Vor drei Wochen änderten die Abgeordneten einstimmig ihre Geschäftsordnung: Sie kürzten freiwillig ihre Redezeit. Die Redezeit im Parlament unterliegt einer auswuchernden Buchhaltung: Sie wird berechnet nach Fraktionen, Gruppierungen, Abgeordnetenzahl, Debattengegenstand, Änderungsanträgen, Berichterstatterinnen, Ministern, Entschließungsanträgen, multipliziert mit acht Zeitschemen.
Nun wurde die Redezeit bis zur Hälfte gekürzt. Hinzu kommen zwei neue Zeitschemen: Debatten ohne Debatten. Um Gesetze wortlos durchzuwinken.
Der Bericht des Geschäftsordnungsausschusses beklagte „des temps de parole inadaptés à une Chambre des Députés moderne et dynamique“ (S. 1). Besonders die Konservativen wollen nicht altmodisch sein. Die neue CSV-Abgeordnete Stéphanie Weydert riet, „déi politesch Messagen an der Pléniaire méi kuerz a méi knackeg ze faassen“. Als „absolut zäitgeméiss Moderniséierung“ (19.3.24).
CSV-Kammerpräsident Claude Wiseler will „dobaussen nogelauschtert“ bekommen. „An dorëms geet et eis jo. Datt een do besser huet, méi kuerz, méi pregnant, to the point ze kommen“ (RTL, 19.3.24). Stéphanie Weydert wünschte sich, dass es „virun allem fir d’Leit dobausse méi interessant gëtt, an d’Chambersëtzung eranzelauschteren“.
Lange wurde behauptet, Plenardebatten dienten dem Austausch zwischen den Deputierten. Um gesellschaftlichen Standpunkten zum Durchbruch zu verhelfen. Um sich auf die bestmögliche Fassung eines Gesetzes zu einigen. Nun erweisen die Debatten sich als Spektakel. Für ein Publikum von Rentnern am Fernseher, Lobbyisten am Computer.
„Le spectacle est le discours ininterrompu que l’ordre présent tient sur lui-même, son monologue élogieux. C’est l’auto-portrait du pouvoir à l’époque de sa gestion totalitaire des conditions d’existence“ (Guy Debord, La Société du spectacle, S. 18).
Die Abgeordneten verringern ihre Redezeit, um ihren Unterhaltungswert zu steigern. Obwohl die Gesetze technischer, komplexer werden. Und deshalb ausführlichere Erörterungen verlangten. Kürzere Redezeiten führen aber „méi a Richtung Liewensqualitéit fir jiddereen, deen eis Debatte suivéiert, an och vläicht fir eis selwer“. Freute sich die grüne Berichterstatterin Sam Tanson.
Mit ihrer Selbstkritik geben die Abgeordneten Reichspropagandaminister Joseph Goebbels recht. Er nannte den Reichstag „Quatschbude“. Nach dem Krieg wurde die Schmähung des „Gequatsches“ fortgeführt: Von den Stammtischen, der Lëtzebuerger Revue, Kabarettisten, Satirikern.
„Dës Chamber ass, ouni dass ech iwwerdreiwen, nu wirklech déi dommste Chamber, déi et op der ganzer Welt gëtt an engem demokratesche Regime.“ Beschwerte sich der CSV-Abgeordnete Fernand Rau (7.7.1982). Er ging zur ADR.
Kommissionssitzungen waren bisher nicht öffentlich. Nun werden auch sie im Fernsehen und Internet übertragen. In den Ausschusssitzungen ist die Redezeit unbegrenzt.
Abgeordnete loben die Rundfunkübertragung als Höhepunkt demokratischer Transparenz. Brecht verlangte vom Rundfunk, „den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen“ (GBFA, Bd. 21, S. 553). Deshalb warnt der Kommentar zur Geschäftsordnung nachdrücklich: Die Kommissionssitzungen sind „pas pour autant ouvertes au public [...] Le public n’a pas accès aux salles de réunion. La participation physique aux réunions est réservée“ (S. 2).
CSV und DP wollen in den nächsten Jahren mit Ausgabenkürzungen für die Besitzlosen die Steuersenkungen für die Besitzenden finanzieren. Sie versuchen nicht, modern und dynamisch zu sein. Sie versuchen, durch kurze und knackige Werbung unpopuläre Politik populär zu machen.