Kino

Überladenes Kammerspiel

d'Lëtzebuerger Land vom 24.03.2023

Der amerikanische Regisseur Darren Aronofsky neigt dazu, seine Stärken als Filmemacher falsch einzuschätzen. Er ist ein versierter Beschwörer von Stimmungen und ein begnadeter Regisseur, der sich auf Figuren konzentriert hat, die sich durch Ängste und Wahnvorstellungen in eine Art Transzendenzstadium vorkämpfen. Mickey Rourke tat das in The Wrestler (2008), Natalie Portman in Black Swan (2011), Russell Crowe in Noah (2014) und Jennifer Lawrence in Mother! (2017). Brendan Fraser in The Whale nun ist bemüht, mit seinen Mitmenschen ins Reine zu kommen, und versucht Vergebung für seine vergangenen Fehltritte zu erlangen. Brendan Fraser gibt Charlie, einen College-Dozenten, der nie seine Wohnung verlässt. Seine Vorlesungen hält er online ab und deaktiviert die Kamera seines Laptops, damit die Studenten ihn nicht sehen können. Er ist nämlich überaus fettleibig, seine Lebenserwartung nur mehr sehr gering. Er sei schon immer ein dicker Kerl gewesen, sagt er, aber nach dem Selbstmord seines Geliebten sei sein Essen „einfach außer Kontrolle geraten“. Jetzt steigt sein Blutdruck in die Höhe, sein Herz versagt und einfache körperliche Aktivitäten wie Aufstehen und Hinsetzen erfordern enorme Anstrengungen. Doch dem resignativen Selbstmitleid angesichts seiner Fettleibigkeit zum Trotz versucht er mit seinem Leben und seinen Mitmenschen ins Reine zu kommen.

Basierend auf einem Theaterstück von Samuel D. Hunter – der auch das Drehbuch für The Whale schrieb – ist Aronofskys neuer Film ein einziges Kammerspiel: Die Kamera, die von Darren Aronofsky und Matthew Libatique geführt wird, unterstreicht unerbittlich das Gefühl der Enge. Charlie ist gefangen – in seinen Räumen, in einem Leben, das aus den Fugen geraten ist, und vor allem in seinem eigenen Körper. Diese ungemeine Konzentration auf das Interieur, die überwiegende Verweigerung zur Öffnung des filmischen Raumes machen aus The Whale zuvorderst eine filmische Übung in Klaustrophobie. Statt den bühnengebundenen Text zu öffnen, verstärkt Aronofsky den Stillstand, das unheilvolle Gefühl des Feststeckens, das Charlies Existenz bestimmt. Fraser gibt eine Vorstellung, die von entwaffnender Anmut ist. Er nutzt seine Stimme und seine großen traurigen Augen, um eine Zartheit zu vermitteln, die im Widerspruch zur körperlichen Grobheit der Figur steht.

Man merkt dem Film das Theaterhafte deutlich an: The Whale spielt sich im Laufe einer Woche ab, in der Charlie eine Reihe von Besuchen erhält: von seiner Freundin und informellen Betreuerin Liz (Hong Chau); von Thomas (Ty Simpkins), einem jungen Missionar, der seine Seele retten will; von seiner entfremdeten Teenager-Tochter Ellie und seiner verbitterten Ex-Frau Mary (Samantha Morton). Außerdem gibt es einen Pizza-Lieferanten und einen Vogel, der gelegentlich vor Charlies Fenster auftaucht. Figuren treten auf, gehen ab. In all dem ist die Ausarbeitung der verschiedenen Themen besonders bestimmt von Schuldverschiebungen und ethischen Ausflüchten. Jeder und niemand ist verantwortlich; Handlungen haben Konsequenzen und haben keine Konsequenzen. Realweltliche Themen wie Sexualität, Sucht und religiöse Intoleranz werden aufgeworfen, ohne dass ein glaubwürdiger Sinn für die soziale Realität vorhanden ist. Am Ende steht da möglicherweise die hoffnungsvolle Erkenntnis, dass Menschen unfähig sind, sich nicht umeinander zu kümmern. Mit Herman Melville und Walt Whitman wird diese Idee mit einer an Esoterik kaum zu überbietenden Symbolschwere und der nervenaufreibenden Filmmusik von Robert Simonsen aufgeladen. Aber als ernsthafte Erkundung und Argument für die Macht des menschlichen Mitgefühls kann The Whale nicht bestehen – zu sehr lastet da die vereinfachende Psychologisierung seiner Figuren und intellektuelle Unschärfe des Stoffes. So gesehen, stiftet The Whale eine nahtlose Verbindung zu The Fountain (2006): Beides überdrehte und auch seltsam substanzlose Aronofsky-Filme, die von seinen großen und vagen Ambitionen erdrückt werden.

Marc Trappendreher
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