Los geht’s im futuristischen Bahnhof Belval. Seit jeher wirkt der Bau wie eine Zeitkapsel. Die Zuschauer/innen tragen Schutzanzüge und Masken und nehmen in einem Raum im ersten Stock Platz. Die Schutzkleidung schafft eine klinisch-aseptische Atmosphäre. Psychedelische Musik (Max Thommes) und an die Wand projizierte Wabenmuster lassen an SciFi-Filme denken. Vashti (Fabienne Hollwege) liegt zu Beginns mit eingefrorenen Gesichtszügen in einem OP-Stuhl und spricht wie ein Roboter. Kurz beschleicht einen die Angst, es könnte so abgefahren zugehen, wie in David Cronenbergs jüngstem Body-Horror-Film Crimes of the Future. Doch skurrile Happenings der Organtransplantation bleiben zum Glück aus. Stattdessen erscheint Sohn Kuno (Konstantin Rommelfangen) verpixelt auf einer Leinwand. Eindringlich warnt er: „Mutter, sei still, Du darfst Dich nicht maschinenkritisch äußern!“ Dabei wird ihre Maschinenhörigkeit schnell klar. „Oh Maschine!“, schwärmt Vashti regelrecht masturbierend. Sie scheint kaum fähig zu echten Emotionen. Mechanisch wie ein Roboter bewegt sie sich, selbst ihr Lächeln ist das einer Aufziehpuppe.
Per Knopfdruck betätigt sie Musik, Literatur und Essen, während Sohn Kuno nostalgisch von der Erde träumt. Diese ist nur noch Schutt und Asche und ohne Maske nicht betretbar, erfährt man. Doch einst töteten (sich) die Menschen mit Schwertern – das liegt tausende von Jahren zurück. Ein Vortrag über australische Musik erklingt guttural aus dem Off, danach exotische Klänge. „Kuno anrufen!“, surrt es flirrend. „Isolation. Ende.“
Dann werden die Zuschauer/innen ins Luftschiff gelotst – auch hier begleitet von psychedelischen Klängen. Approximative Reisedauer im abgedunkelten Bus: zweieinhalb Tage. Die Zeitmaschine katapultiert das Publikum in die Zukunft.
In E.M. Forsters Dystopie leben die Menschen in einer unterirdischen, abgekapselten Welt: Das gesamte Leben ist durch die Dienstleistungen „der Maschine“ perfekt geregelt. Es gibt kein Bedürfnis mehr nach Bindung, man kommuniziert nur noch über die allmächtige Maschine, die über allem wacht. Ihr Handbuch ist zu einer Art Bibel geworden – Fabienne Hollwege hält dieses vom Zentralorgan herausgegebene Buch denn auch ehrfurchtsvoll umklammert –; die Menschen sind gefangen in ihrer Abhängigkeit von der Technik, die sie nicht mehr kontrollieren (können) ...
Bereits 1909 schrieb Forster, der dem Industriezeitalter skeptisch gegenüberstand, den bahnbrechenden Essay The Machine Stops. Der Text wurde allgemein als visionäre Vorwegnahme des Internet-Zeitalters aufgefasst, im Grunde geht es um ontologische Tendenzen angesichts der neuen Technologien: Kollaps des Selbst und Trägheit in einer von Apps und Bildschirmkommunikation bestimmten Zukunft.
Im Angesicht der Covid-19-Pandemie (auch die Premiere musste wegen Erkrankung verschoben werden) und fortschreitender Digitalisierung, die sich im Alltag darin äußert, dass Jugendliche mehr virtuell in Chat-Gruppen und auf TikTok unterwegs sind als real kommunizieren, erweist sich Forsters Text auch nach über 100 Jahren als verblüffend aktuell.
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Du redest, als hätte Gott die Maschine erschaffen! Wahrscheinlich betest du sogar zu ihr, wenn es dir mal nicht gut geht. Vergiss nicht, die Menschen haben die Maschine erschaffen. Begnadete Menschen, aber doch Menschen! Die Maschine ist vieles, aber nicht alles“, warnt Sohn Kuno. Er gibt den erdverbundenen Nostalgiker, der sich nach Bäumen und authentischen Gefühlen (zurück-)sehnt.
Regisseurin Marion Rothhaar hat sich zweifellos an anderen Sci-Fi-Filmen, wie dem Kultfilm Lautlos im Weltraum (1971), inspiriert. Die von Florian Hirsch (Adaption und Dramaturgie) überarbeitete Fassung funktioniert gut, wirkt nur streckenweise etwas pädagogisch. Die konträren Positionen „die Maschine als Maß“ (Vashti) versus „der Mensch als Maß“ (Kuno) werden überdeutlich. Gebetsmühlenartig wiederholt der Chor: „Welch ein Fortschritt, der Maschine sei Dank!“
Beim Blick auf die Industrielandschaft hat man in der Tat das Gefühl, auf eine verlassene Erdoberfläche zu schauen. In der alten Industriehalle in Schifflingen blicken die Zuschauer/innen zunächst auf eine Glaskuppel. Darin bewegt Kuno sich wie in einem Käfig. „Umgeben von künstlicher Luft, künstlichem Licht, künstlicher Stille.“ In der brachliegenden Industriehalle (Metze-schmelz) warnt er: „Wir dienen der Maschine. Wir sind Blutkörperchen, die durch ihre Adern fließen.“ Wie die neue Ordnung durchbrechen? Die Drohung der Heimatlosigkeit hängt im Raum. In einem Verfolgungsspiel folgt das Publikum den beiden Darstellern durch die Werkhalle und wird irgendwann durch einen Tunnel in einen dunklen Raum geleitet. Eine verzerrte Stimme warnt aus dem Off: „Bezieht Eure Informationen aus zweiter Hand!“ Am Ende steht ein diffuses Szenario, das weder aufgesetzt noch bedeutungsschwer daherkommt, sondern eklektisch, furios und tanzbar.
Nach der Inszenierung von Kafkas Cave (2019) in einer Weinkellerei an der Mosel (den Caves St. Martin bei Remich) beeindruckt Marion
Rothhaar mit Die Maschine steht still erneut mit ausgefallenen Spielorte und einem starken Konzept. Die äußeren Bedingungen (im Kontext der Covid-Pandemie) und das Bespielen der brachliegenden Industriehallen bieten den perfekten Rahmen für eine zeitgemäße Inszenierung von Forsters dystopischem Bestseller. Obwohl man einen Spannungsbogen vermisst, überzeugt die ausgefallene, sinnliche Inszenierung an vier Spielorten und reißt einen auch musikalisch mit.