Ein Multi-Media-Projekt aus Kleinbettingen zeigt, wie neue Medien bei Grundschülern sinnvoll eingesetzt werden können

Klein, aber oho

d'Lëtzebuerger Land vom 15.03.2019

Der Bauernhof der Zukunft ist groß, kommt ohne Umweltgifte aus, seinen Strom bezieht er von Solarplatten auf dem Stalldach – und er bietet viel Freilauf für allerlei Tiere, von Schweinen über Kühen und Pferden; Esel, Hund und Katze nicht zu vergessen. Und Papageien. So großzügig stellen sich Leandro, Mara und Theo aus dem vierten Zyklus der Grundschule Kleinbettingen bei Steinfort die Landwirtschaft im Jahr 2222 vor.

„Es ist uns wichtig, dass der Bauernhof viel Licht hat“, sagt eine Kinderstimme im Hintergrund. Unter www.luxregional.wordpress.com kann man sich ein Video zum Hof anschauen: Erstellt haben es die Fünftklässler mit Hilfe des Online-Spiels Minecraft. Spielende können aus würfelförmigen Klötzen Gebäude nachbauen oder selbst planen und so ganze Welten per Mausklick erschaffen. Weshalb Kühe und Schafe etwas eckig aussehen.

Virtuell und real

Ebenfalls eckig – allerdings klein und eng, mit zwei bis drei Ställen – ist der Bauernhof von heute, den die Klassenkameraden Lana, Lea und Felix aus Legosteinen nachgebaut und dann fotografiert haben. Als Vorbild dient ein echter landwirtschaftlicher Betrieb in der Region, den der Vater von Felix bewirtschaftet und den Kinder im Rahmen ihrer journalistischen Recherchen zu Lebensmittel und Landwirtschaft besucht haben. Regional – aber nicht banal heißt das Multi-Media-Projekt, das der vierte Zyklus der Grundschule für den vom Erziehungsministerium, dem Zentrum für politische Bildung und Presserat gemeinsam ausgetragenen Wettbewerb Jeune journaliste einreichte und für den es diese Woche einen Preis überreicht bekam.

Die Kinder wollten herausfinden, welche Bedeutung die regionale Landwirtschaft hat. Zwei Monate lang haben sie dafür gelesen und geforscht, über Massentierhaltung und Bio-Landwirtschaft. Sie befragten Bauern vor Ort, welche Tiere sie halten und wie mühsam die Hof-Arbeit ist, besuchten echte Ställe, waren auf dem Wochenmarkt einkaufen und haben schließlich alles zusammengetragen. Dabei war der klassische Stift und Notizblock zum Notieren von Rechercheergebnissen gerade so im Einsatz wie Mikrofon und I-Pad-Kamera.

Herausgekommen ist eine ausführliche Arbeit, die via Radio, Video, Zeitung und Blog ihre Erkenntnisse nacherzählt: Wie wichtig es sei, Landwirte in der Nachbarschaft zu unterstützen, um unnötige Transportwege zu vermeiden. Mit Regionalität hatten sich die Schüler in einer früheren Unterrichtseinheit befasst. Als sie berieten, welches Thema sie unter So du mol eppes. La liberté d’expression est un droit fondamental behandeln könnten, entschied sich die Klasse mehrheitlich für das Umweltthema: „Ich habe gelernt, dass ich, wenn ich regional einkaufe, die Umwelt weniger belaste“, sagt Louis. Wir sitzen im Klassenraum; die Kinder erzählen eifrig, wie ihr Projekt langsam Gestalt annahm.

Wie die Großen

Hilfe und Unterstützung in der Planung und Umsetzung bekamen sie von ihrer Lehrerin Renée Schaber: „Mir macht Medienarbeit Spaß“, sagt die Grundschullehrerin, die schon im vergangenen Jahr mit einer Klasse am Wettbewerb teilgenommen hatte. Dafür bildeten die Schüler zunächst Arbeitsgruppen, in denen sie einen Aspekt vertiefen sollten. „Wir konnten unsere Gruppen frei wählen“, erzählt Lea. Je nach Vorliebe oder Talent wurde ausgesucht: Die einen schreiben gern, die anderen lesen lieber. Den größten Andrang gab es beim Videospiel Minecraft. „Da waren wir zu viele.“

Klassenkameradin Luisa hat sich in ihrer Gruppe Gedanken über die Folgen von Massentierhaltung und unbedachtem Konsum gemacht und mit einer Klassenkameradin ein Plakat entworfen. Ihre Rechercheergebnisse flossen auch in den Radiobeitrag an, die Kinder im Studio des gemeinnützigen Senders Ara im Rahmen der Jugendsendung Graffiti aufnahmen. „Den Text haben wir vorher auf den I-Pads geübt“, erzählt Justin. Seine Eltern sprechen kein Luxemburgisch, aber seine große Schwester hat ihm geholfen, dass er seinen Beitrag ohne Versprecher aufsagen konnte. Und zum Glück gibt es im Radio eine Software, mit der sich die gröbsten Pannen herausschneiden lassen.

Eine andere Gruppe bereitete Fragen für Interviews mit zwei Bauern vor: Was will die Klasse wissen, was interessiert die Zuhörer? Und wie ist das, wenn man selbst in ein Mikrofon hineinsprechen muss? Außerdem haben sich die Kinder drei Werbespots zum Konsum nicht-regionaler Produkte ausgedacht, die sie ebenfalls im Studio aufgenommen haben, und das in zwei Sprachen: Luxemburgisch und Französisch. Anne-Marie hat das Projekt so viel Spaß gemacht, dass sie sich vorstellen kann, später einmal selbst Journalistin zu werden. „Ich konnte am Anfang Netflix auf den Computer einschalten. Jetzt kann ich verschiedene Anwendungen auf dem Computer bedienen und zum Beispiel Fotos hochladen“, freut sich Mara. Im Klassenzimmer stehen sechs Computerterminals, auch I-Pads standen zur Verfügung.

Neue Rolle für die Lehrkraft

Dass die Lehrerin im Bereich der Medienpädagogik Vorerfahrung hat, half enorm. Aber weniger wegen der Technik: „Ich kannte Minecraft vorher nur vom Hörensagen, Leandro hat uns eingeweiht.“

Dass die Fünftklässler auch mal die Nase vorn hatten bei der Bedienung bestimmter Apps, verunsichert die Lehrerin nicht: „Meine Aufgabe ist, die Schüler zu beraten, wenn sie nicht weiter wissen. Ich koordiniere und strukturiere.“ Auch Hintergrundwissen über Datenschutz und Risiken vermittelt sie, und das quasi nebenbei: Dass Fotos nicht einfach ins Internet gestellt werden können, sondern Kinder dafür die Genehmigung ihrer Eltern brauchen. Dass vor dem Drücken auf den Auslöser die jeweilige Person auch einverstanden sein muss, dass von ihr ein Foto gemacht wird.

Schabers Aufgabe bestand darin, das Projekt zusammenzuhalten, die Gruppen anzuleiten und Input zu geben, wenn es mal irgendwo hakte, Methoden zu vermitteln, mit denen die gesammelten Inhalte überprüft und in verständliche Formate gebracht werden konnten. Lernen als Gemeinschaftserlebnis: Jeder und jede kann sich mit seinem/ihrem Talent und Können einbringen. Die eine weiß, wie man Fotos zurechtschneidet, der andere, wie man Screenshots aus Minecraft-Szenen erstellt. Die Elemente der Zeitung, Titel, Text, Foto hatte die Lehrerin den Schülern vorher erklärt. Auf dem Blog www.luxregional.wordpress.com, den die Klasse mit der kostenlosen Web-Software angelegt hat, ist das Endprodukt zu sehen.

Teamwork will gelernt sein

Nicht alles klappt auf Anhieb, auch Diskussionen gab es, weil man sich untereinander in einigen Arbeitsgruppen nicht gleich einig wurde: „Manchmal mussten wir länger reden und dann wurde am Ende das gemacht, was die Mehrheit in der Gruppe wollte“, erinnert sich Justin. Wichtig sei, „den anderen zuzuhören und sie zu respektieren“. Die Kinder nicken bekräftigend. Und wenn gar nichts mehr geht, ist ja noch die Lehrerin da. Dann kann sogar etwas richtig Tolles entstehen. „Wenn wir alle konzentriert arbeiten, dann kommt am Ende so etwas heraus“, freut sich Anne-Marie.

Ines Kurschat
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