Eigentlich hatte Luxair-Pressesprecher Joe Schroeder gesagt, dass es noch ein bisschen früh sei, um zu diesem Thema ausführlicher Stellung zu nehmen. Doch Martin Isler, der Executive Vice-President Airline, zieht im Gespräch mit dem Land ziemlich vom Leder. „Die Airlines werden von der Politik am laufenden Band hintergangen.“ Wolle die Politik nun etwa „die Leute zwingen, weniger zu fliegen, indem man die Tickets teurer macht?“ Das fände man bei Luxair „problematisch“.
Mit „der Politik“ meint Isler weniger die heimische als die der EU, aber damit die heimische auch. Zuerst brachten am 12. Februar die Niederlande zur Sitzung des Ecofin-Ministerrats ein Papier mit dem Titel „Carbon pricing and aviation tax“ mit. Es plädiert für eine EU-weite CO2-Besteuerung der Luftfahrt1. Dann überreichte beim Treffen der EU-Umweltminister am 5. März die Delegation Belgiens eine Note, in der steht: „Il faut une tarification juste et correcte du transport aérien au regard de son impact sur l’environnement. Actuellement, il n’y a pas de taxation sur le kérosène ni de TVA sur les billets d’avion. Des modes de transport plus respectueux de l’environnement comme le chemin de fer sont donc plus taxés que le transport aérien.“
Weil belgische Medien daraus vorab zitiert hatten, wollten in Luxemburg einen Tag vor dem Umweltministertreffen die Abgeordneten Mars Di Bartolomeo (LSAP) und Fernand Kartheiser (ADR) mit dringenden parlamentarischen Anfragen ermitteln, wie die DP-LSAP-Grüne-Regierung das sieht. Umweltministerin Carole Dieschbourg (Grüne) antwortete eine Woche später, „das Prinzip“ werde von Luxemburg unterstützt. Es blieben aber „Modalitäten und essenzielle technische Punkte zu klären“, bevor die Regierung sich „definitiv positionieren“ könne. Wenn Martin Isler, bei Luxair Chef für den Airline-Betrieb, gegen Hauptaktionär Staat Front zu machen scheint, ist das auch ein Ausdruck für die politischen Fragen, vor denen die Regierung steht.
Tatsache ist: Die CO2-Emissionen aus der Luftfahrt wachsen. Weltweit entfallen auf sie zurzeit 2,5 Prozent des CO2-Aufkommens, schrieb die Umweltagentur der Vereinten Nationen (Unep) im November. Was nach nicht viel aussieht, doch wahrscheinlich werde der Ausstoß bis 2020 um 68 Prozent gegenüber 2010 zugenommen haben. Und anschließend bis 2040 um schätzungsweise 185 Prozent steigen und bis 2050 um 300 Prozent, wenn man davon ausgeht, dass die Weltwirtschaft wächst und immer mehr geflogen wird.
In der EU nahmen, Daten der EU-Kommission zufolge, die Emissionen aus Flügen zwischen den Mitgliedstaaten allein vergangenes Jahr um 4,9 Prozent zu, zwischen 2013 und 2018 um 26 Prozent. Die wachsende Zahl der Flüge gleicht, wie die Dinge liegen, alle Effizienzanstrengungen mehr als aus: Im European Aviation Environmental Report, den die EU-Flugsicherheitsagentur, die EU-Umweltagentur und die Luftverkehrs-Kontrollorganisation Eurocontrol gemeinsam herausgegeben haben, wird geschätzt, dass sich bis 2040 der Kerosinverbrauch pro Passagier und geflogenem Kilometer um zwölf Prozent verringern werde. Die CO2-Emissionen dürften aber um 21 Prozent wachsen, denn die Zahl der Flüge nehme „höchstwahrscheinlich“ um 42 Prozent zu.
Die Frage: „Will die Politik die Leute zwingen, weniger zu fliegen, indem man die Tickets teurer macht?“, ist damit ganz berechtigt. Eine andere könnte lauten: „Will sie auf die weltweiten Lieferketten von Industrie und Handel eine CO2-Steuer erheben?“ Cargolux interessiert die Diskussion in den Ministerräten auch. „Im Moment sind aber zu wenig Details bekannt, um dazu Stellung zu nehmen“, teilt Pressesprecherin Moa Sigurdardottir mit.
Der Executive Vice-President Airline von Luxair rechnet vor: Pro Jahr gebe die Luxair 60 Millionen Euro für Kerosin aus. Genug, dass daraus ein Anreiz entstehe, den Kostenpunkt zu senken, wo es nur geht. „Wir haben Treibstoffsparprogramme. Sie legen Prozeduren fest, wie geflogen werden soll, aber auch, wie ein Flugzeug unterhalten werden muss, damit es weniger verbraucht.“ Ein weiterer Posten, der auf der Kasse lastet, seien die jährlich drei Millionen Euro, die Luxair im Rahmen des CO2-Emissionshandels der EU bezahlt.
Hinzu komme demnächst ein Instrument, das international funktionieren soll. Die Icao, die Agentur für die internationale Zivilluftfahrt, eine Behörde der Uno, hat Corsia entwickelt, ein „Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation“. Damit könne ein internationales Level-playing field entstehen, sagt Martin Isler. Corsia sei komplex und werde drei Jahre lang getestet. Isler sagt, die europäischen Fluggesellschaften hätten sich erst dem EU-Emissionshandel unterworfen und nun Corsia. „Wir haben das in dem guten Glauben getan, dass sich dadurch lokale Auswüchse an CO2-Steuern verhindern lassen.“ Isler ist überzeugt: „Gegen solche Steuern in der EU werden die Airlines sich wehren.“
Der vor 15 Jahren eingeführte Emissionshandel ETS war den Industrien, die viel CO2 emittieren, als Instrument schmackhaft gemacht worden, mit dem sich einschneidendere Maßnahmen vermeiden lassen würden. Sein Prinzip lautet: Wer am ETS teilnimmt, muss für seinen CO2-Ausstoß Emissionszertifikate haben. Wer nicht genug hat, muss Zertifikate zukaufen. Ein Unternehmen wird dadurch immer wieder vor die Frage gestellt, ob es kostengünstiger ist, in CO2-effizientere Prozesse und Technologien zu investieren oder in CO2-Lizenzen. Seit 2013 wird das ETS „europäisch“ betrachtet: Emissionen, die ihm unterliegen, werden nicht mehr den Staaten angerechnet, sondern der EU. Sie legt auch EU-weite Reduktionsziele für die ETS-Branchen fest. Das befreit die Staaten von dem Reflex, über ihre Klimaschutzpolitik auch Industriepolitik zu machen – sei es für die Stahlindustrie, für Kraftwerke, die fossile Brennstoffe nutzen, oder die Luftfahrtbranche. Internationale Klimaschutzverpflichtungen geht seit Jahren ohnehin die EU ein und nicht mehr ihre Mitgliedstaaten.
Einen Effekt hat das ETS durchaus: In den ihm angeschlossenen Branchen sanken die Emissionen zwischen 2013 und 2018 um 11,6 Prozent. Doch in der Luftfahrt stiegen sie um 26 Prozent. Die Brüsseler Organisation Carbon Market Watch hält das ETS für die Luftfahrt für zu lasch: Einereits würden den Airlines zu viele CO2-Zertifikate gratis zugeteilt: 2017 sei mehr als die Hälfte ihrer Emissionen durch Gratis-Lizenzen abgedeckt gewesen. Zum anderen sei der CO2-Preis pro Tonne noch zu niedrig, damit marktbasierte Mechanismen wie der Emissionshandel wirken können. Für den Zukauf von ETS-Zertifikaten hätten die europäischen Airlines 2017 zusammengenommen geschätzte 189 Millionen Euro ausgegeben. Das habe lediglich 0,03 Prozent der Betriebskosten der durch die Lizenzen abgedeckten Flüge entsprochen.
Was erneut zur Frage führt, ob man die Tickets teurer machen will, um wie viel und auf welchem Weg. Die Vorschläge der Niederlande und Belgiens enthalten ein paar Ideen: eine Kerosinsteuer, eine Steuer pro Ticket oder eine pro Flug. Das ETS zu verschärfen, sei ebenfalls denkbar.
Man muss kein Experte sein, um zu sehen, dass die Auswirkungen unterschiedlich wären. Martin Isler sagt: „Eine Kerosinsteuer wäre krass, das wäre der GAU.“ Bei einer Ticket-Taxe „müsste man sehen, aber auch da sind wir skeptisch“. Das ETS habe Luxair absorbieren können, „das sieht man im Ticketpreis nicht“. Bei einer Kerosinsteuer wäre das anders. Isler schätzt, dann würde ein Ticket 20 bis 50 Euro teurer.
Für Luxair, die in ihren Preisen relativ viele Leistungen inklusive hält und auf Linienflügen vor allem innerhalb Europas unterwegs ist, könnte eine Verteuerung um 20 bis 50 Euro viel ausmachen gegenüber den am Findel immer präsenteren Low-Cost-Airlines, die anhaltend erfinderisch sind, um für Dienstleistungen Aufpreise zu erheben. In Kostenstruktur und Marketing geriete Luxair durch eine Kerosinsteuer wohl enorm unter Druck. Deshalb kann man sich unschwer ausmalen, dass die Regierung, wenn sie an ihrer endgültigen Position feilt, vor dem Konflikt steht, das Prinzip Klimaschutz mit dem abzuwiegen, die Luxair nicht in Gefahr zu bringen. Ihre Bedeutung als nationale Airline ist riesig – umso mehr, als es noch gar nicht lange her ist, dass größere wie Sabena oder Swissair gerettet werden mussten und unter anderem Namen in der Lufthansa-Gruppe wiederauferstanden.
Luftverkehrs-Steuern einführen zu wollen, ist aber generell schwierig, wenn sie nicht allein auf Inlandsflügen gelten sollen: Die im Dezember 1944 in Chicago abgeschlossene Konvention über die internationale Zivilluftfahrt erlegt ihren Unterzeichnerstaaten auf, bei Flügen zwischen ihren Territorien keine Steuern auf Treibstoff, den ein Flugzeug an Bord hat, zu erheben. Angesichts des damals zu Ende gehenden Zweiten Weltkriegs sollte der Luftfahrt in Friedenszeiten zum Aufschwung verholfen werden, was auch geklappt hat. Vergangenes Jahr gehörten 191 Staaten der Chicago-Konvention an.
Politisch hat das zur Folge, dass eine EU-weite Luftfahrtsteuer nur über möglichst viele bilaterale Abkommen zwischen den EU-Staaten eingeführt werden könnte. Ein Bruch der Chicago-Konvention wäre das nicht, wurde aber noch nie gemacht. Und ob die Aussichten dafür unter den Mitgliedstaaten politisch gut sind, bleibt abzuwarten. Daher kommt die Hoffnung der Fluggesellschaften, dass das internationale Corsia-Schema Luftfahrt-Steuerdebatten überflüssig machen werde: Wer könnte der Aussicht auf weltweite Gleichbehandlung aller Fluggesellschaften in Klimafragen widerstehen? „Wir stehen hinter Corsia, wie wir hinter ETS stehen“, sagt Martin Isler.
Umweltorganisationen bezweifeln aber, dass Corsia dem Klimaschutz viel bringen wird. Carbon Market Watch etwa stellt fest, Corsia werde die Airlines verpflichten, Zertifikate zu kaufen, falls ihr CO2-Aufkommen das von 2020 überschreitet. Die Emissionen aus der Luftfahrt zu senken, sei demnach nicht beabsichtigt. Und weil Corsia „unter absoluter Geheimhaltung“ ausgearbeitet worden sei, fürchtet Carbon Market Watch, dass dadurch ein „endloses Emissionswachstum“ erlaubt werden könnte, solange dafür bezahlt wird2.
Die niederländische Regierung, die Pionierin in der Luftfahrtsteuer-Diskussion, wolle erreichen, dass auch Corsia „ehrgezige Ziele“ erhält, erklärt Jori Keijsper, Sprecherin der Ständigen Vertreteung der Niederlande bei der EU. „Wenn es darum geht zu garantieren, dass die Luftfahrtbranche zur Einhaltung der Klimaziele von Paris beiträgt, müssen Maßnahmen innerhalb der EU um Maßnahmen auf internationaler Ebene ergänzt werden.“ Corsia sei dafür „der logischste Ansatz“.
Was auch ein wenig so klingt, als könne Corsia, oder vielleicht ein „Corsia plus“, am Ende der kleinste politische Nenner sein, falls Ambitionen für eine EU-Steuer scheitern. Steuern auf Flüge erheben zu wollen, würde auch voraussetzen zu erklären, wie die Einnahmen verwendet werden sollen. Zum Ausbau des EU-Eisenbahnnetzes vielleicht? Das hat noch niemand so deutlich gesagt. Doch gerade in Luxemburg ist der Ansatz bisher, Alternativen anzubieten, ehe man besteuert. Weil es utopisch wäre, ganz schnell das Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz zu erweitern, könnte die Politik sich tatsächlich vor der Herausforderung wiederfinden, teurere Flugtickets mit einem Versprechen auf nicht klar definierbare Zukunft zu begründen. Oder man erfindet noch andere Lösungen. Der grüne deutsche Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek zum Beispiel hat vorgeschlagen, jedem Bürger drei Hin- und Rückflüge pro Jahr zuzugestehen. Wer weniger fliegt, könnte seine Rechte an Vielflieger weiterverkaufen.