LEITARTIKEL

Der Widerspenstigen Zähmung

d'Lëtzebuerger Land du 12.03.2021

Quo vadis, Internationaler Frauentag?, will frau fragen angesichts der Demo zum 8. März, oder zum feministischen Kampftag, wie es inklusiv heißt. Rund 1 000 Feminist/innen marschierten am Montag durch Luxemburgs Innenstadt, um eine gerechte Verteilung der Fürsorgearbeit, gerechte und gleiche Löhne sowie eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu fordern. Ob das der Grund war, warum Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP) ein Grußwort an die Teilnehmenden richten durfte? Mit von der Partie war Partei- und Kabinettskollegin Gleichstellungsministerin Taina Bofferding, die in ihrer Rede die antifeministischen Anwandlungen der Rechtspopulist/innen des ADR attackierte.

Auf die magere Bilanz der Regierungskoalition gingen beide nicht ein. Wo ist das Gesetz, das Unter-nehmen zu mehr Transparenz bei der Entlohnung verpflichtet, um das Lohngleichheitsgesetz von Bofferdings Vorgängerin Lydia Mutsch in konkrete Aktion umzusetzen? Warum wird sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz hierzulande so selten gerichtlich verfolgt und was tun die Minister/innen dagegen? Warum haben sie die Antidiskriminierungsstelle CET nicht mit einem Klagerecht ausgestattet? Wo sind die Steuerer-
leichterungen für mehrfach belastete Alleinerziehende, was tut die Regierung gegen Teilzeitbeschäftigung, mit der Frauen auch in Zukunft trotz gestiegener Erwerbstätigkeit Altersarmut riskieren?

Der Ton auf der Demo sei militanter geworden, fand ein Journalist, der nach dem Skate-Workshop die Demonstrierenden begleitet hatte. Was militant daran ist, ausgerechnet jenen Verantwortlichen für den Stillstand Podium und Redezeit zu überlassen, damit diese den politischen Gegner attackieren und sich selbst profilieren, weiß wohl nur er. Ist es die Luxemburger Konsenskultur oder ist die finanzielle Abhängigkeit inzwischen so groß, dass Auftritte von Minister/innen zu Frauendemos dazu gehören? Getoppt wird die Zahmhaftigkeit nur noch vom Bühnenauftritt der Großherzogin auf einer Protestkundgebung der Orange Week gegen Gewalt vor zwei Jahren. Heute ist der feministische Ansatz intersektional (unterschiedliche Positionen sozialer Ungleichheit, wie Geschlecht, Hautfarbe, Einkommen werden in ihrem Zusammenwirken thematisiert). Doch der Tonfall ist eben nicht radikaler geworden, obwohl große Fortschritte in vergangenen Jahren ausblieben. Es scheint, als hat sich die Mehrheit damit abgefunden, dass es in der Geschlechterfrage mit Trippelschritten vorangeht.

Auch wenn wichtige frauen- und geschlechter-politische Forderungen durchgesetzt wurden, wie die Ehe für alle, das Gesetz zur Einführung eines dritten Geschlechtseintrags oder die Aufnahme des Voyeurismusverbots ins Sexualstrafrecht – die vollständige Selbstbestimmung aller Frauen (auch der mit Behinderungen) über ihren Körper, Gewalt- und Diskriminierungsfreiheit sind nach wie vor nicht erreicht. Frauen sind besonders von spezifischen Gewaltformen, wie Partnerschaftsgewalt, Femiziden und sexualisierter Gewalt betroffen. Weit verbreiteter Sexismus verhindert weiterhin ihre gleichberechtigte Teilhabe: Sie leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit, verdienen weniger, verarmen öfter und sind in Parla-menten und Vorständen deutlich unterrepräsentiert.

Es ist eine Errungenschaft, dass von weißen Akademikerinnen dominierte feministische Bewegungen sich öffnen, weil Afro-Luxem-burgerinnen selbstbewusst ihren Platz einfordern. Teilhabe für alle Frauen ist erst erreicht, wenn sich Diversität konkret auch in Fraueninstitutionen widerspiegelt, wenn sich alle Gesellschaftsbereiche für sie öffnen. Solange Frauen für andere Frauen die Putzarbeit übernehmen, dies womöglich ohne Sozialversicherung und für einen Hungerlohn, während diese Karriere machen, kann von Schwesternschaft keine Rede sein. Feministisch zu sein ist mehr, als jedes Jahr auf die Straße zu gehen, Feminismus ist Alltagshandeln, heißt Aufbegehren gegen das Patriarchat immer und überall. Der Unterschied des Feminismus heute zu dem der 1980-er ist außer den T-Shirt-Motiven vielleicht auch der, dass sich viele Aktivist/innen damals als autonom, kapitalismus- und herrschaftskritisch verstanden und sie mit strategischen Bündnissen konkrete politische Forderungen gegen den Staat durchsetzten. Heute überlassen sie der Regierung die Bühne.

Ines Kurschat
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