Eine rechtsliberale Regierung aus einem Guss: Das Koalitionsabkommen übernimmt die Beschlüsse zum Arbeitsrecht oft wörtlich aus dem DP-Wahlprogramm. Ein CSV-Minister soll sie umsetzen.
Der Escher Bürgermeister Georges Mischo kam zum Arbeitsministerium wie die Jungfrau zum Kind. Am 26. September 2023 trumpfte er bei einer Podiumsdiskussion mit der Forderung auf, den Mindestlohn an den Index anzupassen. Er kam 67 Jahre zu spät. Bei den Koalitionsverhandlungen tagte die Arbeitsgruppe „Économie et travail“ ohne ihn.
Dass der Arbeitsminister ahnungslos ist, spielt keine Rolle. Er dient als Platzhalter. Regierungschef Luc Frieden umgibt sich gerne mit Leichtmatrosen. Dann kann er einfacher „Kapitän“ spielen. Er hat seine eigenen Vorstellungen vom Arbeitsrecht. Sie decken sich mit den „30 propositions phares“ der Handelskammer vom 9. Februar 2023.
Die Handelskammer nennt das Arbeitsrecht starr. Solange können die Unternehmer die Lohnabhängigen weniger unter Druck setzen. Laut ihrer Erklärung vom 22. November will die Regierung „d’Aarbechtsrecht moderniséieren“.
Sie stellt es als altmodisch dar. Es stammt aus der Zeit vor der Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den Neoliberalismus. Ein Wirtschaftsminister der LSAP engagierte den Wunderheiler Jeremy Rifkin. Er erklärte, dass in der dritten Industriellen Revolution kein Platz für Arbeitsrecht sei.
Flexibleres Arbeitsrecht verbilligt die Kosten der Arbeitskraft: Es wälzt die Risiken von Konjunkturschwankungen auf die Beschäftigten ab. Den Unternehmern steht zum gleichen Lohn mehr Arbeitszeit zur Verfügung. Weniger Arbeitsrecht heißt Sparen: an Überstundenzuschlägen, Sicherheitsschuhen, Abgangsentschädigungen.
Die Handelskammer forderte „une seule indexation maximum par an“. Das Koalitionsabkommen verspricht: „En cas de déclenchement de plusieurs tranches d’indexation par an, une tripartite sera convoquée“ (S. 174).
Das Koalitionsabkommen beteuert: „L’adaptation régulière du salaire social minimum selon l’évolution des salaires et du coût de la vie sera maintenue“ (S. 174). Die LSAP versprach 2018 eine Mindestlohnerhöhung. Das DP-Wahlprogramm erinnerte: „ohne dass diese Erhöhung völlig zu Lasten der Betriebe ging“ (S. 48). Die Verstaatlichung von Lohnkostensteigerungen wird CSV und DP ein Vorbild sein.
Die Handelskammer verlangte d’„[a]ssouplir la législation sur l’organisation du temps de travail pour permettre une gestion au cas par cas dans le cadre du dialogue social en entreprise“. CSV und DP wollen „d’Aarbechtszäitorganisatioun reforméieren an eiser Zäit upassen“ (Regierungserklärung). Das Koalitionsabkommen verspricht „une réforme du POT et discutera dans ce cadre l’introduction d’une annualisation du temps de travail“ (S. 177). Dann sparen die Unternehmen übers Jahr Überstundenzuschläge.
CSV und DP machen das als „work-life-balance“ schmackhaft. Als „nouvel équilibre entre vie privée et vie professionnelle“. Sie wollen „télétravail“ und „remote working“ für liberale Mittelschichten fördern (S. 174). Die Regierungserklärung kündigt an: „D’Sonndesaarbecht gëtt vun haut véier op muer aacht Stonnen erlaabt.“ Werktags können die Verkäuferinnen, Fabrikarbeiter, Krankenpflegerinnen weder im Homeoffice, noch im Coworking Space arbeiten. Sonntags haben sie kein Recht auf „work-life-balance“.
Neben der Zulassung von Uber-Fahrzeugen (S. 203) plant das Koalitionsabkommen „chèques emploi pour l’emploi de personnes sur une base horaire“ ohne „lien de subordination“. Zum Beispiel „dans la restauration, dans l’évènementiel ou dans les ménages privés“ (S. 176). Das Wahlprogramm der DP präzisierte: „Der Staat finanziert die restlichen Kosten der Arbeitsstunde. Zusätzlich kann die Privatperson von Steuerermäßigungen profitieren“ (S. 48).
CSV und DP bezuschussen einen neuen Niedrigstlohnsektor für den Mittelstand und die Privathaushalte. Tagelöhner waren gestern. Stundenlöhner sind die Sternstunde des flexiblen Arbeitsmarkts. Die Regierung macht Armut zu ihrer Priorität.