LEITARTIKEL

Ziemlich wertlos

d'Lëtzebuerger Land vom 01.07.2022

Soll womöglich in die Verfassung geschrieben werden, dass die Spritpreise in Luxemburg stets kleiner als die in den Nachbarländern sein sollen? ADR und CSV konnte man am Dienstag so verstehen. Da diskutierte die Abgeordnetenkammer mal wieder über die Preise von Benzin, Diesel und Heizöl. CSV-Fraktionschef Gilles Roth verlangte eine „pragmatische Entlastung statt ideologischer Parteipolitik“. Bis Jahresende sollten auf Sprit und Heizöl nur die EU-Minima an Akzisen genommen werden. So würde den Menschen „bis in die breite Mitttelschicht hinein“ geholfen und gleichzeitig der Tanktourismus angekurbelt. Auf den könne Luxemburg haushaltspolitisch nun mal nicht verzichten. Als die ADR später per Motion erreichen wollte, „d’Steieren esou unzepassen, datt d’Brennstoffpräisser fir ze tanken ze Lëtzebuerg ëmmer ënnert dem niddregste Wäert vun eise Nopeschlänner leien“, erklärte Roth: „Das unterstützen wir. Ja, das finden wir auch.“

Natürlich verfügt Gilles Roth als in Steuerfragen sehr bewanderter Politiker und ehemaliger hoher Beamter im Finanzministerium über genug Sachverstand, um zu wissen, dass der Tanktourismus sich über die nächsten Jahre sowieso erledigen wird, weil die Spritnachfrage sinkt. Und dass in der EU eine Reform der Energiebesteuerung ansteht, die die Spielregeln ändern wird. Wichtig wäre eigentlich, beizeiten darüber nachzudenken, wie man das absehbar größer werdende Loch bei den Spritakzisen-Einnahmen stopft. Und darüber, ob Strom so billig, weil so niedrig besteuert bleiben soll wie heute – und Luxemburg zum Strom-Tankdorado werden soll. Derartige Überlegungen könnte man realistische Politik nennen.

„Realistische Politik“ aber drückt sich für CSV- Parteipräsident Claude Wiseler zum Beispiel darin aus, den Mitgliedsbeitrag im Nationalen Aktiounscomité géint d’Atomkraaft nicht zu bezahlen. Dabei sei die CSV „nach wie vor gegen die Atomenergie“ und für eine Umstellung auf alternative Energien „so schnell wie möglich“. Allerdings, so quälte Wiseler sich im RTL-Interview mit kognitiver Dissonanz, könne das „heute noch nicht der Fall sein“. Die Energiekrise wegen des Krieges in der Ukraine erfordere eine „Übergangszeit“ und mehr Atomstrom derweil.

Natürlich ist Claude Wiseler klar, dass trotz des Krieges nichts dagegenspricht, so schnell wie möglich auf mehr Wind- und Solarstrom umzustellen. Er weiß vermutlich auch, dass das Luxemburger Stromnetz zum größten Teil eine Verlängerung des deutschen Netzes ist und die deutsche Regierung herausgefunden hat, dass eine Laufzeitverlängerung der drei im Nachbarland noch bestehenden AKWs aus verschiedenen Gründen „nicht zu empfehlen“ ist. Sogar die größten deutschen Energiekonzerne lehnen sie ab.

Doch die CSV denkt an die Wahlen nächstes Jahr. Deshalb kopiert sie zur Atomenergie, was die deutsche CDU sagt – im Vertrauen darauf, dass das Wahlvolk oft deutsches Fernsehen schaut. In der Spritpreispolitik no bei de Leit will sie das Feld nicht der ADR überlassen und singt mit im populistischen Chor. Für die ernsthaft klima- und energiepolitisch Bewegten in der CSV-Anhängerschaft erkundigte sich der Abgeordnete Paul Galles am Mittwoch im Parlament, ob die Investitionen des 23 Milliarden Euro schweren Kompensationsfonds der Rentenkasse wirklich konform sind zum 1,5-Grad-Ziel im Pariser Klimaschutzabkommen. Galles berief sich dabei auf eine Studie von Greenpeace und der Entwicklungshilfe-Organisation ASTM, die das bezweifelt. Mit Greenpeace zu argumentieren, wäre Gilles Roth sicherlich nicht eingefallen und Claude Wiseler wahrscheinlich ebenfalls nicht.

Spiegelt diese Vielfalt der politischen Prämissen ihrer Spitzenpolitiker die Vielfalt der Ansichten in der Volkspartei wider? Kann sein. Doch die angeblich „neue“ CSV hatte beim Kongress vor drei Wochen behauptet, sich auf „Werte“ besonnen zu haben, die den Daseinsgrund der Partei bildeten. Denkt man zusammen, was Roth, Wiseler und Galles diese Woche vertreten haben, dann hat das Wertegebäude der Partei mit dem neuen Logo ein Loch dort, wo es um Klima und Energie geht. Was die CSV für die Gesellschaft ziemlich wertlos macht.

Peter Feist
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