeber/innen: Hätten frühere Generationen zu viel Angst gehabt, den Arbeitnehmer zu wechseln, kündigten die Leute heute viel schneller, wenn ihnen etwas nicht passt. „Ich finde schon was anderes, sagen sie – und das stimmt auch meistens.“ Dores hat aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen und einer niedrigen Schulausbildung nie den Schritt in einen anderen Arbeitssektor gewagt. „Was hätte ich sonst machen sollen? Als Kassiererin oder Kellnerin wäre ich nicht weniger ausgebeutet worden.“ Außerdem empfände sie Stolz, nachdem sie geputzt habe. „Ich mag meine Arbeit“, sagt Dores.
Juliana* ist vor zwanzig Jahren mit ihrem vierjährigen Sohn aus Portugal nach Luxemburg gekommen. In ihrem Heimatland arbeitete sie in einer Hosenfabrik; den Job der Putzfrau ergriff sie hier, weil es einfach war – erst schwarz, später wurde sie von ihren Arbeitgebern angemeldet. Seit der Geburt ihres zweiten Sohnes vor vierzehn Jahren putzt sie zusätzlich abends noch einen Kindergarten, um über die Runden zu kommen. Dass sie ihren Beruf gerne ausübt, so weit würde sie nicht gehen. „Ich muss es machen, aber es stört mich nicht.“
Zwar sagt auch Estelle Winter von sich, sie habe ihre Arbeit immer gemocht. Den Menschen, die zu ihr kommen, legt sie ans Herz, sie sollen sich eine andere Arbeit suchen. In einem anderen Bereich, einer Fabrik etwa, für leicht bessere Bezahlung. Seit drei Jahren überlegt sie, selbst eine Putzhilfe anzustellen: „Aber das schaffe ich nicht. Dann würde ich das vorher selber alles machen. Ich habe meine Art, sauberzumachen. Ich weiß, wie es geht.“