Wie wird man unsterblich? Burkhard und Heilwig Wadler ist das in München mit Brezeln gelungen: Am 12. Juli 1318 stiftete das Salzhändlerpaar 63 Pfund Pfennige, um den Armen der Stadt einmal jährlich Teigwaren zu spendieren. Zwischenzeitlich schaffte der Stadtrat diese Aktion ab, weil der Brezelreiter verprügelt wurde. Vor ein paar Jahren wurde der Brauch aber wiederbelebt, und so ist die „Wadler-Spende“ bis heute ein Begriff.
Grabsteine zerbröseln, Ruhm verblasst, sogar Skandale sind schnell vergessen. In Deutschland werden selbst mächtige Konzerne kaum alt: Von den Ur-Mitgliedern des vor 30 Jahren gegründeten DAX-Börsenindex’ ist nur die Hälfte noch übrig. Wer seinen Namen mit einer Stiftung verbindet und ihr Immobilien vermacht, hat dagegen Chancen, wirklich lange in Erinnerung zu bleiben. Trotz Kriegen und Katastrophen gibt es in Deutschland mehr als 250 Stiftungen, die über 500 Jahre alt sind. Eine Handvoll ist sogar älter als 800 Jahre – neben Kirchen und Universitäten sind sie die beständigsten Einrichtungen.
Eine Stiftung ist ein Vermögen, das dauerhaft einem bestimmten Zweck gewidmet ist. Da der Begriff im deutschen Recht weder definiert noch geschützt ist, kann eine Stiftung auch ein Verein oder ein Unternehmen sein. Stiftungsfirmen sind zum Beispiel Lidl, Bosch, ZF und Bertelsmann. Anders als Ak-
tiengesellschaften müssen sie keine Daten veröffentlichen. Für Treuhandstiftungen, die schon mit kleinen Beträgen gegründet und etwa von Kommunen oder Bürgerinitiativen verwaltet werden können, gibt es keine staatliche Aufsicht. Schätzungsweise über 50 000 kirchliche Stiftungen folgen eigenen Regeln. Daher ist unbekannt, wie viele Stiftungen es insgesamt in Deutschland gibt, welche Vermögen sie verwalten und was sie so alles treiben.
Meist wird unter ihnen aber eine bestimmte Rechtsform verstanden: Eine „rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts“ ist eine eigenständige Organisation, die sich selbst gehört und meist hehre Ziele verfolgt, die in ihrer Satzung festgelegt sind. Sie muss von Aufsichtsbehörden genehmigt werden, die dafür üblicherweise ein Startkapital von mindestens 50 000 Euro voraussetzen. Wenn sie vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt wird, sind die Gründung einer Stiftung wie auch Spenden an sie steuerlich begünstigt. Die Zahl dieser Art Stiftungen hat sich in Deutschland seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Derzeit sind 22 743 verzeichnet.
Einmal registriert, können Stiftungen nicht ohne weiteres geändert oder abgeschafft werden. Die ältesten hatten allerdings oft Pech: Messen an Todestagen, ewige Lichter, Altäre, Kirchen oder ganze Klöster, die im Mittelalter dem Seelenheil dienen sollten, waren in späteren Zeiten nicht mehr so gefragt. Weltliche Autoritäten wollten über den damit verbundenen Reichtum lieber selbst verfügen.
Zur Zeit der Reformation und erst recht der Säkularisierung im Zuge der Französischen Revolution wurden viele kirchliche Stiftungen aufgelöst. Immerhin blieb bei Umwandlungen oft ein frommer Zweck erhalten. In Heidelberg zum Beispiel wurde im Jahr 1560 das Kloster Schönau geschlossen. Sein Besitz ging in die Evangelische Stiftung Pflege Schönau ein: Die größte öffentliche Stiftung und größte Waldbesitzerin Baden-Württembergs unterhält nach wie vor Kirchen und besoldet Geistliche.
Ungestörter verlief die Geschichte mancher sozialer Stiftung. Dass das Altersheim in Wemding schon im Jahr 917 von der Edelfrau Winpurc gegründet wurde, muss man nicht unbedingt glauben. Besser bezeugt sind Spitäler und Siechenhäuser ab dem 13. Jahrhundert. Der Konstanzer Spital-Stiftung von 1225 gehören unter anderem Weinberge am Bodensee. Ebenfalls bis heute engagieren sich zum Beispiel Hospital-Stiftungen in Biberach (1239) und Freiburg (1255). Wie moderne Bürgerstiftungen entstanden diese Wohlfahrtseinrichtungen dank zahlreicher Einzelspenden und Zustiftungen. Als nachhaltigste Einkommensquellen erwiesen sich Wein und Bier – vor allem aber Bäume. Das Heiliggeist-Altenheim in München etwa profitiert schon seit 1308 von seinem Forst.
Im 15. Jahrhundert errichtete Jakob Fugger ein weltweites Unternehmensimperium. Verewigt hat sich der Banker aber mit „Gnadenwohnungen für schuldlos verarmte katholische Bürger“, die er anno 1521 in Augsburg einrichtete – die Fuggerei gilt als älteste Sozialsiedlung der Welt. Drei seiner vermögenden Angestellten folgten Fuggers Beispiel und vermachten ebenfalls Wälder für Sozialhilfe und Wissenschaft. Ihr Erbe verwaltet nach wie vor die Fuggersche Stiftungs-Administration.
Der bisherige Höhepunkt des Stiftungswesens war das 19. Jahrhundert: Gründerzeit und spendable Industrielle. Seither sind auch andere Stiftungszwecke möglich, etwa Kunst und Kultur, Bildung und Wissenschaft. Heute verfolgen noch etwa elf Prozent aller privatrechtlichen Stiftungen religiöse Ziele. Mehr als die Hälfte widmet sich sozialen Aufgaben. Die historisch jüngsten Anliegen sind „Umwelt und Naturschutz“ (15 Prozent) und „Völkerverständigung und Internationales“, vor allem Entwicklungshilfe (zehn Prozent).
Das 20. Jahrhundert war für die Philanthropie ein Desaster: Weltkriege, Inflation und Währungsreformen zerstörten die Vermögen vieler Stiftungen, die aufgelöst wurden oder fusionieren mussten. Die Nazis beschlagnahmten „jüdische“ Einrichtungen. In der DDR war – wie in allen kommunistischen Staaten – nicht nur Privateigentum unerwünscht, sondern selbstständiges bürgerliches Engagement schlicht verboten. Erst seit der Wiedervereinigung werden in Ostdeutschland wieder gemeinnützige Stiftungen zugelassen.
Die Westdeutschen hatten ab den Achtzigerjahren wieder so viel Kapital, dass sie in größerer Zahl über private Wohltätigkeit nachdenken konnten. Heute ist mit einem Vermögen von fast zehn Milliarden Euro die Stiftung der Pharma-Unternehmerin Else Kröner-Fresenius die größte Deutschlands, gefolgt von den ebenfalls milliardenschweren Stiftungen von Dietmar Hopp und Klaus Tschira, zwei Gründern des Softwarekonzerns SAP. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Stiftungen gibt es in Würzburg, Oldenburg und Darmstadt.
Seit rund zwanzig Jahren boomen Schenkungen an die Allgemeinheit. Im bisherigen Rekordjahr 2007 wurden in Deutschland 1 134 gemeinnützige Stiftungen gegründet. Im vergangenen Jahr kamen 554 neue dazu, obwohl die wirtschaftlichen Aussichten nicht gerade ermutigen. „2018 war ein hartes Jahr“, sagt Felix Oldenburg vom Bundesverband Deutscher Stiftungen. Bei einer Umfrage in diesem Februar gab weniger als die Hälfte an, ihr Vermögen erhalten zu können: „Die Niedrigzinsphase schlägt voll auf die Rendite durch.“
Zwei Drittel aller deutschen Stiftungen haben weniger als eine Million Euro Kapital – sie werden also ohne weitere Zustiftungen oder Spenden nicht viel ausrichten können. Immerhin sollen gute Werke bald einfacher werden: Noch in diesem Frühjahr will die Bundesregierung Vorschläge zur Reform des Stiftungsrechts vorlegen.
Philanthropischer Markt
In Europa gibt es rund 147 000 gemeinnützige Stiftungen, die ein Vermögen von schätzungsweise 511 Milliarden Euro verwalten. Pro Jahr geben sie an die 60 Milliarden Euro für ihre Projekte aus –
davon entfallen rund 20 Milliarden Euro auf Deutschland.
Rechtliche Bedingungen und Vermögen, aber auch das Image sind dabei höchst unterschiedlich. In Deutschland sind 95 Prozent der privatrechtlichen Stiftungen gemeinnützig; sie gelten als stolze Symbole einer freien Gesellschaft. In Österreich sind 94 Prozent privatnützig – und werden gern mit Skandalen assoziiert. Reiche Österreicher, die Geld für Wohltaten übrig haben, siedeln ihre Stiftungen aus Steuergründen traditionell in der Schweiz an. In Osteuropa sind Stiftungen als Agenten finsterer ausländischer Mächte verrufen.
Die EU-Kommission regte 2012 die Rechtsform „Europäische Stiftung“ (Fundatio Europaea, FE) an, zog den Vorschlag aber 2015 wieder zurück. Die Lobby-Organisationen Dafne und European Foundation Centre trommeln weiter für einen „einheitlichen Markt für Philanthropie“. Am
20. März lancierten sie in Brüssel ein Manifest mit Forderungen. Dazu gehören zum Beispiel „facilitate tax-effective cross-border philanthropy“, „stop foreign funding restrictions“ und „ensure access to banking/financial services“. Ebenfalls auf der Wunschliste ist ein „fairer VAT deal for charities“ (www.philanthropyadvocacy.eu). me