Am Montag war die Coronasteuer wieder da. „Ich bin keiner, der im März etwas sagt und im Herbst den Schwanz einzieht“, gab LSAP-Vizepremier Dan Kersch im RTL-Radio zu Protokoll. Auf dem Parteikongress am 21. März hatte er eine „selektive Coronasteuer für Krisengewinnler“ ins Gespräch gebracht. Eigentlich war er damit nicht der Erste gewesen: Am Tag zuvor, beim Kongress der Grünen, hatte deren Ko-Präsident Meris Sehovic erklärt, „wer in der Krise Profite gemacht hat, wird im après-crise mehr beitragen müssen“. Doch das war eher ein Nebensatz und fiel nicht weiter auf. Dan Kersch dagegen kündigte an, die Koalitionspartner zum Offenbarungseid über „Steuergerechtigkeit“ zu zwingen. Also galt ihm das Medienecho, wie auch die Absage von DP-Präsidentin Corinne Cahen, eine Coronasteuer komme „nicht in Frage“.
Am Montag wurde Kersch ein wenig deutlicher: Man könnte beispielsweise den Durchschnitt der Gewinne eines Unternehmens in den Jahren 2015 bis 2019 heranziehen sowie den dieses Jahr erzielten Gewinn. Übersteige dieser den Schnitt der fünf Jahre vor Corona um mehr als zehn Prozent, könnte dieses Mehr „mit fünf oder zehn Prozent“ besteuert werden. Doch das sei im Grunde eine „technische“ Frage. Entscheidender sei die politische, ob man das will – und falls nicht, auf welchem Weg sonst die vom Finanzminister auf „fünf bis sechs Milliarden Euro“ geschätzten krisenbedingten Ausgaben kompensiert werden sollten.
Das erneute Nein der DP-Vorsitzenden zur Coronasteuer kam ebenso prompt wie vor vier Monaten. Aber hinter der Auseinandersetzung verbirgt sich mehr als ein Vorgriff auf die Diskussionen innerhalb der Koalition über die Kostendeckung nach dem „Kassensturz“, sobald die Krise einigermaßen ausgestandenen ist. Und mehr als einer der in Luxemburg im Vergleich zum Ausland nur selten öffentlich ausgetragenen Dissense der Regierungsmehrheit über ihre Politik. Dass die LSAP diese Auseinandersetzung anfeuert, ist auch Ausdruck davon, dass die Partei sich bereits jetzt darum sorgt, mit welcher Bilanz sie aus der Legislaturperiode gehen wird und was sie vom Wahljahr 2023 erwarten darf. Die Koalitionspartner werfen ihr hinter vorgehaltener Hand vor, schon in den Wahlkampfmodus geschaltet zu haben. Ganz falsch ist diese Behauptung nicht.
Denn als nach den Wahlen vom 14. Oktober 2018 unverhofft eine zweite Runde „Gambia“ möglich wurde, war die verbindende programmatische Erzählung der drei neu-alten Koalitionspartner die von einer für Luxemburg glücklichen Globalisierung (d’Land, 14.12.2018): Dank gut gefüllter öffentlicher Kassen würden nicht nur Bus und Bahn gratis, sondern auch eine Steuerreform möglich, durch die trotz Abschaffung der Steuerklassen niemand etwas verlöre, wie die DP-Präsidentin versprach. Weil die Corona-Pandemie dazwischenkam, bedauert DP-Finanzminister Pierre Gramegna seit seiner Budgetsried vom vergangenen Herbst, dass für die große Steuerreform leider kein Spielraum mehr bestehe. Allenfalls könne es punktuelle Anpassungen geben.
Für die LSAP ist das ein besonderes Risiko: Im Wahlkampf 2018 hatte sie voll auf ihren historischen Geschäftsfundus, den Sozialstaat, gesetzt. Denn vor allem die traditionelle Wählerschaft im industriellen Süden des Landes lasse sich kaum für Asteroidenbergbau oder Jeremy Rifkins digitales Utopia begeistern, so das Kalkül damals. Doch trotz aller Versprechen im Wahlprogramm auf sozialen Fortschritt wie die 38-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich oder die schrittweise Einführung von sechs Wochen gesetzlichem Urlaub verlor die LSAP 2018 drei Kammermandate und die Grünen wurden so sitzstark wie sie. Gäbe es demnächst, nach Corona, zwar keine Austerität, weil vor sechs Jahren das „Zukunftspak“ getaufte Sparpaket gar nicht gut ankam, aber auch keine Entlastung all jener, die Mühe haben, mit ihrem Einkommen über den Monat zu kommen, könnte das der LSAP besonders schaden. In der ausgehenden Legislaturperiode bliebe ihr am Ende kaum mehr, als zu erzählen, wie in allen Regierungsbeteiligungen seit den Achtzigerjahren lediglich das Schlimmste verhindert zu haben.
Also schart sie ihre Kräfte erneut um den Sozialstaat. Schon jetzt, und ist sich darin so einig wie selten zuvor. Vorbei scheinen die Zeiten, als auf den Meinungsseiten des Tageblatt bald Gewerkschaftler im Ruhestand von der LSAP mehr Syndikalismus forderten, bald Parteilinke mehr Empathie für die kleinen Leute, bald Mittdreißiger von Mittfünzigern die Räumung von Führungsposten, bald Geschäftsanwälte mehr Modernität. Vergangene Woche halfen die Jungsozialisten, in einer Remicher Kneipe ein „After-Work“ mit der Gesundheitsministerin zu veranstalten. Das Tageblatt stellte am Tag danach fest, in der „rappelvollen“ Brasserie Um Schëff (es galt Covid-Check) hätten „nicht nur Parteisoldaten“, sondern auch neugierige Passant/innen von der Straße „auf Tuchfühlung mit Paulette Lenert“ gehen wollen. Und dass der Wahlkampf der LSAP „leise und im Schatten“ beginne, „aber er beginnt“.
Paulette Lenerts Popularität beflügelt die LSAP natürlich. Genauso wie das Resultat der „Sonndesfro“ von TNS Ilres, das der Partei am 1. Juli die Rückeroberung eines der drei 2018 verlorenen Kammermandate in Aussicht stellte. Für Richtungskämpfe ist da vorerst kein Anlass, und den Sozialstaat als verbindende Klammer, beziehungsweise den „starken Staat“ trägt mit Dan Kersch eines der gewieftesten politischen Tiere im Lande vor.
Aber andererseits ist nur reichlich Halbzeit in der Legislaturperiode und die LSAP nach wie vor eine Regierungspartei. Und wenn Fraktionspräsident Georges Engel vor drei Wochen beim traditionellen Déjeuner de presse nach Ablauf einer Kammersession versprach, „die Steuerreform ist noch nicht vom Tisch“, braucht die LSAP, um das einzulösen, DP und Grüne. Dass es auch ihnen gefallen wird, ihrer Wählerschaft zumindest ein wenig von der im Koalitionsprogramm 2018 versprochenen Party zukommen zu lassen, ist klar. Doch die Frage wird sein, welche „punktuellen Verbesserungen“ konsensfähig sind, von denen Engel und Kersch vorerst vage sprechen; auch um die Partner nicht vor den Kopf zu stoßen.
Denn dass vor allem Dan Kersch rhetorisch dort weitermacht, wo vor einem Jahr der damalige CSV-Präsident Frank Engel mit seinem Vorstoß für „Steuergerechtigkeit“ angefangen hatte, ist das eine. Das andere sind konkrete Resultate – ansonsten führt die „gesellschaftliche Debatte“, in die der LSAP-Vizepremier die politische Klasse verwickeln zu wollen angekündigt hat, vielleicht nahtlos in den nächsten Wahlkampf seiner Partei, aber es interessiert nicht mehr viele Wähler/innen für die LSAP. Folglich muss sie auch darauf schauen, was schon jetzt mit DP und Grünen zu haben ist oder noch zu haben sein könnte.
Und noch ist die LSAP den Beweis schuldig, dass sie steuerpolitisch in einem Bereich etwas liefern kann, in dem sie eine Führungsrolle spielt: Die Grundsteuer zu reformieren, ist über alle Parteigrenzen hinweg Konsens und mit Innenministerin Taina Bofferding eine Sozialistin darin federführend. Doch noch immer ist unbekannt, wie die reformierte Steuer genau aussehen und worauf wie viel erhoben werden soll. Ebenso könnte es dem Profil der LSAP dienen, wenn sie neben Rechenbeispielen für eine Coronasteuer auch solche für eine „nationale Spekulationssteuer“ publik machen würde. Oder sollte die Idee doch nicht so ernst gemeint sein, weil die LSAP fürchtet, ein Unmut der Grundbesitzer darüber könnte auch auf sie zurückschlagen?
„Dazu kommt etwas von uns!“, versichert der darauf angesprochene Dan Kersch dem Land. Bevor die von der LSAP-Fraktion beantragten parlamentarischen Orientierungsdebatte über Steuergerechtigkeit stattfindet, würden Vorschläge präsentiert. Andere würden innerhalb der Koalition gemacht. Was die LSAP genau will, bleibt demnach abzuwarten. Ob die Regierung am Ende tatsächlich nicht an einer Coronasteuer vorbeikommt, auch.