Nächste Woche ist der Europatag erstmals ein gesetzlicher Feiertag

Schulfrei am Sankt Schuman

d'Lëtzebuerger Land vom 03.05.2019

Am nächsten Donnerstag wird erstmals der Euro­patag als arbeits- und schulfreier Feiertag begangen. Luxemburg sei bis heute der einzige Staat, der als Symbol seines europäischen Engagements den Europatag zu einem gesetzlichen Feiertag erhoben habe und nehme so eine Pionierrolle ein, hatte das Staatsministerium am vergangenen Freitag verbreitet. Das ist insofern überraschend, als Luxemburg vor einem Jahrzehnt das Kosovo als eigenständigen Staat anerkannte und dort ebenso lang der Dita e Evropës am 9. Mai ein gesetzlicher Feiertag ist.

Das am 27. März verabschiedete Gesetz zur Änderung von Artikel 232-2 des Arbeitsgesetzbuches zählt lediglich die „Journée de l’Europe“ auf, ohne ein Datum zu nennen. Der Europatag wird aber seit 1964 am 5. Mai gefeiert, dem Jahrestag der Unterzeichnung der Satzung des Europarates am 5. Mai 1949 in London. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union erklärten ihrerseits 1985 den 9. Mai zum Europatag, den Jahrestag des Schuman-Aufrufs vom 9. Mai 1950 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Der von Europabeamten Sankt Schuman genannte Tag war im Europäischen Verfassungsvertrag unter den Hoheitszeichen der EU aufgezählt worden. Doch der Verfassungsvertrag scheiterte in Referenden in Frankreich und den Niederlanden, und im Ersatzvertrag von Lissabon taucht der Europatag aus Rücksicht auf nationalistische Gefühle nicht mehr auf.

Mit der Erklärung des Europatags zum gesetzlichen Feiertag schlägt die Regierung mehrere Fliegen mit einer Klappe: Die LSAP, die im Wahlkampf eine sechste gesetzliche Urlaubswoche versprochen hatte, musste in den Koalitionsverhandlungen wenigstens ansatzweise ihrem Versprechen nachkommen. Die Unternehmer konnten ausnahmsweise nicht grundsätzlich gegen den zusätzlichen Urlaubstag sein, denn der Volkswirt der Handelskammer, Michel-Édouard Ruben, hatte im Lëtzebuerger Land vom 11. Mai 2018 vorgeschlagen: „Une fois le 9 mai instauré comme férié au Grand-Duché, ce qui serait un symbole fort envoyé à l’Europe entière“, und in Zeiten des nationalistischen Rückzugs im Inland und der Kritik an der Luxemburger Steuerpolitik im Ausland ist es nützlich, sich als europäischer Musterschüler darzustellen.

Der Europatag soll an den Schumanplang erinnern, wie die europäische Integration hierzulande lange genannt wurde. Auf den Tag genau fünf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht hatte der in Luxemburg geborene französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 in einer Rede vorgeschlagen, „de placer l’ensemble de la production franco-allemande du charbon et d’acier sous une Haute Autorité commune, dans une organisation ouverte à la participation des autres pays d’Europe“.

Diese von dem Geschäftsmann und Beamten Jean Monnet vorgeschlagene Erklärung wird vielfach als Gründungsakt der Europäischen Union angesehen, der nun mit dem Europatag gefeiert werden soll. 1990 leitete der Metzer Bischof ­Pierre Raffin sogar die Prozedur zur Seligsprechung Robert Schumans ein, doch sie ist bis heute nicht abgeschlossen, weil die vatikanische Congregatio de Causis Sanctorum noch immer auf den Nachweis eines Wunders wartet, zu dem sie den Schumanplan offenbar nicht zählen will.

Denn „die französische Regierung rang sich erst zu diesem Vorschlag durch, als alle anderen Ansätze, Deutschland politisch einzudämmen, gescheitert waren und als die Pläne für eine enge Kooperation mit Großbritannien ebenfalls in eine Sackgasse geführt hatten“, schreibt der Historiker Kiran Klaus Patel. „Angesichts des sich zuspitzenden Ost-West-Konflikts, der wenige Wochen später zum Koreakrieg führen sollte, setzten London und Washington auf Aufrüstung, selbst um den Preis eines wiedererstarkten Deutschlands“ (Projekt Europa, München, 2018, S. 76).

Doch wenn der Schumanplan heute mit einem gesetzlichen Feiertag gefeiert wird, um die euro­päische Gesinnung Luxemburgs zu unterstreichen, dann wird gerne vergessen, dass seinerzeit die Begeisterung weniger eindeutig war. Als das auf der Grundlage des Schumanplans ausgehandelte Ceca-Abkommen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Mai 1952 vom Parlament ratifiziert und Gesetz werden sollte, gab es zahlreiche Vorbehalte.

Die Stahlindustrie stellte zu diesem Zeitpunkt 72 Prozent der Industrieproduktion her, sie lieferte 90 Prozent der Exporte und beschäftigte 58 Prozent der Industriearbeiter des Landes. Doch in einem Gutachten zum Schumanplan stellte die Stahlindustrie am 20. November 1951 via Handelskammer fest: „Plus les techniciens s’attellent à l’étude des textes, plus la désillusion se fait jour.“ Denn „le plan met chez nous la viabilité, voire l’existence du pays dans la balance”.

Der Arbed und den anderen Stahlfirmen drohte der Preis des Schumanplans zu hoch zu werden: „Pour l’avantage d’une liberté bien aléatoire des échanges sur un marché prétendûment commun, liberté qui risque fort de tourner aux dépens des pays à production chère et à monnaie relativement forte, le Grand-Duché placera le sort des entreprises dont dépend son existence sous l’autorité exclusive et souveraine d’une institution supranationale“. Denn „la Haute Autorité dispose d’une puissance telle qu’aucun Etat libéral ni aucune entente n’ont jamais essayé d’atteindre, et dont l’équivalent ne se retrouve que dans les industries nationalisées”.

Der Handelskammer war Schumans Ceca und deren ausführendes Organ, die Haute Autorité, nicht liberal genug und gleichzeitig zu liberal. Denn sie sehnte sich nach der Vorkriegszeit, als Emile Mayrisch heldenhaft Stahlkartelle zu gründen half: „Quant aux chefs d’entreprises, qui sont vraiment en mesure d’assurer une gestion prévoyante et économique, leur rôle se trouve réduit à un simple ‚droit de consultation‘ au sein d’un conseil où ils occupent un tiers des places avec les travailleurs, les utilisateurs et les négociants. Le droit d’association même leur est refusé par suite de l’interdiction des ententes, fussent-elles contrôlées. En suivant dans ce domaine l’exemple des États-Unis, les experts ont été oublieux du fait que l’entente est une forme d’organisation industrielle particulièrement adaptée à la production disperse de notre continent.“

Während der kommunistische Abgeordnete Arthur Useldinger am 13. Mai 1952 „das auffälligste Zeichen des Schumanplans die Allianz der Schwerindustrie aus sechs Ländern gegen die Arbeiter“ nannte, meinte die Handelskammer in ihrem Gutachten: „La réalisation du Plan renforcera donc l’obligation d’aligner notre politique économique sur celle des pays concurrents. Et il con­vient d’ajouter aux secteurs du salaire et des transports encore celui de notre système fiscal [...].“

Kritiken am Schumanplan kamen aber nicht nur von Handelskammer und Kommunisten. In einem Tageblatt-Leitartikel hatte Michel Rasquin am 19. August 1950 den Schumanplan mit einem nationalen „Ausverkauf“ gleichgesetzt: „Nein, wir sind nicht einverstanden, daß das Schicksal unseres Landes ausgeliefert werden soll an eine übernationale, technische Theokratie, daß weder die Regierung noch unser Parlament darüber zu entscheiden hätte. [...] Deutschland hat in der Ruhr die stärkste Stahl- und Kohlenproduktion Europas. Deutschland würde zweifellos die ganze Schuman-Konstruktion beherrschen. Ganz besonders dann, wenn England außerhalb derselben bleibt. Das ‚Luxemburger Wort‘ und die christliche Partei mögen dazu bereit sein, Herrn Adenauer zu gestatten, was Hitler nicht gelungen ist. Wir sind dazu nicht bereit.“

Als LSAP-Abgeordneter warnte Michel Rasquin am 7. Februar 1951 das Parlament vor dem „plan Schuman, car, suivant les décisions prises, il s’agira pour le Grand-Duché de Luxembourg de la vie ou de la mort de son industrie, dans une très large mesure, en ce qui concerne non seulement l’industrie de l’acier, mais, par l’industrie de l’acier, l’économie en général et les finances publiques. Nous voyons que dans l’évolution actuelle du plan une certaine menace commence à peser sur les salaires et les salariés”. Allerdings kam die LSAP wenige Monate später in die Regierung, Michel Rasquin, der am 11. Mai 1951 im Europarat in Straßburg gegen den Schumanplan gestimmt hatte, wurde Wirtschaftsminister und gab seine Vorbehalte gegenüber dem Schumanplan auf.

Neben der CSV, die zufrieden war, dass durchwegs christkonservative Männer die europäische Integration bestimmten, waren es LAV, heute OGBL, und LCGB, die am glücklichsten mit dem Schumanplan waren. Im Gutachten der Arbeiterkammer zum Ceca-Vertrag beschränkten sie sich auf das edle Prinzip der Völkerverständigung und drückten ihre Hoffnung aus, dass die CSV/LSAP-Regierung ein mit der Öffnung des Kohle- und Stahlmarktes verbundenes Lohndumping verhindern werde. Die FLA-Vertreter stimmten gegen das Gutachten.

Der Staatsrat war keineswegs über den Schumanplan begeistert: „Le Conseil d’Etat aurait préféré voir adopter des solutions différentes de celles fixées dans le Traité.” Denn wie der Handelskammer war auch dem Staatsrat die Kohle- und Stahlgemeinschaft nicht liberal genug, „dans l’élaboration du Traité, c’est la conception centraliste et dirigiste qui a prévalu sur celles d’inspiration plus libérale.” Außerdem es sei es nicht falsch zu behaupten, dass „les intérêts de la sidérurgie ont été sacrifiés à ceux de la Société Nationale des Chemins de fer Luxembourgeois“.

Auch dem Staatstrat war der Schumanplan nicht liberal genug und gleichzeitig zu liberal, zumindest wenn es um die Freizügigkeit der Arbeiter ging: „Cette libre circulation des travailleurs n’est pas sans danger pour nous, aussi longtemps du moins que la disparité des salaires est assez prononcée. […] Le Gouvernement devra chercher à obtenir des garanties pour empêcher que le Luxembourg soit submergé par la main d’oeuvre des autres pays.”

Im Parlament kamen die heftigsten Kritiken am Schumanplan und am Ceca-Vertrag von den Kommunisten und dem Groupement démocratique, heute DP. Der liberale Abgeordnete und Parteipräsident Eugène Schaus zeigte sich am 8.  Mai 1952 entsetzt über „le dirigisme totalitaire d’une instance supranatio­nale dotée de pouvoirs d’une telle étendue qu’elle enlève aux pays participants et à leur économie toute possibilité de disposer librement d’eux-­mêmes dans leurs intérêts les plus vitaux“. Eugène Schaus, ein Jahr zuvor noch Minister, brachte eine Motion ein über die „risques que l’application rigoureuse des dispositions du traité apporte pour l’avenir de la sidérurgie luxembourgeoise et par voie de conséquence pour l’économie et l’existence nationales“.

Die Zentralsektion des Parlaments stellte am 2. Mai 1952 in ihrem von Tony Biever (CSV) verfassten Gutachten eher pragmatisch denn eupho­risch fest: „L’encerclement et l’isolation seraient mortels pour nous. Les ­votes affirmatifs de la République française et de la République fédérale allemande garantissent à eux seuls que la Communauté du Charbon et de l’Acier sera sous peu une réalité vivante. L’intérêt suprême du Pays nous commande d’être de la partie; sinon la Commu­nauté se fera, mais elle se fera sans nous et contre nous. Nous n’avons donc pas de choix.“ Danach sollte sich die nationale Politik dann Jahrzehnte lang mit dem Kampf gegen Brüssel und Straßburg um den Siège erst der der Haute Autorité und dann der anderen europäischen Institutionen beschäftigen.

Romain Hilgert
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