Klimawandel

Die Sache mit der Kohle

d'Lëtzebuerger Land vom 17.01.2020

Es scheint fernab der Welt zu sein: Inmitten des australischen Bundesstaats Queensland hat der indische Rohstoffkonzern Adani im Juni vergangenen Jahres die Konzession zur Ausbeutung des Carmichael-Kohlevorkommens erhalten. Nach jahrelangen Debatten zwischen australischen Politikern – neue Jobs entstehen – und Naturschützern – die Klimaziele von Paris müssen eingehalten werden – dürfen die Inder nun die Mine errichten. Sie wird sich über 447 Quadratkilometer erstrecken. Das entspricht etwa einem Sechstel der Fläche Luxemburgs. Die geförderte Kohle – geschätzte zehn bis 27,5 Millionen Tonnen pro Jahr – sollen nach Indien verschifft werden und dort verstromt, zur Elektrizitätsgewinnung verbrannt werden. Bei voller Auslastung würden dann jährlich 115 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre ausgestoßen. So weit, so fern.

Damit die Kohle aus der Mitte Australiens an die Küste kommt, wird derzeit eine Eisenbahnstrecke gebaut. Für das Schienennetz hat der deutsche Siemens-Konzern den Zuschlag für die Signaltechnik erhalten. Vom Hafen in Abbot Point nördlich von Sydney führt der direkte Seeweg nach Indien entlang des Great Barrier Reefs, das derzeit besonders unter den Folgen des Klimawandels zu leiden hat. Die Entscheidungen rund um Carmichael werden auf dem Fünften Kontinent kritisch beäugt, nicht nur in diesen Tagen, da Australien die schlimmste Brandkatastrophe des Landes erlebt. Bei den seit Oktober wütenden Waldbränden ist eine Fläche so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen verbrannt. Mindestens 28 Menschen kamen ums Leben, über 2 000 Häuser wurden zerstört. Obwohl der Klimawandel nicht für einzelne Feuer verantwortlich ist, gehen Forscher davon aus, dass steigende Temperaturen und zunehmende Trockenheit die Brände begünstigen.

Für Siemens ist die Installation der Signaltechnik entlang des Schienenwegs ein Auftrag im Wert von umgerechnet rund 18 Millionen Euro. Andere Zahlen: In der deutschen Hauptstadt investiert der Konzern derzeit rund 500 Millionen Euro in die Reaktivierung der historischen Siemensstadt, um einen neuen, innovativen Stadtcampus zu errichten, in dem geforscht, gearbeitet und gewohnt werden soll. Insgesamt erwirtschaftet der Münchner Konzern einen Umsatz von 90 Milliarden Euro. Jährlich. So gesehen ist der Auftrag aus Australien eher ein kleiner Fisch. So klein, dass sich der Vorstand des Konzerns erst gar nicht damit beschäftigte, sondern im Dezember 2019 die Akquise des Projekts allein der australischen Siemens-Tochter überließ. Doch das Führungsgremium des Konzerns hat nun den Schaden zu begrenzen.

Es mag noch immer die kaufmännische Regel gelten, dass geschlossene Verträge nicht gebrochen werden dürfen. Schließlich will Siemens bei seinen Kunden nicht als vertragsbrüchig wahrgenommen werden. Es hätte sicherlich auch Wege gegeben, sich aus der bestehenden Bindung herauskaufen zu können, insbesondere da Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Siemens, darauf hinwies, dass andere Lieferanten bereits parat gestanden hätten. Was den Imageschaden für den Technologiekonzern so groß macht, ist, dass sich Siemens gerne an der Seite der Kämpfer gegen den Klimawandel sieht. Doch in der Klimadebatte zieht sich Kaeser immer noch auf die Argumentationsbausteine von unterschiedlichen Sphären mit unterschiedlichen Interessen zurück: Aktionäre, Kunden und Gesellschaft, deren Ansprüche und Anforderungen stets gegeneinander abgewogen werden müssten.

Dass diese Rhetorik brüchig ist, zeigt sich vor allen Dingen daran, dass eben auch Aktionäre und Kunden gesellschaftliche Akteure sind, die von den Folgen des Klimawandels ebenso betroffen sind. Für Klimaaktivisten ein offenes Tor. Die deutsche „Fridays for Future“-Bewegung machte denn auch direkt auf die Bigotterie des Konzerns aufmerksam. Siemens gelobte Besserung: Solche Aufträge sollen in Zukunft nicht mehr angenommen werden. „Das Sustainability Board wird Vetorecht haben“, sagte ein Unternehmenssprecher vergangene Woche. So wolle mach sicherstellen, dass Fehler wie beim Auftrag der indischen Adani-Gruppe vermieden werden. „Der Fehler wurde sehr spät bemerkt“, so der Sprecher. So weit, so beschwichtigend.

Denn kaum sah der Unternehmenssprecher seine Worte gedruckt, passierte Kaeser der nächste Patzer, indem er Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht von „Fridays for Future“, einen Aufsichtsratsposten bei einer Tochtergesellschaft anbot. Jahresgehalt: 140 000 Euro. Ein Phänomen, das derzeit von Marketingexperten als „Greenwashing“ verfolgt wird. Konzerne kaufen sich von ihrer Verantwortung frei. Doch Neubauer lehnte dankend ab, schlug einen Klimaforscher für die Position vor und kündigte an, zur Jahreshauptversammlung des Konzerns so richtig Rabatz zu machen und dafür die zuletzt im Winterschlaf versunkene Bewegung wiederzubeleben. Das mag Aufmerksamkeit bringen, doch lenkt von dem eigentlichen Irrsinn des Carmichael-Projekts ab und bietet keine Antwort darauf, wie der Hunger nach Energie in den Schwellenländern klimaneutral gestillt werden kann.

Martin Theobald
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