„Wir thematisieren die Risiken der Medien. Nur nicht mit erhobenem Zeigefinger. Wir wollen zum Nachdenken anregen.“ Das sagte Marc Schoentgen, Leiter des staatlich finanzierten Zentrums fir politesch Bildung, das Jugendlichen (und Erwachsenen) einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien nahebringen will, dies im Rahmen der Europäischen Woche der Medienkompetenz, die vom 18. bis 22. März stattfindet.
Nachdenklich klingt auch Schulminister Claude Meisch (DP), der im Land-Interview daran erinnert, Videospiele, Apps und soziale Netzwerke würden so konzipiert, „dass wir möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen“. Ähnlich der Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques (Script) in einem Papier zur Digitalisierung: Die vom US-Bildungsforscher Marc Prenzky geprägte Bezeichnung der „digital natives“ verweise nicht darauf, dass „Kindern und Jugendlichen der kompetente und sinnvolle Umgang mit Medien in die Wiege gelegt wird“. Im Gegenteil: Den meisten Schülern blieben die „technischen und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des digitalen Kapitalismus verborgen, wenn Schule sie nicht aufgreift und thematisiert“.
Die Gefahr ist da: Schulen thematisieren wohl die Manipulation von Informationen und den Schutz der Privatsphäre. Seltener wird sich mit den Funktionsweisen von Computer- und Smartphoneanwendungen auseinandergesetzt, die Teil des neuen „Überwachungskapitalismus“ sind. Den Begriff hat Shoshana Zuboff geprägt, eine emeritierte Ökonomieprofessorin, die als eine der ersten von Dark Google sprach und vor totalitären Aspekten der Digitalisierung warnte. In ihrem neuen Buch Zeitalter des Überwachungskapitalismus beschreibt sie, wie die Digitalisierung den Menschen verändere, wie Google, Facebook und Amazon mit ihrer Datensammelwut so weit in unsere Leben eingedrungen seien, dass sie die Kontrolle und Steuerung des Verhaltens ganzer Bevölkerungen ansteuerten. Sei es in der Freizeit durch Jogging-Apps, die Daten zur Laufleistung an Fitnessfirmen schicken, sei es durch Musik-, Buch- und Film-Onlineangebote, die Hör-, Lese- und Sehgewohnheiten ermitteln, sei es durch Erfindungen wie das „smarte Haus“, das mithilfe von Verhaltensdaten technische Geräte zuhause an- oder ausschaltet. Das Ziel dahinter ist der „kommerzielle Imperativ“: Firmen saugen unsere Daten ab, um Produkte zu verfeinern, Anwendungen zu erfinden und zu verkaufen, die Einfluss auf unser Verhalten nehmen. Der Clou: Im totalitären Überwachungskapitalismus sind wir es selbst, die wir unsere Daten freiwillig an unsere Überwacher abgeben und damit den Schlüssel, unser (Konsum-) Verhalten bis ins Detail zu kontrollieren.
Zuboff geht auf die Risiken ein, die die Ansammlungen riesiger Datenmengen für die Demokratie und für die eigene Entscheidungsgewalt bedeutet – und ihr Buch müsste Pflichtlektüre in jeder Schule sein, die zu einem kritischen Umgang mit Online-Medien und Kommunikationstechnologien erziehen will. Denn außer der Initiative BeeSecure, die Online-Sicherheit vorrangig aus dem Blickwinkel des Schutzes der Privatsphäre betrachtet, gehen Inhalte, die im Rahmen von Medienoptionen an Schulen vermittelt werden, kaum auf den Überwachungskapitalismus ein – und auch nicht darauf, wie wir alle Teil dieser Maschinerie sind. Kritische Beiträge, die aufzeigen, wie letztlich auch (von Microsoft gesponserte) pädagogische Apps dazu beitragen, Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen zu kontrollieren und zu steuern, sind Fehlanzeige. Dabei tragen die Apps, streng betrachtet, das Ihrige dazu bei, Schüler an das Überwachungsdiktat zu gewöhnen, statt Gegenstrategien und Alternativen aufzuzeigen.