Mit Teamgeist, mehr Transparenz und Tatkraft will die neue Direktion Mängel im Service central d’assistance sociale beheben

Neue Frau, neues Glück

d'Lëtzebuerger Land vom 03.02.2017

Was ist los im Service central d’assistance sociale (Scas)? Nachdem ein vom Justizministerium in Auftrag gegebenes Audit personelle und organisatorische Mängel in der Gerichtshilfe feststellt, spricht die neue Scas-Direktorin Marie-Claude Boulanger offen über Probleme und notwendige Restrukturierungsmaßnahmen. Die gelernte Assistante sociale hat ihre berufliche Karriere in der Jugendschutzabteilung des Scas begonnen und ist, nach vielen Jahren im schulpsychologischen Dienst in Esch, an ihre ehemalige Wirkungsstätte zurückgekehrt.

D’Land: Personalmangel, Aktenberge, unklare Prozeduren lautet, zusammengefasst, das Fazit des Audits über den Scas. Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Marie-Claude Boulanger: Nein. Als ich die Leitung übernommen habe, habe ich selbst eine Stärken-Schwächen-Analyse veranlasst. Ich habe mit jedem Mitarbeiter im Amt gesprochen. Da ist mir bereits bewusst geworden, dass es nicht allein die Personalnot ist, die Probleme bereitet, sondern dass der Dienst insgesamt eine Restrukturierung braucht.

Sie haben vor dem Audit Änderungen unternommen?

Ja. Es war klar, dass es erhebliche organisatorische Probleme gab, weil das Amt längere Zeit ohne Direktion funktioniert hat. Es fehlte die Übersicht, wer wann wie gearbeitet hat. Wir sind eine Verwaltung, die noch alles auf Papier festhält. Weil wir neuerdings mit dem IT-Dienst der Justiz zusammenarbeiten, dürfte das Problem bald behoben sein. Außerdem habe ich mich mit den Abteilungen zusammengesetzt und wir haben die Prozeduren überarbeitet.

Jede Abteilung hat einen Koordinator, der Ihnen zuarbeiten soll, steht im Organigramm.

Das ist richtig. Die Koordinatoren sind vom Team gewählt. Das halte ich für wichtig, denn die Zusammenarbeit kann nur dann gut funktionieren, wenn das Team hinter dem Koordinator steht. Ich halte regelmäßig mit ihnen Rücksprache, es finden regelmäßige Sitzungen statt, die dokumentiert werden. Gibt es ein größeres Problem, kommen die Koordinatoren zu mir und wir besprechen den Fall. Auch sonst steht meine Bürotür immer offen.

Kernproblem war ein riesiger Bearbeitungsstau: In den Abteilungen türmten sich die Akten und wurden nicht rechtzeitig bearbeitet.

Als ich die Leitung des Scas übernahm, wurden alle gerichtlichen Anfragen (Enquêtes sociales) direkt vom Sekretariat an die Sozialarbeiter verteilt. Gab es Notfälle, die vorgezogen werden mussten, blieb ein anderer Fall liegen. Viele Mitarbeiter waren so überlastet, dass der Überblick über Prioritäten verlorenging. Mittlerweile werden die neuen Anfragen von unseren Psychologen analysiert. Der Koordinator erstellt daraufhin eine Prioritätenliste und verteilt die Akten nach Verfügbarkeit der Sozialarbeiter. Wir haben nun ebenfalls einen Mittelwert festgehalten, wie viele Fälle ein Sachbearbeiter realistisch pro Jahr bearbeiten kann.

Die Gutachter kritisierten auch Arbeitsweisen, weil sich die Betreuung in Aufwand, Umfang und Tiefe teils deutlich unterschied.

Wir haben gemeinsam überlegt, wie die Prozeduren zu vereinheitlichen sind. Beispielsweise ist es bei den Erziehungs-Assistenzen so, dass wir zunächst die Eltern bei uns auf dem Amt empfangen. Wir besprechen mit ihnen das Urteil, erklären ihnen die gerichtlichen Auflagen. Viele unserer Klienten sind während des Prozesses emotional angespannt, sodass sie Hilfe brauchen. Das zweite Treffen findet bei ihnen zuhause statt. Dort sprechen wir mit den Kindern und schauen, was die Familie braucht, um die Auflagen zu erfüllen. Außerdem arbeiten wir eng mit den Grundschulen, den Inspektoren, dem ONE (Office national de l’enfance, die Redaktion), der Jugend- und Drogenhilfe und anderen sozialen und medizinischen Akteuren zusammen.

Beanstandet wurden außerdem undurchsichtige Praktiken bei der Leistungsbewilligung.

Auch das wurde vereinheitlicht. Grundsätzlich sind die Sozialämter in den Regionen erster Ansprechpartner für Hilfeleistungen. Wird eine Leistung verweigert, prüfen wir den Fall. Klienten müssen, um eine Hilfe zu bekommen, ihre Auflagen erfüllen und mitarbeiten. Mit der neuen Informatik vermeiden wir in Zukunft, dass Leistungen irrtümlich ausgezahlt wurden, weil vielleicht jemand von zwei verschiedenen Abteilungen betreut wurde.

Der Scas ist oft nur ein, wenn auch wichtiger Akteur, in einer Betreuungskette. Wie stellen Sie sicher, dass sich Hilfen nicht überschneiden?

Wir haben die Dienste, mit denen wir enger zusammenarbeiten, zu uns eingeladen, um Arbeitsweisen und Abläufe zu besprechen. Das ONE war bei uns, die Polizeidirektion, die Grundschul-Inspektoren, der schulpsychologische Dienst, nächste Woche treffen wir uns mit dem Sozialamt der Stadt Luxemburg. Zentral ist zudem die Zusammenarbeit mit der Justiz.

Auch da gab es in der Vergangenheit Abstimmungsprobleme, wenn beispielsweise nicht klar war, was die Gerichte wann an Informationen benötigen.

Wir haben uns deshalb mit den Gerichten und mit der Staatsanwaltschaft zusammengesetzt. Inzwischen ist die Aufgabenbeschreibung klar. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut.

Beim Vormundschaftsgericht gab es den Verdacht auf Unregelmäßigkeiten, ein Richter wurde suspendiert. Hatte das Auswirkungen auf Ihren Dienst?

Wir machen unsere Arbeit und mischen uns nicht ein in die Kompetenzen der Gerichte. Wenn wir im Rahmen einer Vormundschaftsprüfung mit einer Untersuchung beauftragt werden, übernehmen wir das und wir tun dies professionell.

Das Vormundschaftsrecht wird reformiert, ebenso das Scheidungs- und das Sorgerecht. In Zukunft soll es ein Familiengericht geben. Was bedeutet das organisatorisch für den Scas?

Das wird für uns eine große Veränderung mit sich bringen. Wir planen, im Rahmen des Dienstes Jugendschutz eine Abteilung für Familiensachen zu eröffnen. In denen drei Wochen vor und nach den Weihnachtsferien haben wir bereits elf Anträge vom Gericht bekommen, mit der Bitte, diese nach der neuen Prozedur zu bearbeiten. Es geht um Scheidungen und das Sorgerecht und diese Fälle sind immer dringend. Das bedeutet deutlich kürzere Fristen, ein bis zwei Monate. Um diese Fälle zu begleiten, brauchen wir erfahrenes Personal, oft ist eine Mediation gefragt. Dafür brauchen wir dringend personelle Verstärkung.

73 Mitarbeiter betreuen mehrere Tausend Familien und Einzelpersonen in ganz Luxemburg. Es kam vor, dass ein Assistant social teilweise für 90 Fälle und mehr parallel zuständig war. Das lag auch, aber nicht nur an der großen Personalnot.

Das Audit stellt fest, dass Arbeit teilweise sehr ungleich verteilt war, manche Mitarbeiter waren demotiviert, oder sie wussten nicht, wie sie sich anlegen sollten, wie umfangreich eine Untersuchung angelegt sein sollte. Das ist nun geklärt.

Der Scas unterstützt Menschen in Not. Ihre Mitarbeiter arbeiten oft am Anschlag. Wie lässt sich verhindern, dass sie kein Burnout erleiden?

Meine Mitarbeiter, die die Erziehungs-Assistenzen organisieren, bekommen Supervision. Dort werden problematische Fälle besprochen. Grundsätzlich müssen Mitarbeiter einen starken Charakter haben, Nein sagen und auch schwierige Empfehlungen aussprechen können, etwa wenn es um eine Heimeinweisung geht. Teilweise nehmen unsere Sozialarbeiter zu zweit Termine wahr, schon um der eigenen Sicherheit willen. Meine Mitarbeiter tragen eine große Verantwortung, sie arbeiten oft unter hohem Druck und nicht ohne Risiko. Wir fordern deshalb seit längerem einen Risikozuschlag. Manch ein Klient verliert die Nerven, wenn er kein Geld bekommt, weil er oder sie die Auflagen nicht erfüllt hat. Dann wird gepöbelt und mitunter gedroht. Jeder Polizist, jeder Wärter bekommt eine Gefahrenzulage, nur wir beim Scas nicht. Das ist nicht gerecht.

Wie bereiten Sie Ihre Mitarbeiter auf neue Aufgaben vor, die etwa im Zusammenhang der geplanten Reformen entstehen könnten?

Wir haben gemeinsam mit dem Fortbildungsinstitut für den öffentlichen Dienst, dem Inap, geschaut, welche Fortbildungen jeder Service benötigt. Wir können passende Ausbilder vorschlagen. Die Kosten für die Weiterbildung übernimmt das Institut, vorausgesetzt, die Weiterbildung wird von ihm genehmigt. Dann kommen Inap-Ausbilder sogar zu uns in den Service, was sehr hilfreich ist. Denn so können mehr Sachbearbeiter an den Schulungen teilnehmen und wir verlieren insgesamt weniger Zeit.

In der sozialen Versorgung besteht ein Nord-Süd-Gefälle. Es gab Pläne, eine Nebenstelle des Scas im Norden einzurichten, um Klienten in der Region besser zu erreichen. Was ist daraus geworden?

Der Scas hatte ein Büro beim Diekircher Gericht, aber als die Umbauarbeiten begannen, mussten wir in ein anderes Gebäude umziehen, das etwas abgelegen war. Ich meine nicht, dass eine Nebenstelle in Diekirch finanziell Sinn macht, denn dann müssten wenigstens zwei, drei Mitarbeiter plus Sekretariat vor Ort sein, und damit wäre das Problem der Anfahrt noch nicht gelöst. Wir organisieren uns deshalb entlang von Regionen: Mitarbeiter, die im Norden wohnen, betreuen eher Fälle in der Region. Dass wir einen Fuhrpark für unsere Mitarbeiter haben, erleichtert die Organisation.

Als die Gutachter ins Haus kamen, sorgte das zunächst für Verunsicherung. Wie ist die Stimmung heute und was geschieht mit den Empfehlungen des Audits?

Ich bin ein Mensch, der offen Probleme anspricht und für Transparenz steht. Das ist für einen Betrieb wie den unseren sehr wichtig, ebenso ein gutes Arbeitsklima. Ich weiß genau, welch’ großer Druck auf meinen Mitarbeitern lastet. Sie sind offen für Verbesserungen und wir haben selbst die Baustellen erkannt und gehen diese aktiv an. Im einem halben Jahr werden wir eine Zwischenbilanz ziehen und schauen, wo wir dann stehen. Grundsätzlich freut mich, dass die Politik unsere Arbeit würdigt und bereit ist, unser Personal deutlich aufzustocken. Denn ohne zusätzliche Ressourcen werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern.

Ines Kurschat
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