Hört Gleichstellung, wie unser auf Produktivität basiertes System sie definiert, auf, wenn die Wehen anfangen? Das LISER hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass Frauen eher ihren Pendeljob aufgeben, nachdem ein Kind geboren wurde. Ausgewertet wurden die Karrieren von 86 500 belgischen Einwohner/innen, die zwischen 2007 und 2017 ein erstes Kind in der Province de Luxembourg bekommen haben. Durch die Nähe am Großherzogtum sind Jobs jenseits der Grenzen finanziell interessanter, doch sie setzen längere Pendelzeiten voraus. Die Studie zeigt, dass Frauen nach der Geburt die besser bezahlten Jobs in Luxemburg eher ablehnen, um näher an ihrer Familie zu bleiben; dass sie eher, im Gegensatz zu Männern, und nicht gekoppelt an die Höhe ihres Einkommens, aus dem Pendel-Arbeitsmarkt aussteigen. Der Employment Gender Gap ist in der EU laut Eurostat in den letzten zwanzig Jahren von 18,8 Prozent auf 11,3 Prozent gefallen, der Gender Gap, wenn es um Pendeljobs geht, ist jedoch auf 25 Prozent gestiegen. Warum das so sein mag? Stichwort Care-work.
Care-Arbeit ist ein Begriff, den Feministinnen im Laufe der 90-er Jahre prägten, um bezahlte und unbezahlte Fürsorgearbeit sichtbarer zu machen: Letztere umfasst Kinder- und Altenbetreuung sowie Haushalt. Sie bleibt auch heute zumeist ungesehen, wird nicht besonders wertgeschätzt und nach wie vor eher von Frauen geschultert. All das erklärt die Zahlen des LISER: Nach der Geburt eines Kindes steigt die familiäre Verantwortung drastisch, die Zeit wird knapp, es folgt für viele Mütter der Rückzug ins Private. Manch einer mag den Terminus „Arbeit“ vielleicht nicht in Zusammenhang mit Kinderbetreuung und Fürsorge lesen, doch diese zutiefst erfüllende Aufgabe bedeutet eben auch Anstrengung und Arbeit. Millionen von Menschen leisten sie, und sie macht die eigentliche Erwerbstätigkeit erst möglich. Beim Gender Care Gap in der EU landet Luxemburg immerhin auf nicht allzu schlechter sechster Stelle, was die tägliche Fürsorgearbeit angeht, Vorreiter ist Schweden. Im Durchschnitt verbringen hierzulande 41 Prozent der Frauen laut EIGE (European Gender Equality Index) täglich Zeit damit, sich um andere zu kümmern, bei den Männern sind es 36 Prozent. Bei der täglichen Koch- und Haushaltsbetätigung sind es 78 Prozent der Frauen und 39 Prozent der Männer. Auch deshalb gibt es seit geraumer Zeit den Equal Care Day, der sich an einer öffentlichen Aufwertung der Care-Arbeit versucht.
Wir erreichen Isabelle Schmoetten, Politikbeauftragte des CID Fraen an Gender, um 17 Uhr via Zoom. Sie hat ihr einjähriges Kind gerade ihrem Partner übergeben, bevor sie sich ins Homeoffice zurückgezogen hat. „Man muss es selber erlebt haben, um zu verstehen, dass die Vereinbarung zwischen Beruf und Familie eine Lüge ist“, sagt sie. Es fehle immer noch an politischer Kreativität, an einer Flexibilisierung der Arbeitswelt, von einem Ideal sei man weit entfernt. In ihrem Umfeld beobachte sie Unzufriedenheit bei vielen Frauen, die das Gefühl nicht loswerden, dass beide Lebensbereiche irgendwie leiden. Sie hätten ein schlechtes Gewissen, und wie fast alle Mütter das Pflichtgefühl der völligen – auch emotionalen – Zuständigkeit verinnerlicht. „Es ist sehr viel Arbeit, sich selbst und die Art und Weise wie man sich benimmt, zu hinterfragen. Ich kann auch gut verstehen, wenn man das gar nicht machen will“, erklärt sie.
In Die Erschöpfung der Frauen schreibt die Schweizer Autorin und Forscherin Franziska Schutzbach über die Entgrenzung von Elternschaft: „Die enge Bindung an Kinder, deren radikale Abhängigkeit, die damit verbundene Emotionalität und pausenlose Zuständigkeit bringen Frauen in eine fragile Position, besonders in einer Welt, die der Bedürftigkeit von Menschen gegenüber strukturell rücksichtslos ist. Die Zuständigkeit für Kinder macht auf eine Weise vulnerabel, wie man sie von anderen Arten der Arbeit nicht kennt.“ Und, über den Mental Load: „Frauen haben ihre Antennen meist in alle möglichen Richtungen gerichtet. Sich die richtigen Geschenke überlegen, mit Erziehungstipps befassen oder Listen erstellen kann natürlich auch Freude bereiten. Das bedeutet aber nicht, dass diese Aktivitäten nicht anstrengend sind. Und: Dass einige Frauen gerne an Geburtstage denken, ändert nichts an der Tatsache, dass viele das Gefühl haben, dass es von ihnen erwartet wird. Diese Pflichtgefühle sind oft so tief verwurzelt, dass Frauen akute Schuldgefühle bekommen können, wenn sie jemanden vergessen. Auch der Umgang mit diesen Schuldgefühlen oder anderen Gefühlen, etwa sich Sorgen machen, gehören zur mentalen und emotionalen Arbeit, die Frauen leisten – zu Hause wie im Beruf. Frauen ist oft nicht bewusst, dass sie neben der körperlichen Hausarbeit auch andauernde mentale und emotionale Arbeit leisten. Und auch sonst fehlt in der Gesellschaft dieses Bewusstsein.“
Auch die italienische Professorin und Philosophin Silvia Federici befand schon in den 70-er Jahren, dass es die Produktion ist, die honoriert wird, nicht die Reproduktion. Die Sisyphus-Arbeit des Familienlebens, die stetige Wiederholung des Kochens, Sorgens, Putzens und Waschens, sie bringt nichts Haptisches hervor, produziert oberflächlich betrachtet nichts, das sich in Profit umwandeln ließe. Die Hilfsorganisation Oxfam errechnete vor zwei Jahren in einem Bericht, dass Sorgearbeit, wäre sie bezahlt, jährlich weltweit dreimal so viel umsetzen würde wie der IT-Sektor. Ein Ding der Unmöglichkeit. Sie nicht mehr zu leisten, ist genauso unmöglich. Die Meinungen über eine (natürlich utopische) Bezahlung für Care-Arbeit gehen auch bei Feministinnen auseinander: Die einen befürchten, dass eine solche „Herdprämie“ zu noch mehr Rückzug ins Private führen könnte; die anderen sprechen von mehr Verhandlungsmacht und Aufwertung für Care-Arbeit, die allen, auch Männern, behilflich wäre.
Auch professionelle, bezahlte Fürsorgearbeit wie jene in Pflege- und Altersheimen, Kindergärten und Putzfirmen ist oft prekär bezahlt und von Frauen geleistet. „Die Entwertung liegt auch daran, dass diese Berufe weiblich konnotiert sind“, sagt Michelle Cloos, Zentralsekretärin des OGBL. „Irgendwas Grundsätzliches stimmt nicht in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns fragen: Wieviel ist uns welche Arbeit wert?“, fragt Isabelle Schmoetten. Käme es zu einer größeren Wertschätzung von Fürsorgeberufen, finanziell und in der Mentalität, wären sie wahrscheinlich weniger unterbesetzt.
Absurde Wohnpreise und steigende Inflation führen heutzutage zu einem ökonomischen Zwang, der für die Allermeisten zwei Einkommen pro Haushalt voraussetzt, eine völlig andere Situation als noch vor vier Jahrzehnten. Von einer „Wahl“ zu arbeiten – Isabelle Schmoetten nennt es ein grundfeministisches Prinzip – kann eigentlich kaum mehr die Rede sein. Die Rate der erwerbstätigen Frauen im Alter zwischen 25 und 49 Jahren hat sich in den letzten knapp vierzig Jahren fast verdoppelt: 1983 arbeiteten 42 Prozent dieser Frauen, 2021 waren es 82,8 Prozent. Gleichzeitig belegt die Rentenlücke derzeit noch den Spitzenplatz in der EU und lag 2019 bei rund 44 Prozent. Das liegt unter anderem an der Teilzeitbeschäftigung, sie betrug im Jahr 2020 für Frauen 31 Prozent, bei Männern gab es im ersten Pandemiejahr ein Rekordwert von knapp 7 Prozent Teilzeitarbeit. Hauptgrund ist laut Erhebungen des Statec Care-Arbeit für die Familie. Das Rentensystem führt dazu, dass Frauen hier bisweilen trotzdem noch nicht so sehr von Altersarmut betroffen sind wie etwa im Nachbarland Deutschland.
Mehr paritätische Erwerbstätigkeit ist natürlich generell positiv zu bewerten, Geld zu verdienen und aktiv die Gesellschaft mitzugestalten, motiviert und bedeutet für eine Reihe Auserwählte auch mehr als Lohnarbeit. Das Gleichstellungsministerium und seine Ministerin Taina Bofferding (LSAP) scheinen jedoch vor allem daran interessiert, alle Beteiligten in Vollzeitarbeit zu sehen. Feminismus, ja gern, aber offenbar nur wenn er dem allgemeinen Produktivitätsdrang dienlich ist. Die zweite Gratis-Schicht zu Hause kommt für Frauen dann einfach obendrauf, Mental Load inklusive. Obwohl alle munter über Work-Life-Balance plaudern, scheint eine größere Arbeitsbelastung ebenso überall fühlbar. Der permanente Druck auf (im Idealfall) zwei Menschen, die Idee der Kernfamilie die des Öfteren alles ohne erweitertes Familiennetzwerk auf die Reihe bekommen muss, kann gesellschaftlich nur schiefgehen. „Zwei Vollzeitjobs kann nicht gesund sein – Betriebe tun sich immer noch schwer mit der Flexibilisierung, doch wir werden nicht drumherum kommen“, sagt Michelle Cloos.
Wie die Plattform JIF (Journée internationale des femmes) fordert das CID eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, damit Familien die Möglichkeit haben, selber mehr Care-Arbeit zu leisten, anstatt sie auf andere – meist weniger privilegierte Frauen, die sich diese Delegierung gar nicht leisten könnten – auszulagern, und um die viel beschworene Work-Life-Balance zu ermöglichen. Dass beide Elternteile beruflich zurückschrauben, die Möglichkeit haben, etwas weniger zu arbeiten, scheint ein Weg aus der Problematik. Die gerechtere Verteilung von Care-Arbeit fängt in den Babyjahren an: Durch die Reform des Elternurlaubs 2016 nehmen immer mehr Männer von Anfang an aktiv am Familienleben teil; der Wandel ist da, es gibt ihn. Ein Sich-Kümmern und Da-sein in der Anfangszeit ist nicht nur von bindungstechnischer Bedeutung, sondern führt zu verstärkten Verantwortungs- und Kompetenzgefühlen des zweiten Elternteils. Ein Tag pro Woche, wenn das Kind den Kindergarten bereits besucht, mag besser als nichts sein, kann aber kaum als ebenbürtiger Elternurlaub gewertet werden. In diesem Zusammenhang fordert die JIF einen congé de naissance von drei Monaten für den zweiten Elternteil, um Zeit zu haben, sich als Familie zu finden – und als Unterstützung für die Mutter.
Ist die Generation, die noch vor der Familiengründung steht, abgeschreckt? Lou Reckinger, 25 Jahre alt und Finanzstudium-Absolventin, hat die VJF (Voix de jeunes femmes Luxembourg) gegründet. „Ich würde jedenfalls aufpassen, mit wem ich eine Familie gründe“, sagt sie am Telefon aus ihrer Schweizer Wahlheimat Zürich. Jemand, der die Verantwortung teilt und sich als gleichwertigen Teil der Familie sieht, nicht als Babysitter. Sie habe den Eindruck, ihre Generation spreche in Beziehungen früher über dieses Thema. „Es tut allen gut, wenn beide mehr Zeit in Care-Arbeit investieren können“, sagt sie, und es klingt so selbstverständlich.