„In Abwesenheit greifbarer Entwicklungen kann Greco die Empfehlung nicht einmal als ansatzweise umgesetzt erachten“, schrieb die Anti-Korruptionsgruppe des Europarats streng in ihrem zweiten zwischenzeitlichen Compliance-Bericht zur Justiz in Luxemburg im Oktober vergangenen Jahres. Darin hatten die Anti-Korruptionswächter den hiesigen Gesetzgeber erneut aufgefordert, den nationalen Justizrat zügig umzusetzen. Es sieht danach aus, als könnte im nächsten Greco-Länderbericht Luxemburgs derselbe Tadel stehen.
Dabei hat Justizminister Félix Braz vorvergangene Woche seinen Entwurf für einen „Conseil suprême de la justice“ vorgestellt, den er selbst sein „wichtigstes Projekt“ nennt. Mit einiger Verspätung. Grundzüge der neuen Institution hatte Braz bereits Mitte März vergangenen Jahres Journalisten erläutert und einen Vorentwurf für Ostern noch im selben Jahr versprochen. Jetzt, einen Monat vor Ende der Legislaturperiode, liegt sein Entwurf vor.
Neun statt sieben Mitglieder
Wichtigste Änderung: Mit neun Mitglieder wird der Rat um zwei Sitze größer ausgefallen als geplant. Neben der automatisch ins Gremium bestimmten Generalstaatsanwältin sowie den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs wären darin drei gewählte Richter vertreten. Auf Seiten der Zivilgesellschaft wäre ein Vertreter von der Anwaltskammer zu bestimmen und zwei vom Parlament, davon eine/r aus der akademischen Welt und eine/r ohne vorgegebenes Profil.
Mit der Sitzerweiterung verschiebt sich das Stimmenverhältnis – zuungunsten der Zivilgesellschaft: Statt vier Justizvertretern säßen künftig sechs den drei Vertretern der Zivilgesellschaft gegenüber. So umkämpft war das Projekt in den Kulissen bis zuletzt. Und so stark ist offensichtlich der Einfluss der Richter auf den Beratungsprozess. Die Zusammensetzung des Justizrats war von Anfang an ein Politikum. Der damalige Justizminister François Biltgen (CSV) hatte in seinem Entwurf von 2013 noch 15 Vertreter vorgesehen. Es war der ehemalige CSV-Justizminister und Richter am Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg, Marc Fischbach, der in einem Gutachten 2006 in seiner Funktion als Ombudsmann in Anlehnung an Empfehlungen des Europarats die Schaffung eines solchen Rats für Luxemburg als erster vorgeschlagen hatte. Als der scheidende Generalstaatsanwalt Robert Biever im Auftrag des Justizministers 2016 mögliche Pisten für eine Justizreform skizzierte, nannte auch er den Rat „unverzichtbar“ und erwähnte gar die Möglichkeit, ihn paritätisch zu besetzen. Das war freilich eine Gedankenspielerei: Wer die selbstbewusste Richterriege kennt, weiß, dass eine gleiche Vertretung von Justiz und Zivilgesellschaft nie eine ernsthafte Op-
tion war. Auch nicht für einen grünen Justizminister.
Widerstand aus der Richterschaft
Dafür war der Widerstand zu vehement. Jahrelang hatten viele Richter für ein solches Gremium nur Skepsis und Misstrauen übrig. Sie fürchteten Kontrolle von außen und, so argumentierten sie, um ihre Unabhängigkeit. Für die Hardliner unter ihnen stehen vor allem die zivilen Vertreter im Widerspruch zur beanspruchten Unabhängigkeit der Justiz. Um der Kritik vorzubeugen, hatte Biltgens Entwurf eine Evaluationskommission aus Richtern dem Rat vorgeschaltet, die über Fragen der Ernennung, Beförderung und Disziplin beraten sollte, im Brazschen Entwurf soll der gesamte Rat hingegen über alle Belange entscheiden können.
Dabei ist mangelnde Unabhängigkeit und Transparenz genau das Problem im aktuellen System: Laut Gesetz ist der Justizminister für die Einstellung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten zuständig. Das aber läuft dem Prinzip der Gewaltentrennung zuwider, wonach Richter und Staatsanwälte von der Exekutive unabhängig sein sollen. In der Praxis, so hatte der Justizminister wiederholt beteuert, sei dem auch so, er halte sich aus den Belangen der Justiz heraus. Doch das ist offenbar nicht immer so, siehe die Bommeleeër-Ermittlungen. Nicht nur die Anti-Korruptionswächter aus Straßburg, auch führende Luxemburger Richter und Staatsanwälte fordern, die Unabhängigkeit der Justiz zu regeln und in die Verfassung zu schreiben.
Doch leider gibt der vorliegende Entwurf nicht einmal dafür Sicherheit. Ginge es nach Braz, bekäme der Rat ein Vorschlagsrecht: Er würde die von ihm ausgewählten Kandidaturen dem Großherzog unterbreiten, der eine/n Kandidat/in zu ernennen im schlimmsten Fall sogar ablehnen könnte, sofern er dies begründet. So gesehen, wäre die Justiz weiterhin vom guten Willen und der vornehmen Zurückhaltung des Staatsoberhaupts abhängig. „Und wenn man da nun ganz kritisch sein will, könnte man bald sagen, dass wir nicht viel weiter sind, als wir es vorher waren“, wurde der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Jean-Claude Wiwinius, ungewöhnlich deutlich in einem Interview mit Radio 100,7 vergangene Woche. Viel Lärm um eine rechtsstaatlich bedenkliche Konstruktion – was wohl auch den Experten der Anti-Korruptionsgruppe des Europarats kaum entgehen dürfte.
Unterschiedliche Einschätzungen gibt es auch darüber, ob der Text zum Justizrat getrennt von der Verfassung verabschiedet werden kann, wie es Félix Braz behauptet, oder nicht, wie es der Verfassungsrechtler Luc Heuschling sieht. Weil die blau-rot-grünen Pläne, den neuen Verfassungstext vor der Sommerpause zu stimmen, von der CSV ausgebremst wurden, hatte der Regierungsrat im März 2017 entschieden, die Reform des Justizwesens auszugliedern und vorzuziehen. Nach „traditioneller Interpretation“ der aktuellen Verfassung unterstehe die Justiz dem Justizminister, eine Schaffung eines unabhängigen Justizrats sei daher verfassungswidrig, so Heuschling im Tageblatt. Einer umfassenden Justizreform, die neben dem Rat ein neues Höchstes Gericht geschaffen hätte, hatte Braz schon früh mit dem Argument eine Absage erteilt, der Mehrwert rechtfertige den Aufwand nicht. Ähnlich hatte Ex-Generalstaatsanwalt Robert Biever in seinem 50-seitigen Reflexionspapier argumentiert.
Nun also ein um zwei Personen erweiterter Justizrat, der das Kräfteverhältnis klar zugunsten der Justiz entscheidet. Hintergrund der Aufnahme zwei weiterer Richter war auch die Kritik der Anti-Korruptionswächter, im siebenköpfigen Szenario hätte nur ein gewählter Richter im Rat gesessen, im aktuellen Entwurf sind es drei gewählte Vertreter. Für den Groupement des magistrats, der den neuen Entwurf begrüßt, ein wichtiger Punktsieg,
Der sozialistische Koalitionspartner hat, obwohl er den Entwurf mitträgt, dennoch Zweifel. Kann das Brazsche Modell überhaupt jene Wirkungskraft entfalten, die sich unter anderem die Anti-Korruptionswächter des Europarats von dem Gremium versprechen – oder wird das Übergewicht der Justiz in dem Rat dazu führen, dass bestimmte Probleme im Luxemburger Justizwesen nicht oder nur zögerlich angegangen werden? Weil eine Krähe der anderen eben doch kein Auge aushackt. Das sei eine Gefahr, gab der rechtspolitische Sprecher der LSAP, Alex Bodry, gegenüber dem Land zu. Er plädiert für eine Bewährungszeit von fünf Jahren: „Es ist Aufgabe des Parlaments, über die richtige Umsetzung zu wachen.“
Wie viel Wirkung für den Rat?
In der Vergangenheit hatten die Anti-Korruptionswächter beanstandet, dass es wenige, um nicht zu sagen, fast keine disziplinarischen Verfahren gegen hiesige Richter gibt. Dahinter stehen nicht unbedingt überdurchschnittlich gute Arbeit oder tadellose Leistungen. Der Greco-Evaluationsbericht von 2013 nennt eine „Arbeitskultur“, die auf einer „bis ins Extreme“ übersteigerten Unabhängigkeit basiere sowie der „Weigerung unter Kollegen, sich gegenseitig zu kritisieren“.
Im Compliance-Bericht 2017 schnellte der Anteil der Disziplinarverfahren zwar um hundert Prozent in die Höhe: Das liegt daran, dass sich 2016 ein Vormundschaftsrichter wegen Verdacht auf Amtsmissbrauch und Fehlverhalten gegen eine Schutzbedürftige vor Gericht verantworten musste (siehe d’Land vom 8.6.2018). Doch als Beweis für ein verbessertes internes Management ließen die Anti-Korruptionswächter den Einzelfall nicht gelten. Wie schwer sich die Richterschaft mit Kritik von außen und innen tut, zeigt sich auch daran, wie lange es dauerte, bis die Justiz eine professionelle Pressestelle einrichtete und wie schnell Zugänge für Medienschaffende wieder zur Disposition stehen können. Ein Disziplinarverfahren mit drei Instanzen, eine für die Einleitung des Verfahrens, eine für die Beweisaufnahme und eine für die Entscheidung, sowie mit einer Mandatsdauer von einem Jahr, soll die Unabhängigkeit und Unbefangenheit gewährleisten. Das Recht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, steht allein dem Justizrat zu, dessen Mitglieder verpflichtet sind, Verdachtsfälle von Korruption oder Fehlverhalten zu melden.
Darüber hinaus, und das ist eine weitere wichtige Neuerung, sollen aber auch Bürgerinnen und Bürger Beschwerden beim Justizrat einreichen können: Wer sich durch einen Richter, eine Richterin, einen Staatsanwalt, eine Staatsanwältin schlecht behandelt fühlt, soll sich beim Rat beschweren können, der die Vorwürfe dann prüft und entscheidet, ob er ein Verfahren einleitet oder nicht. Hier sieht Alex Bodry ein weiteres Problem: Da im Gesetzentwurf außer einem Sekretariat keine Verwaltung vorgesehen ist, die den Rat bei seinen Aufgaben unterstützt, sei unklar, „ob die Mitglieder das überhaupt leisten können“. So dass sich fragt, wie groß die Öffnung der Justiz nach außen und für mehr Transparenz wirklich wird.