André Martins war am 16. März Schatzmeister der CSV und des eingetragenen Vereins CSV Frëndeskrees. An dieses Datum erinnerte er sich am Dienstag vor der Zwölften Strafkammer des Bezirksgerichts Luxemburg: Am Vormittag habe Gilles Roth ihn angerufen. „Komm, ënnerschreif, da geschidd dir näischt!“ Zuvor habe Martine Hansen, die Fraktionspräsidentin, ihn bedrängt: „Ich müsse ganz schnell in die Stadt, ins Fraktionssekretariat kommen.“
Mit solchen Aussagen begann am Dienstag der Prozess gegen den früheren CSV-Parteivorsitzenden Frank Engel und sechs Parteimitglieder, darunter fünf Vorstandsmitglieder des Frëndeskrees. Gemeinsam mit Vereinsmitgliedern, die der CSV-Fraktion angehören, hatten sie hatten Engel am 16. März bei der Staatsanwaltschaft angezeigt: Womöglich sei er 2020 sieben Monate lang beim Frëndeskrees scheinbeschäftigt gewesen. Falls ja, könnte Vereinsvermögen unterschlagen worden sein.
Zu der Affäre floss bereits im Frühjahr eine Menge Tinte. Grundlage für die Anzeige war ein von der CSV-Fraktion bei dem Anwalt Rosario Grasso bestelltes Gutachten über Engels Arbeitsverhältnis. Drei Tage nach der Anzeige trat er als Parteichef zurück. Am 23. April verließ er die CSV ganz. Die Staatsanwaltschaft erhob am Ende nicht nur Anklage gegen Engel, sondern auch gegen André Martins und den damaligen CSV-Generalsekretär Félix Eischen, weil beide Engels Arbeitsvertrag mitunterzeichnet hatten. Vor Gericht stehen nun auch der frühere Schatzmeister Georges Heirendt, weil er Sozialversicherungsrückzahlungen an Engel veranlasste, sowie die Frëndeskrees-Vorstandsmitglieder Stéphanie Weydert, Elisabeth Margue und Georges Pierret. Wer wusste wann was über den Vertrag mit Engel, ist eine Frage, die das Gericht beantworten soll. Und: Wie kam es, dass die CSV ihm aus der Parteikasse Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt 8 500 Euro rückerstattete?
Weil mit Engel nicht nur zum ersten Mal ein Parteichef von Parteimitgliedern angezeigt wurde, sondern weil die CSV vor acht Jahren von der Macht vertrieben wurde und noch immer nach sich selber sucht, hat der Gerichtsprozess eine besondere Note. Politprominenz sitzt auf Anklagebänken und wird von namhaften Anwält/innen vertreten. Und viele Aussagen bieten Einblicke ins Innenleben der nach wie vor größten Partei. Gegenüber reporter.lu hatte Engel am Montag noch angekündigt, seine Verteidigerin Lydie Lorang werde zusätzliche Zeugen aufrufen. Am Ende ließen Engel und die Anwältin das bleiben, am gestrigen Donnerstag wurden schon Plädoyers gehalten.
Hätte Frank Engel über eigene Einkünfte verfügt und wäre er als Parteivorsitzender auch Abgeordneter, Minister oder privat beschäftigt gewesen, gäbe es die Gerichtsaffäre wahrscheinlich nicht. Doch er hatte kein Arbeitsverhältnis, nachdem er 2019 aus dem Europaparlament ausschied. Zehn Monate lang floss bis Mai 2020 noch eine Übergangsentschädigung. Er habe in die Privatwirtschaft gehen wollen, sagte er dem Vorsitzenden Richter, doch dann kam Corona. Ob er ab Juni 2020 den Arbeitsvertrag als „Chargé de mission“ beim Frëndeskrees erhielt, weil im Monat vorher die Zuwendungen aus Europa endeten, beantworteten die meisten Beschuldigten mit „weiß ich nicht“. Georges Pierret erinnerte sich an einen Anruf Engels: „Du weißt ja, dass meine Zuwendungen auslaufen.“ Und an die Frage, ob er dafür sei, unter Bedingungen, die der Vereinsvorstand festzulegen hätte, einen Arbeitsvertrag aufzustellen.
Wie relevant das ist, muss das Gericht klären. Unisono erklärten die Beklagten, am 20. April 2020 sei im Vorstand des Frëndeskrees die Prinzipentscheidung gefallen, dass so ein Vertrag abgeschlossen werden könne. Engel sollte versuchen, in sieben Monaten den Verkauf des Gebäudes mit dem CSV-Sitz in der Waassergaass einzuleiten und eine leichter zugängliche Immobilie mit mehr Parkplätzen finden. Und seiner Idee nachgehen, den Frëndeskrees, den die CSV seit 1985 unterhält, weil sie als Partei keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, in eine Stiftung umzuwandeln, einen „Think-tank“ ähnlich der Konrad-Adenauer-Stiftung der deutschen CDU. Zur Verfügung stellen wollte der Frëndeskrees dafür 40 000 Euro als Gehaltsmasse. Engel versprach, das Geld zurückzuzahlen, falls die Mission scheitere. Die Verteidiger meinten am Donnerstag einhellig, schon diese Abmachung sei in der Substanz ein Arbeitsvertrag gewesen. Was ein wichtiger Punkt ist. Denn den eigentlichen Vertragstext setzte Engel selber auf, schickte ihn per E-Mail an Schatzmeister Martins, der den Gehälterbetrag von 5 000 Euro im Monat einfügte. Und er scheint deshalb wichtig, weil nicht alle Frëndeskrees-Vorstände schon 2020 davon wissen wollten, dass der Vertrag tatsächlich existierte. Stéphanie Weydert und Elisabeth Margue erklärten, erst im Januar dieses Jahres davon erfahren zu haben, als Engel wegen einer Verlängerung vorfühlte. „Ich fiel aus allen Wolken“, sagte Weydert am Dienstag.
Aber vielleicht liefen die Dinge innerhalb von Parteizentrale, Frëndeskrees und Fraktion einfach lange Zeit kollegial. Und seine Ideen Engels zur CSV-Immobilie und der Stiftung fanden anscheinend alle gut. Frank Engel gab vor Gericht an, dass in dem Vertrag nicht festgehalten wurde, worin seine Mission als „Chargé“ bestand, habe dem Schutz der Partei gedient: „Sonst hätte am nächsten Tag in der Presse gestanden, welchen Immobilienwechsel wir andachten.“ Es habe damals „Leaks“ gegeben.
Klare Regeln, wie mit Finanzen umzugehen sei und wann wofür etwas ausgegeben werden sollte, gab es allerdings ebenfalls nicht. Für Georges Heirendt, Trésorier von Partei und Frëndeskrees bis Dezember 2019, waren Anweisungen des Präsidenten über Zahlungen „en Uerder“. Auf diesem Weg scheint die Rückerstattung der Sozialversicherungsbeiträge gelaufen zu sein. Engel hatte sich offenbar von Januar 2019 bis Mai 2020 freiwillig versichert, part patronale inklusive. Georges Heirendt, der 2019 die erste Rückzahlung über 6 000 Euro anwies, sagte dem Gericht, er habe Engel geraten, „sich das von der Exekutive validieren zu lassen“; er wisse nicht, ob Engel das tat. Heirendts Nachfolger Martins wies weitere 2 536 Euro an, nachdem er sah, dass schon 2019 Geld geflossen war.
Engel selber berichtete: „Es werden Ausgaben getätigt, über die entscheiden einfach Mitarbeiter der Partei und der Trésorier unterschreibt.“ Er streute, dass die CSV-Fraktion der Partei zum Preis von 25 000 Euro den Schreibtisch des früheren Parteichefs Marc Spautz abkaufte. Dafür habe sich der Rechnungshof interessiert; es hätte sich um einen Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz handeln können.
Doch bei aller Kollegialität – wenn es sie gab – herrschte (und herrscht vermutlich noch immer) ein bemerkenswerter Korpsgeist innerhalb der Partei. Anders ist kaum zu erklären, wie die Frëndeskrees-Vorstände sich am 16. März ins Fraktionsbüro zitieren ließen, um dort die Anzeige aufgrund des Rechtsgutachtens zu unterschreiben: Nur fünf Minuten lang habe er einen Blick auf das Gutachten werfen können, sagte André Martins aus. Stéphanie Weydert, selber Juristin, fand das Gutachten „lückenhaft“, ebenso Elisabeth Margue, auch sie Juristin. Doch Laurent Mosar habe sie angerufen: „Wir denunzieren. Es wäre schön, wenn auch Du unterschreiben würdest.“ Die Anzeige wäre sowieso ergangen, „ich unterschrieb unter Druck“, erklärte Weydert dem Gericht. Und dass sie die Schlussfolgerungen des Berichts „nicht geteilt“ habe. Elisabeth Margue glaubte, wenn etwas falsch gelaufen sei im Frëndeskrees, hätte das durch Ermittlungen nach der Anzeige aufgeklärt werden können. Sie sei überzeugt gewesen, dass alles im Vorstand richtig entschieden wurde.
Auch Georges Pierret, namhafter Anwalt und früherer Staatsrat, bekam den Text „relativ kurzfristig“, habe „laut und deutlich gesagt, dass in dem Avis nichts drin war. Doch es war schon alles am Morgen unterschrieben worden“. Und die Staatsanwaltschaft hätte die Anzeige ja auch einfach zu den Akten legen können. „Betrug, Herr Präsident? Bleiben wir doch mit den Füßen auf dem Boden!“
Wundern konnte man sich, dass keiner der Verteidiger prominente Zeugen aus der CSV-Fraktion gerufen hatte, die am 16. März mit so viel Nachdruck die Unterschriften unter die Anzeige gegen Engel einholten. Dieser behauptet immerhin, die Fraktion hatte ihm „den Krieg erklärt“, ihn „loswerden wollen“ und unter anderem seine Bemühungen torpediert, den CSV Frëndeskrees in eine Stiftung umzuwandeln. Aus der Fraktion sei ihm zu verstehen gegeben worden, das werde ja doch nichts. Von dort ist es womöglich nicht weit bis zur Behauptung, er habe als Chargé de mission nicht viel gemacht und der Vertrag nicht reell. Zu Engels Bemühungen um die Stiftung etwa hieß es vor Gericht seitens der Ermittler der Kriminalpolizei, er habe lediglich einmal mit der Adenauer-Stiftung in Deutschland sowie mit einer Stiftung in Thailand konferiert. Engel selbst führte über solche Aktivitäten nicht systematisch Protokoll: „Ich bin einer, der das meiste im Kopf behält, ich habe keinen elektronischen Terminkalender.“ Mit der Adenauer-Stiftung hätte er besser vorankommen können, hätte die CSV-Fraktion ihn nicht gebremst. Und dass aus dem Immobilien-Deal mit dem CSV-Sitz nichts wurde, habe daran gelegen, dass der potenzielle Käufer Bedenken bekommen habe.
Als Zeuge aus der CSV-Fraktion geladen war nur Paul Galles, der von Félix Eischen nach dessen Burnout-Erkrankung kommissarisch den Posten des Generalsekretärs übernahm. Galles bescheinigte Engel, jeden Tag bis abends im Büro der CSV gewesen zu sein und auch an Wochenenden immer wieder gearbeitet zu haben. Wer aus der Fraktion das Gutachten über Engels Vertrag bestellte und wer dafür was bezahlte, wusste er nicht zu sagen.
Verhältnismäßig wichtig in dem ganzen Vorgehen gegen Engel scheint eine Generalversammlung der Frëndeskrees ASBL am 8. März 2021 in Hesperingen gewesen zu sein. Dort wurde diskutiert, ob die ASBL sich auf eine Erklärung verständige, dass für Frank Engel eine Gehalts-Enveloppe beschlossen worden sei. Die Versammlung sei „nicht einfach und bewegt“ gewesen“, gab Paul Galles an. Auf die Nachfrage von Engels Verteidigerin, ob die Weglassung der Passage der einfachste Weg gewesen sei, den Parteipräsidenten loszuwerden, meinte Galles, „nach der ganzen Geschichte war die Partei so gestört, dass sie nicht mehr zu leiten war“. Was vielleicht eher politisch als juristisch bedeutsam ist.