Alle Jahre wieder ist Frauentag. Trotz Evergreens wie Gewalt gegen Frauen oder ungleichen Karrierechancen: Riesenfortschritte gibt’s zur Gleichstellung nicht zu melden

Make it happen!

Taina Bofferding
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 05.03.2021

Die allerwichtigste feministische Tugend sei die Geduld, schrieb die Spiegel-Kolumnistin und Feministin Margarete Stokowski. Und zitierte die lang verstorbene bürgerliche Vorkämpferin in Deutschland, Hedwig Dohm: „Man kommt sich auf dem Gebiet der Frauenfrage immer wie ein Wiederkäuer vor.“

Déjà-Vu-Erlebnisse sind dieser Tage garantiert: Betriebsamkeit in Institutionen, die sich professionell für Gleichstellung einsetzen, oder wie es die zuständige Ministerin Taina Bofferding (LSAP) nennt: Gleichstellung von Frauen und Männern. Am Mittwoch lud sie zum Tag gegen Gewalt ein: Frauennotruf, Polizei, Staatsanwaltschaft, Planning familial und andere berieten über ein Zentrum für Opfer sexueller Gewalt. Am 8. März um 17 Uhr folgt die zweite Auflage des Fraestreik: Ein Bündnis von Frauenrechtsvereinen, Gewerkschaften und anderen wird (mit sanitären Schutzauflagen) vom Luxemburger Hauptbahnhof in Richtung Stadtmitte marschieren. Die Femmes socialistes sind dabei, „weil sich vor allem bei der Verteilung der Fürsorge-Arbeit zu wenig tut“, wie FS-Präsidentin Maxime Miltgen sagt. Der OGBL sowieso, der unter Präsidentin Nora Back seine Frauenabteilung ausgebaut hat.

Femvertising Die breite Mobilisierung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frauenfrage derzeit eine ambivalente Phase durchmacht: Nachdem der westliche Feminismus über #MeToo und die Popkultur den Mainstream erreicht hat, wirkt er hierzulande antriebsschwach. Den Streik 2019 unterstützten knapp 2 000, wie viele Frauen und Männer wird die zweite Auflage bringen – zumal in Pandemiezeiten? Zu welchen Verbesserungen führte der Protest? In Lateinamerika und Asien mobilisieren Frauen Riesenmassen: gegen (tödliche) Beziehungsgewalt in Chile und Mexiko, gegen patriarchale Bevormundung und für die Legalisierung von Abtreibung in Argentinien. In Europa ist die Lage durchwachsen: In Polen protestierten kürzlich tausende Frauen und Männer, allerdings gegen einen Rollback. Die erzkonservative Regierung hat das Abtreibungsgesetz verschärft, das jetzt einem völligen Verbot gleichkommt. In Ungarn beschränkt Rechtspopulist Victor Orbán mit seiner „christlichen“ Verfassungsreform Familie auf eine „Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau“ und verbietet homosexuellen Paaren, Kinder zu adoptieren.

Gramegnas Minute of Fame Und in Luxemburg? Hier scheint die Zeit still zu stehen. Im Landesbericht zu 25 Jahre Peking, jener Weltfrauenkonferenz, die 1995 die Frauenförderung auf die Weltagenda gehievt hat, zeichnet die Gleichstellungsministerin ein rosarotes Bild: Die Verankerung des Gleichstellungsgrundsatzes in die Verfassung 2006, das Belästigungsverbot im Arbeitsrecht, die Umsetzung der Istanbuler Konvention 2018 gegen Gewalt. Der Rückblick ist fast hundert Seiten dick und dass er sich wie eine einzige Erfolgsstory liest, liegt daran, wie weit das CSV-LSAP-geführte Luxemburg damals zurücklag: 1998 wurde das Frauenministerium ins Leben gerufen, erste Verbesserungen folgten bei der Erwerbsarbeit und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für Blau-Rot-Grün flexibilisierte DP-Familienministerin Corinne Cahen den Elternurlaub und führte den Vaterurlaub ein. Unter Bofferdings Vorgängerin Lydia Mutsch (LSAP) wurde das Lohngleichheitsgesetz verabschiedet. Sogar der Finanzminister hatte seine Minute of Fame: Pierre Gramegna (DP) senkte 2019 die Steuer für Frauen-Hygieneartikel von 17 auf drei Prozent ab. Feminismus sei eine transversale Angelegenheit, so Bofferding im Vorwort zum Aktionsplan, aber was hat sie in den zwei Jahren Amtszeit konkret erreicht? Die Erwartungen an die Escherin und LSAP-Politikerin, der mit Vizepremier Dan Kersch ein einflussreicher Mentor in die Steigbügel half, und die sich selbst als Feministin bezeichnet, sind hoch.

Absichtserklärungen Doch schon ihr erster Wurf reichte nicht sehr weit. Mit enormer Verspätung, der letzte lief 2018 aus, legte sie im Covid-Sommer 2020 einen hübsch gelayouteten Aktionsplan in inklusiver Sprache vor, der sowohl von Frauenorganisationen, der Menschenrechtskommission und von Zeitungskommentator/innen kritisch goutiert wurde: Schöne Absichtserklärungen, aber kaum präzise Maßnahmen, schon gar keine verbindlichen Fristen zur Umsetzung oder klar bezifferte Kosten. „Das Lohngleichheitsgebot bleibt zahnlos, solange Unternehmen nicht verpflichtet sind, Auskunft über die Gehälter zu geben, die sie bezahlen“, sagt Michelle Cloos vom OGBL. Sie verweist auf Island: Die dortige Regierung schickt Prüfer/innen in Unternehmen, um zu kontrollieren, ob sie männliche und weibliche Angestellte gleich vergüten.

Wer im Haushaltsentwurf von 2021 nach Fördermaßnahmen zur Gleichstellung sucht, findet in den anderen Ministerien, abgesehen von der Erziehung und der Familie, kaum solche. Die Cellules de compétence ebenso wie verpflichtende Weiterbildungen der Verwaltungen zu Gleichstellungsfragen wurden von Blau-Rot-Grün als Auslaufmodell gekappt; Bofferding will jetzt „Gender-Beratende“ einführen. Aber wenn die Ministerin nicht einmal ihre eigene Partei LSAP zur inklusiven Sprache zu überzeugen vermag, wie will sie dann ihre Kabinettskolleg/innen dazu bringen, die Geschlechterperspektive systematisch in allen Politikfeldern zu berücksichtigen? Die Steuerverwaltung beispielsweise verschickt stur die jährliche Aufforderung zur Steuererklärung an den Mann im Haushalt, selbst wenn dessen Name alphabetisch hinter dem der Frau liegt und sie das meiste Geld verdient.

Systemrelevante Fürsorge Nun hat die Covid-19-Pandemie den Fahrplan kräftig durcheinandergewirbelt. Das Gleichstellungsministerium hat eine zusätzliche Hotline für Frauen in Not ins Leben gerufen: Doch weder ist sie an 24 Stunden und sieben Tagen erreichbar, noch wurde das Personal verstärkt: Es sind dieselben Frauen, die sowieso am Limit arbeiten. Betroffene verweilen wegen der großen Wohnungsnot zudem länger in den Zufluchts-Unterkünften. Für 60 000 Euro wurde ein Angebot für die Täter/innen ins Leben gerufen, ein Theaterstück soll über häusliche Gewalt aufklären.

Frauen und Männer, die in Spitälern und Heimen Überstunden leisten, um den Corona-bedingten Personalausfall aufzufangen, und dann nachhause eilen, um in der Familie zu helfen, wurde zu Beginn der Pandemie eifrig beklatscht, Politiker/innen gleich welcher Couleur beschworen „Systemrelevanz“, auch Bofferding. Doch den idealen Moment, die ungleiche Verteilung der Fürsorgearbeit in der Gesellschaft anzugehen und mit konkreten Maßnahmen gegenzusteuern, hat die ehemalige OGBL-Angestellte nicht beim Schopfe ergriffen, was bei ehemaligen Kolleginnen für Erstaunen und Frust sorgt. Während der Gesondheetsdësch Pisten diskutiert, wird privates Putzpersonal in den Spitälern nicht vorrangig geimpft, obwohl es an vorderster Front steht. Zukunft und Stellenwert der systemrelevanten Care-Arbeit wurden weder von Bofferding, Dan Kersch noch sonst wem zur Chefsache erklärt. Das zu thematisieren, überlässt man den streikenden Frauen.

Premier Xavier Bettel (DP) erklärte sich für nicht zuständig. Bofferdings geplantes Gleichstellungs-Observatorium soll jetzt Abhilfe bei den Datenlücken schaffen. Luxemburg fällt in europäischen und internationalen Vergleichen immer wieder negativ auf, weil es die nötigen Zahlen nicht liefert. Eine Entschuldigung dafür, dass die Dreierkoalition bei der Gleichstellung nur in Tippelschritten vorankommt, ist das nicht, vermochte sie doch wegen Covid-19 tief in Freiheitsrechte einzugreifen, nicht selten ohne die Einschnitte mit Daten unterfüttern zu können.

Sensibilisierung über alles Der Fokus liege sehr auf Kampagnen und Sensibilisierungsarbeit, bemängeln Cid Fraen an Gender, Frauenrat CNFL und Menschenrechtskommission unisono. Es stimmt: An Video-Kampagnen, Festivals und Broschüren fehlt es auf der Mega-Ministeriumsseite nicht; das Gros stammt aus den vergangenen vier Jahren. Wenn Bofferding für Kampagnen spricht, klingt es oft kontrolliert und steif. Zum 25. Jahrestag der Pekinger Erklärung forderte sie in einer leeren Rotonde „Jung und Alt“ auf, jede/r könne dazu beitragen, „dass wir die Gleichstellung auf dem Papier auch in der Realität leben können“. Und die Politik? Frauen, die sich lange schon für Gleichstellung einsetzen, hadern mit der Ministerin, die Pressekonferenzen hält, aber bislang wenig eigene, inhaltliche Akzente setzt. Innovative Projekte oder neue Instrumente sucht man vergebens. Offenbar nützt auch der gute Draht zu Parteifreund und Arbeitsminister Dan Kersch wenig.

Bei einem Webtalk mit der uni.lu im Dezember 2020 wird die Politikerin dann doch persönlich: Sexistische Bemerkungen erlebe sie auch in der Politik: Auch wenn „sie wahrscheinlich nicht so gemeint sind, sind sie deplatziert“. Als es um ihre politische Förderung ging, sei sie auf ihr Alter hingewiesen worden und ob sie nicht eine Familie gründen wolle. „Das hat mich schon verletzt, weil ich nicht mitbekommen habe, dass meine männlichen Kollegen, die zur selben Generation gehören, die gleiche Erfahrung machen mussten“, erzählt sie ehrlich.

Dass sich der Anteil der Frauen in Leitungspositionen beim Staat seit 2015 um rund zehn Prozent verbessert hat, hatte Bofferdings Vorgängerin Lydia Mutsch in die Wege geleitet. Für Privatfirmen fehlen weiterhin Vorgaben, obwohl gediente Femmes socialistes wie Vera Spautz („Ohne Quote wird die Gleichstellung noch Jahrzehnte dauern“) seit Jahren eine gesetzliche Frauenquote fordern; die DP wusste dies zu verhindern. Derweil wirken in der Privatwirtschaft dieselben strukturellen Benachteiligungen: weniger Frauen in Führungspositionen, mehr teilzeitbeschäftigt und gering bezahlt, trotz höherer Ausbildung. Was sich, wie eine Studie des Liser belegt hat, auf die Rentenhöhen auswirkt. Das Medianeinkommen von Frauen liegt laut Statistikamt Statec höher als das der Männer; Luxemburg schneidet im EU-Vergleich beim Gender Pay Gap mit 1,6 Prozent (Brutto-)Lohnunterschied sehr gut ab. Den Vorsprung verdanken Frauen ihrer Dominanz im Unterrichtswesen und in der Gesundheitsversorgung, wo hierzulande in der Regel ordentliche Löhne gezahlt werden.

Frauenarmut Der Statec-Bericht hält aber auch fest, dass ein deutlich höherer Anteil der Frauen sehr niedrige Löhne verdient – unter 30 000 Euro im Jahr; der Kampf um gleiche Bezahlung erweist sich da als besonders zäh und schwierig (siehe Seite 2f). Zumal Gremien, die einst gut funktionierten, wie das Komitee zur Förderung der Frauenerwerbsarbeit, unter Bofferding brachliegen: Die Webseite wurde seit 2009 nicht aktualisiert, wann die letzte Sitzung war – unklar. Michelle Cloos, für den OGBL nachgerückt, wartet noch immer auf einen Fahrplan; Bofferding hatte angekündigt, das Komitee reaktivieren zu wollen. Keine Minute zu spät, um die Folgen der Covid-19 Krise insbesondere für Frauen abzufedern. Dass sie es sind, die Homeoffice, Homeschooling und Familienarbeit hauptsächlich schultern, Burnout riskieren oder wegen Arbeitslosigkeit drohen, in Armut zu rutschen, ist in Foren und auf Twitterfeeds Anlass für Dauerfrust. Der OGBL fordert daher eine Arbeitszeitverkürzung und wird darin vom Streikkomitee unterstützt. Dass trotz Mehrfachbelastung hierzulande so recht keine Wut laut wird, liegt indes vielleicht an Strukturen, die als feministische Errungenschaften gelten: Die Organisationen, die neben den Gewerkschaften Druck machen können, hängen finanziell am T(r)opf der Regierung und werden meist von (weißen) Akademikerinnen geführt.

Mittelschichts-Feminismus Jüngere Frauen, wie die Präsidentin der Femmes socialistes, wollen sich gegenüber dem Land nicht kritisch zur Gleichstellungspolitik äußern, aus Solidarität zur Ministerin und weil sie Probleme wie die anhaltende Dominanz der Männer so nicht erleben: „Ich werde in meiner Partei gerade von Männern unterstützt“, findet Maxime Miltgen. Wer etwas verändern wolle, müsse sich einbringen. Für die LSAP gilt indes dasselbe Phänomen wie für andere Parteien auch: Manche Familiennamen klettern eben schneller die Leiter hinauf.

Andere tun sich schwer, sich überhaupt zu organisieren und Gehör zu bekommen: Frauen im Horeca-Bereich oder im Einzelhandel fürchten Benachteiligungen oder arbeiten so viel, dass Job, Familie und dazu gewerkschaftliches Engagement zeitlich nicht drin sind. „Frauen sind im Nachteil, wenn Sitzungen oder Aktionen am Abend oder am Wochenende stattfinden“, bestätigt David Angel, Handel-Zentralsekretär beim OGBL. Die Gewerkschaft trifft sich verstärkt zur Mittagszeit, um die Beteiligung von Frauen zu verbessern. „Das funktioniert“, betont er.

Eine Initiative in punkto Gleichstellung hat indes mit Bofferdings Ministerium wenig zu tun: Frauen mit afro-luxemburgischen Wurzeln haben sich zu Interessengruppen wie Lëtz Rise Up und Finkapé, zusammengetan und erheben selbstbewusst ihre Stimme. Ihnen geht es nicht nur um (Über-)Lebenshilfe in Safe spaces, ein Ansatz, den weiße Feministinnen einst für sich in Anspruch nahmen (heute werfen einige exklusiv Afro-Frauen vorbehaltenen Workshops „Diskriminierung“ vor). Sondern auch um die politische Forderung, strukturellen Rassismus etwa im Bildungswesen, bei der Arbeits-, und Wohnungssuche oder in den Medien zu bekämpfen. Das zweierlei Maß bei der Berichterstattung über die wegen Mobbing in die Kritik geratene EU-Abgeordnete Monica Semedo war vielen in der Afro-Gemeinschaft aufgestoßen. Schwarze Frauen (und ihre Familien) tragen ein erhöhtes Armutsrisiko: Viele sind alleinerziehend, arbeiten in schlecht bezahlten Jobs oder leben in beengten Wohnungen. Eine intersektionale Perspektive, die die verschiedenen Dimensionen von Diskriminierung und ihr Zusammenwirken analysiert, fehle „vor allem gänzlich in der Ausführung der Maßnahmen und Aktionen“ im Plan der Regierung, so das Cid Fraen an Gender. Oder um Margarete Stokowski zu zitieren: Frau kriegt eben nur maximal so viel Fortschritt, wie sie bestellt hat.

Ines Kurschat
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