Der Conseil national des finances publiques (CNFP) ist eines der vielen Gremien, die prüfen, ob sich der Staat den Maastrichter Haushaltskriterien unterwirft. Ob er genug zur ökonomischen Disziplinierung der subalternen Klassen unternimmt. Vergangene Woche veröffentlichte der CNFP eine Évaluation de la fiabilité des prévisions macroéconomiques et budgétaires.
Der CNFP verglich die Wirtschafts- und Haushaltsprognosen mit der tatsächlichen Entwicklung. Er verlangt wissenschaftliche Strenge von Finanzministerium und Statec. Damit Indexmanipulationen, die Erhöhung oder Senkung von Steuern und Staatsausgaben mathematisch zwingend erscheinen. Konjunkturprognosen waren rezent die unsichtbaren Fäden, an denen sich die Tripartite-Unterhändler bewegten.
Der CNFP prüfte, ob sich die Prognosen des Wirtschaftswachstums nachträglich als richtig erwiesen. Das Ergebnis lässt sich an einem Balkendiagramm ablesen (S. 9): Von 1996 bis zum Bankenkrach 2008 unterschätzte das Statec regelmäßig das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Das war die Zeit der neoliberalen Deregulierung der Finanzmärkte. Das Statec war nicht optimistisch genug, wie viel der Finanzsektor daran verdienen würde.
Nach 2008 überschätzte es regelmäßig das Wachstum. Das war das verlorene Jahrzehnt der Austerität, Euro-Krise und Nullzinsen. Das Statec war zu optimistisch, dass es der Volkswirtschaft bald so gut ginge wie den Aktien- und Immobilienbesitzern.
Gründlich irrte sich das Statec 2001, 2008, 2017 und 2020. Das waren die Jahre der geplatzten Internet-Blase, des Bankenkrachs, eines endenden Konjunkturzyklus und der Covid-Seuche. Der CNFP findet die Fehlprognosen unvermeidlich. „[C]ar les modèles sur lesquels se basent en général les prévisions ne peuvent pas prévoir de chocs“ (S. 10).
Das Konjunkturmodell Modux des Statec enthält 100 Gleichungen mit 500 Unbekannten. Trotzdem ist es auf Business as usual geeicht. Dass alles irgendwie weitergeht wie bisher. Geht es nicht weiter wie bisher, war das Pech. Die Schuld bekommt ein „externer Schock“.
Die Covid-Seuche gilt als ein der Wirtschaft externer Schock. Schocks sind gewöhnlich der Kapitalverwertung intern: Der Akkumulationszwang, die auf eine hypothetische Nachfrage spekulierende Produktionsweise, der Konkurrenzdruck gipfeln regelmäßig in Überkapazitäten und Spekulationsblasen. Dann wird das keine Gewinne mehr versprechende Kapital entwertet in zyklischen Krisen, neuen Akkumulationsregimen, schlimmstenfalls in Kriegen.
Doch die Schocks und Krisen sind in den gängigen Rechenmodellen nicht vorgesehen. Diesen liegt der keynesianistisch modernisierte Glaube zugrunde: Dass die Märkte für ein zeitloses Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage sorgen. Krisen gelten als kurze Schönheitsfehler der Normalität.
Zyklisch wie die Geschäfte schaffen die Unternehmer Arbeitsplätze und bauen sie ab. Das hierzulande operierende Kapital stationiert seine industrielle Reservearmee in Lothringen. Der CNFP wundert sich: „La croissance de l’emploi est généralement sous-estimée“ (S. 13).
Der CNFP kritisiert das Finanzministerium: „Les soldes budgétaires nominaux prévus de l’administration centrale sont fortement sous-estimés sur la période de 2007 à 2021, ceci d’environ 500 millions d’euros en moyenne annuelle“ (S. 22). Das gilt seit Jahrzehnten als vorsichtiges Haushalten. Es hilft, Forderungen nach Sozialleistungen oder Steuersenkungen abzulehnen. Vergrößern die „Mehreinnahmen“ den Überschuss der Staatsfinanzen, packt die Regierung sie in Investitionsfonds.
2018 veröffentlichte der CNFP eine erste Bewertung der Wirtschafts- und Haushaltsprognosen. Er stellte fest, dass das Beschäftigungswachstum und der Haushaltssaldo systematisch unterschätzt wurden. In den fünf Jahren seither hat sich nichts geändert. Die Fehlprognosen scheinen ihren Nutzen zu haben.