Als Parteipräsident Claude Wiseler am Samstag auf dem CSV-Kongress in der Deichhalle in Ettelbrück seine langatmige Abschlussrede endlich beendete, blendete die Regie auf der großen Leinwand hinter ihm ein Bild ein. Es zeigte ein kleines Mädchen mit langem dunkelblondem Haar, das in einem Feld steht und an einer Sonnenblume riecht. Seinen Kopf streckt es der leuchtend gelben Blüte entgegen, so weit, dass sein Gesicht fast ganz darin verschwindet. Wäre nicht das orangefarbene Parteilogo in der linken oberen Ecke gewesen, hätte man meinen können, das Motiv stamme aus dem Wahlprogramm der Grünen von 2018. Tatsächlich war es aber eine Ankündigung der CSV für ihren außerordentlichen Kongress am 11. Juni. An dem Tag will die Partei nämlich ganz offiziell in den Wahlkampf starten. Bis dahin soll auch die inhaltliche Neuausrichtung stehen. Die Erneuerung der Parteispitze wurde am Samstag mit der Wahl von Stéphanie Weydert zur Ko-Generalsekretärin und Elisabeth Margue zur Ko-Präsidentin abgeschlossen. Designiert worden waren sie schon auf dem letzten Parteikongress im April 2021 in Junglinster, doch damals ließen die Statuten der CSV Doppelspitzen noch nicht zu. Als die Statuten im Oktober geändert wurden, waren die beiden Geschäftsanwältinnen Mitangeklagte im Prozess um den früheren Parteipräsidenten Frank Engel. Nach dem Freispruch im Dezember war ihre Wahl nur noch eine Formalität.
Guru Am 11. Juni soll „déi nei CSV“ vorgestellt werden. In den nächsten drei Monaten wolle seine Partei Dinge „umkrempeln“, sagte Wiseler: „Gewohnheiten, unsere Art und Weise und eine Reihe von Evidenzen.“ Weil sie das alleine nicht kann und man das heute so macht, hat die CSV „in einem internationalen Pitch“ die Kommunikationsagentur Guru (Institute for moving content) aus Hamburg engagiert. Guru zählt zu seinen Kunden nicht nur die Deutsche Bahn, den Brillendiscounter Fielmann und den zur Otto-Gruppe gehörenden Kleiderversand Bonprix, sondern auch mehrere wirtschaftliche Lobbyverbände (Arbeitgeberverband Gesamtmetall, Verband der Chemischen Industrie, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau). Vor allem aber ist Guru für die Parteienwerbung der zuletzt nicht sonderlich erfolgreichen CDU Deutschland und mehrerer ihrer Landesverbände verantwortlich. Im Januar hat die Werbeagentur den ehemaligen Bundestagsabgeordneten und früheren Landesvorsitzenden der CDU Hamburg, Marcus Weinberg, eingestellt, um den Bereich Public Affairs und politische Kommunikation auszubauen und ihr Geschäftsmodell zu internationalisieren. Anfang Februar hat Guru sich auf Facebook über ihre erste internationale Herausforderung („klein, aber fein“) gefreut: „Die strategische Neuausrichtung der CSV in Luxemburg auf dem Weg zurück an die Regierung im Herbst 2023“. Einfach wird diese Aufgabe mit Sicherheit nicht.
Denn die CSV hat wirklich überhaupt keinen Plan, was auch am Samstag wieder deutlich wurde. Der erfolglose Spitzenkandidat von 2018, Claude Wiseler, mag zwar klug und inzwischen noch etwas weiser sein, doch eine Bête politique wird er nie werden. Sein Generalsekretär Christophe Hansen wird sich so langsam entscheiden müssen, ob er Quästor des Europaparlaments bleiben oder Député-maire von Winseler werden will. Fraktionschefin Martine Hansen zeigt sich angriffslustig, doch ihre Attacken gegen DP-Bildungsminister Claude Meisch wirken oft platt und sind zum Teil widersprüchlich; und die Wandlung ihres Sidekicks Gilles Roth vom ehemaligen Ersten Regierungsrat im Finanzministerium zum Kämpfer für die Anliegen der unteren und mittleren Schichten ist nur wenig glaubwürdig. Der energischen Stéphanie Weydert und insbesondere der unerfahrenen Elisabeth Margue fehlt es noch an politischem Profil.
Das liegt aber nicht nur an ihnen selbst, sondern vor allem an ihrer Partei. Die CSV weiß schon lange nicht mehr, wer sie ist und wofür sie eigentlich noch steht (d‘Land vom 16.04.2021). Deshalb soll Guru ihr nun dabei helfen, die christlich-sozialen Werte in „eine moderne Welt von heute umzuschreiben“, wie Wiseler verkündete. Ein interner Beteiligungsprozess wurde lanciert, bei dem die Partei her-ausfinden will, wie ihre Mitglieder miteinander reden und klarkommen, wie sie zu gemeinsamen Entscheidungen gelangen sollen, die nicht nur „eckig und kantig“ sind, sondern auch von der Öffentlichkeit so wahrgenommen werden. Dabei sollen die Themen ausfindig gemacht werden, die für die CSV Vorrang haben und zu ihr passen. Nicht zuletzt möchte die Volkspartei sich eine neue Couleur und ein neues Logo leisten. Am Samstag dominierten neben Orange noch Weiß und trendiges Türkis, doch diese Farben hat Frank Engel sich bereits mit Fokus gesichert.
Der Selbstfindungsprozess mit dem Arbeitstitel „Mission dart“ („dynamesch, authentesch, relevant, Team“) hat schon begonnen. In einem Video wurde am Samstag mit Plattitüden Aufbruchstimmung verbreitet: „Mir sinn ënnerwee, op engem neie Wee, mat Energie, mat Optimismus, mat Seriositéit, mat Spaass, mat engem Ziel“. Neben „dynamischen“ Parteimitgliedern kommt in dem Film auch ein Mops in einem Matrosenhemd vor, der in einer Fußgängerzone Ukulele spielt und „Gudde Moien, CSV“ ruft. „Mir mussen elo zesumme stoen, mir mussen elo zesumme kämpfen, mir mussen elo zesumme staark sinn“, meinte Wiseler am Ende seiner 45-minütigen Rede. „Zesumme no vir“ lautete auch das Kongressmotto am Samstag. „Zesumme no vir kucken“ wollte die CSV schon auf ihrem Nationalkongress von 2014. Doch seit sie in der Opposition ist, wurde sie immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt.
Katharsis Am ausdrücklichsten demonstrierte das am Samstag der ehemalige Staatsrat Georges Pierret, der noch bis vor sechs Wochen Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des CSV-Frëndeskrees war (der neue Vorstand wurde erst am 18. Februar gewählt). Pierret richtete schwere Vorwürfe an seine „Parteifreunde“ von der Fraktionsspitze, die ihn und seine sechs Mitangeklagten bei der Staatsanwaltschaft denunziert hatten, ohne dass vorher mit ihnen darüber gesprochen worden sei, und das auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens, das das Papier nicht wert sei, auf dem es gedruckt ist, echauffierte sich der Anwalt. Die Rufschädigung der Angeklagten hätten sie dabei billigend in Kauf genommen. Bislang hatte außer dem Hauptbeschuldigten Frank Engel noch keiner in der CSV die Angelegenheit so offen und schonungslos angesprochen. Als guter Christsozialer verzieh Pierret aber seinen Parteifreunden und akzeptierte Wiselers Entschuldigung, um sogleich den politischen Gegner wieder außerhalb der CSV zu verorten: „Gambia“ gelte es anzugreifen, sagte Pierret.
In der Folge demonstrierte er eindrucksvoll, dass das eigentliche Problem der CSV nicht die Frëndeskreess-Affäre ist, sondern ihre Arroganz. Nach fast zehn Jahren in der Opposition hängt sie immer noch der junckerschen „Dolchstoßlegende“ an, die Dreierkoalition um Premierminister Xavier Bettel (DP) hätte kein Wählermandat und sie hätte die CSV als stärkste Partei 2013 und 2018 hintergangen. Dieser Mythos von der ewigen Regierungspartei mit einem gottgegebenen Herrschaftsauftrag und der „großen Volkspartei“, an der „kein Weg vorbeiführt“, wurde am Samstag nicht nur von Pierret, sondern auch von anderen Rednerinnen kolportiert. Dass Pierret für seine Ausführungen vom Kongress Standing Ovations erhielt, zeigt, wie sehr auch die Parteibasis noch diesem Mythos verhaftet ist.
Die Realität sieht derweil anders aus. In den letzten Umfragen lag die CSV nur noch anderthalb Prozent vor der LSAP und fünf Prozent vor der DP. In der Rangliste der zehn beliebtesten Politikerinnen war mit Claude Wiseler (auf Platz neun) nur einer von der CSV. Mit Frank Engels Fokus wird sie 2023 eine Kleinpartei als Konkurrentin haben, die sie weitere Wählerstimmen kosten wird. Das weiß auch Wiseler, der nach dem enormen Zuspruch der Basis für Pierrets offene Worte gute Miene zum bösen Spiel machte. Er selbst war zwar auch aufgestanden, geklatscht hatte er aber nicht, sondern sich gleich zum Rednerpult begeben, um die Mitglieder zur Geschlossenheit aufzurufen, denn nur so habe die CSV 2023 die Chance, beide Wahlen zu gewinnen. Dass Geschlossenheit dazu alleine nicht reicht, weiß Wiseler ebenfalls, denn sonst bräuchte er nicht Guru, um ihm dabei zu helfen, „Gewohnheiten, unsere Art und Weise und eine Reihe von Evidenzen“ umzukrempeln.
Spaßpolitik Wahlstrategisch kann die CSV es sich nicht leisten, „Gambia“ allzu scharf zu attackieren, denn will sie 2023 wieder in die Regierung (und das will sie unbedingt), wird sie mindestens eine der drei Parteien als Partnerin benötigen. Am Samstag griffen ihre politischen Rednerinnen deshalb vor allem das vermeintlich schwächste Glied in der Dreierkoalition an, mit einem Diskurs, den sie sich bei der ADR abgeschaut haben: Sämtliche Oratoren geißelten die „Ideologie“ der Grünen, die mit ihrer „Verbotspolitik“ der wirtschaftlichen Entwicklung im Wege stünden. Das konnte aber nur bedingt darüber hinwegtäuschen, dass die CSV selbst insbesondere bei zentralen innenpolitischen Themen wie Wohnungsbau, Klimawandel, Gesundheits- und Bildungspolitik inhaltlich immer noch nicht viel zu bieten hat. Zuletzt hat sie sich vor allem im sicherheitspolitischen Bereich mit harten Forderungen hervorgetan. In verteidigungs- und außenpolitischen Fragen hat sie aber Positionen entwickelt, mit denen sie sich von der „Spaßpolitik“ der Dreierkoalition abgrenzen kann. Ob Wiselers Vorschläge wie die Erhöhung des Verteidigungsetats auf ein Prozent des BIP, die Akzeptanz von potenziell umwelt- und gesundheitsschädlichem Fracking-Gas aus den USA und die Verlängerung der Laufzeit von veralteten Atomkraftwerken bei den Wählerinnen auf viel Zustimmung stoßen werden, bleibt abzuwarten.
Der CSV und ihrer Kommunikationsagentur steht in den kommenden Monaten noch viel Arbeit bevor, wenn sie die „Schlacht um Aufmerksamkeit“ in den sozialen Medien und in den „Köpfen der Meinungsmultiplikatoren“ (Guru) gewinnen wollen. „Dass konservativ keine Ideologie ist, sondern eine dynamische Haltung, hat Angela Merkel immer wieder sehr flexibel unter Beweis gestellt. Ihre Partei hat sehr lange eher unglücklich versucht, als Marke fancy zu werden“, schrieb Guru-Mitinhaber Jürgen Florenz vor einem Jahr in einem Gastbeitrag im Branchenmagazin Meedia.
Fancy war auch die CSV noch nie. Ganz im Gegenteil: Jahrzehntelang propagierte sie eine barmherzige, doch gleichzeitig wirtschaftsliberale Ideologie und verteidigte gesellschaftspolitisch die konservativen Werte des Katholizismus, die sie mit einer strengen Verbotspolitik (Todesstrafe, Stellung der Frauen, Abtreibung, Sterbehilfe, Homoehe, Drogenkonsum etc.) durchsetzte, was sie in der Sicherheitspolitik bis heute tut. Von diesem Image wollte sie sich schon auf ihrem Statutenkongress Ende September lossagen, am Samstag wusste sie aber noch immer nicht genau, womit sie es ersetzen soll. Konservative Werte zu vertreten hieße heute für die CSV, das zu schützen, was lebenswert ist, hatte Wiseler vor sechs Monaten gesagt. Dazu gehöre das Leben an sich, aber auch die Umwelt und das Klima, die Freiheit des Einzelnen und die Familie. Interessanterweise hatten die „ideologischen Grünen“, die ihren Kongress am Samstag zeitgleich zu dem der CSV abhielten, für ihr Treffen das Motto „Schützen, wat eis wichteg ass“ gewählt. Was die „neu-konservativen“ Grünen jedoch von der CSV unterscheidet: In klima- und umweltpolitischen, aber auch in gesellschaftspolitischen Fragen hat ihre Marke wesentlich mehr Credibility. Und fancier ist sie auch noch.