Der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar zählt zu jenen Politikern, die die Nachrichtenlage im Sommerloch durch Twitter-Meldungen zu bereichern versuchen. Manche sind eher privat, wie sein Trauerbekenntnis zum Ableben von Olivia Newton-John diesen Dienstag. Die anderen drehen sich vor allem um Klima und Energie. Und auf den ersten Blick scheinen sie gar nicht für ein Luxemburger Publikum geschrieben, sondern für ein deutsches. Denn seit gut einem Monat regt Mosar sich vor allem über die deutschen Grünen auf: Im Gegensatz zu den belgischen und den finnischen hätten sie noch nicht begriffen, dass die derzeitige Energiekrise den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken erfordere.
Ob der zum Energieexperten gewordene Geschäftsanwalt dabei nur die aktuelle Krise im Blick hat, ist nicht so klar. Am 4. August prophezeite er: „Nur mit einem intelligenten Energiemix von Erneuerbaren, Wasserstoff, Atomstrom und dann in Zukunft vielleicht Kernfusion werden wir die Energiewende stemmen.“ Der Nachfrage eines Twitter-Nutzers: „Sie fordern also ein Kernkraftwerk in Luxemburg?“, entgegnete er, man müsse alle seine Tweets „aufmerksam“ lesen. Dann „hätten Sie mitbekommen, dass ich Atomkraft als wichtige Übergangstechnologie ansehe und dafür eintrete, dass bestehende AKW weiterlaufen sollen“. Da Luxemburg keines hat, „stellt sich also bei uns die Frage nicht“. Wer Mosars Tweets aufmerksam liest, kann sich allerdings auch fragen, ob er den Klimawandel und dessen Folgen für wirklich problematisch hält: „Darf man sich eigentlich heute noch über das schöne Wetter freuen?“, wollte er am 23. Juli vom Cyberspace wissen. Und am 6. August: „Darf man überhaupt noch sagen, dass der Sommer bis jetzt eigentlich ganz angenehm war?“ Dass ihm darauf auch Reaktionen entgegenschlagen, die als Beleidigung strafwürdig sein könnten, nimmt der Jurist hin.
Man könnte das als mediale faits divers abtun, wäre es nicht bezeichnend für die klima- und energiepolitischen Positionen der CSV und dafür, wie die Partei sie unter die Leute bringt. „Pragmatisch“ und „nicht ideologisch“ sei ihre Politik, sagen die, welche sie an vorderster Front öffentlich vertreten: das Fraktionschef-Tandem Martine Hansen und Gilles Roth, der Abgeordnete Paul Galles und dann und wann auch Parteipräsident Claude Wiseler. Laurent Mosar ist als umweltpolitisches Sprachrohr eher neu, aber immerhin der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion.
Pragmatisch, auf Machbarkeit hin orientiert, hatte man die acht Seiten lange Resolution zu Wachstum, Klimaschutz und Wohnungsbau, die am 9. November 2019 ein außerordentlicher Kongress in Rodange bei nur einer Enthaltung annahm, nicht unbedingt verstehen können. Steht in dem für die Partei noch heute gültigen Grundsatzdokument doch beispielsweise, dass Klimaneutralität als Staatsziel in der Verfassung verankert gehöre. Oder dass die Luxemburger CO2-Emissionen „umgehend radikal verringert“ und „mittelfristig weitgehend auf Null gebracht“ werden müssten. Politisch bemerkenswert war auch die Idee, „besonders emissionsstarke Autos“ höher zu besteuern. Und dass ein „CO2-Preis“ auf fossile Energieträger vonnöten sei.
Wer bevorzugt diese Punkte zur Kenntnis nahm, konnte meinen, die ein Jahr zuvor zum zweiten Mal in die Opposition verwiesene Volkspartei wolle als umweltpolitisches Korrektiv gegenüber einer Mehrheit agieren, der die Grünen angehören. Ein halbes Jahr vorher, am 16. Mai 2019, hatte Gilles Roth in einer Aktuellen Stunde im Parlament der Regierung seit 2013 „sechs Jahre verfehlte Klimapolitik unter den Grünen“ bescheinigt: Luxemburg sei dabei, sein EU-Klimaziel für 2020 zu verfehlen und im EU-Vergleich Schlusslicht bei den erneuerbaren Energien. Vor allem jedoch attackierte Roth damals die Grünen mit einer bis dahin kaum dagewesenen Aggressivität. Das Wort stellte am Tag danach fest, offenbar habe die CSV die Grünen zum „Lieblingsgegner“ auserkoren, und man müsse sich fragen, ob beide Parteien eines Tages miteinander eine Regierung bilden könnten. So, wie es im Wahlkampf 2018 gar nicht abwegig schien.
Im Mai 2019 hatte Gilles Roth einer „nationalen CO2-Steuer“ noch eine Absage erteilt: Die CSV sei „klar dagegen“, rief er ins Kammerplenum. Als sie in ihrer November-Resolution einem „CO2-Preis“ zustimmte, schien sie es sich anders überlegt zu haben. Doch wer die Resolution genau las, stellte fest, dass der CSV eine Steuer „besonders auf solchen“ fossilen Brennstoffen vorschwebte, „auf denen heute weder in Luxemburg noch sonst in der EU Akzisen anfallen“. Sofern es politisch opportun wäre, hätte damit lediglich eine Steuer auf Flugzeug-Kerosin gemeint sein können. Nicht aber auf Diesel, Benzin, Gas und Heizöl.
Eben das fällt an der CSV seit gut drei Jahren auf: Zu Klima und Energie argumentiert sie an der Oberfläche und leistet sich Widersprüche. Dass sie Klimaschutz und Energie-Transition politisch nicht vernachlässigen darf, ist ihr klar; das haben die Zugewinne der Grünen bei den letzten Wahlen gelehrt. Pragmatisch ist die Klimapolitik der Regierung in Wirklichkeit auch, etwas anderes wäre von einer DP-LSAP-Grüne-Koalition nicht zu erwarten. Um sich zumindest ein wenig von dieser zu unterscheiden, muss die CSV noch markt- und technikgläubiger argumentieren. Deshalb legte Martine Hansen im Oktober verganenen Jahres in der Debatte zur Lage der Nation lang und breit dar, dass Wissenschaftler des deutschen Fraunhofer Instituts einer Delegation der Partei erzählt hätten, man müsse „technologieoffen“ bleiben. Nicht nur aus grünem Strom produzierten Wasserstoff wollen, sondern auch „türkisen“, aus Erdgas gewonnenen. Und man dürfe die Kernfusion nicht außer Acht lassen. Vom grünen Vizepremier François Bausch daraufhin ins Kreuzverhör genommen, bellte Hansen am Ende genervt: „Wir sind gegen den Atomstrom. Und ich meine, viel klarer kann ich das nicht sagen. So!“
Ganz wahr ist das heute nicht mehr. Siehe Laurent Mosars Tweets oder Claude Wiselers Bekenntnis im Parlament kurz nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine, nun dürfe man Atomstrom „pragmatisch“ nicht mehr ausschließen; Deutschland sei bald soweit. Dass die CSV Ende Juni ihre Mitgliedschaft im Aktionskomitee gegen Atomkraft suspendierte, ist, so gesehen, konsequent. Doch hinter all dem Chaos zu vermuten, ist wahrscheinlich falsch.
Sicher ist, dass die CSV-Fraktion in ihren Reihen keinen Energieexperten mehr hat wie Marcel Oberweis und keinen Öko-Pionier wie Marco Schank. Um kohärente Konzepte mit persönlicher Erfahrung und Expertise vertreten zu können, ist einfach niemand da. Doch das ist gar nicht schlimm, wenn das strategische Ziel der Volkspartei nicht darin besteht, durch „radikale“ Politik das Klima zu retten, sondern 2023 endlich wieder in die Regierung zu kommen. Dann bietet die derzeitige Krise sich vortrefflich an, um zu erzählen, „bis in die Mittelschicht“ reiche die Armut wegen der hohen Energiepreise mittlerweile, wie Gilles Roth das mehrfach vor den Sommerferien tat, und um das Enddatum der 7,5 Cent Tankrabatt einen Tanz aufzuführen wie um das Goldene Kalb. Wenn Roth am 28. Juni der ADR recht gab, dass die Luxemburger Spritakzisen „dauerhaft“ unter denen der Nachbarländer bleiben müssten, um der Staatskasse die Einnahmen aus dem Tanktourismus zu erhalten, lässt auch das sich als „pragmatisch“ verkaufen. Dass er im Mai 2019 gezürnt hatte, trotz Grünen in der Regierung habe der Tanktourismus zugenommen, wissen nur die Wenigsten.
Dennoch herrscht Methode innerhalb der Fraktion. Es wird viel diskutiert über Klima und Energie. Die Rollen sind vergeben an Martine Hansen und Gilles Roth als Wadenbeißer und Protagonisten einer Politik fir déi kleng Leit, die seinerzeit Frank Engel der CSV als Leitlinie verordnet hatte. Für die tatsächlich Klimabewegten spielt der Theologe Paul Galles die Rolle des Parteigrünen, der die Aktienbeteiligungen des Rentenfonds an Petrol- und Atomfirmen beenden möchte, Greenpeace zitiert und mit pastoralem Gestus Natur und Umwelt als „Wert“ beschwört.
In Wirklichkeit verfolgt die CSV sehr irdische Ziele, die Laurent Mosar in seinen Tweets andeutet: Die Schwächung der Grünen, denn das schwächt die Koalition. Populistisch wird das Soziale betont („Herr Turmes, in Luxemburg frieren die Menschen!“), weil das die LSAP nicht kalt lassen kann. Mit ihr würde die gar nicht neue CSV am liebsten koalieren. Das Alte wieder übers Land bringend. Vermutlich mit alten Köpfen. So strukturkonservativ, wie es wäre, Atomkraftwerke weiter laufen zu lassen.