Während Schüler wie selbstverständlich mit Laptop, I-Pad, Smartphone aufwachsen, tun sich Lehrer mit dem Einsatz von Medien im Unterricht schwerer

Medien in der DNA

d'Lëtzebuerger Land vom 15.03.2019

Es hat mehrere Preise gewonnen und die Nase in Sachen Medien vorn. Frotzelnd könnte man sagen: Das Lycée Aline Mayrisch auf dem Campus Geesseknäppchen ist so etwas wie der Streber der schulischen Medienerziehung. Auch dieses Jahr räumten die Schüler beim Wettbewerb Jeune Journaliste, den der Conseil de presse zusammen mit dem Erziehungsministerium und dem Zentrum fir politesch Bildung austrägt, in drei Altersstufen ab. Selbst dem Bildungsminister ist das konstant hervorragende Abschneiden nicht entgangen: Das Lycée Aline Mayrisch sei „auch im internen Betrieb weiter in Sachen Digitalisierung, weil sie früh ihre eigene Hardware aufgebaut hat.“ Da drängt sich die Frage auf: Wie machen die das?

„Uns hilft sicherlich, dass wir von Anfang an als Laptop-Schule gegründet wurden und der Umgang mit den neuen Technologien daher nicht neu ist“, erinnert sich Carole Chaine. Schulleiterin Chaine ist Kunstlehrerin und war eine der digitalen Pionierinnen. „Ich habe im Kunstunterricht digital gearbeitet und musste mich damals auch erst herantasten.“ Um Medien in der gesamten Schule den Stellenwert einzuräumen, den sie laut Schulprofil haben sollten, hat das Lyzeum früh ein Medienteam auf die Beine gestellt: Fünf Lehrkräfte aus mehreren Fachdisziplinen (Französisch, Deutsch, Geschichte, Mathe, Wirtschaft und Soziales) sind stundenweise freigestellt und stehen ihren Kollegen nach Bedarf mit Rat und Tat zur Seite.

Eine davon ist Judith Reicherzer, sie hat die Medienoption ins Leben gerufen. „Ich wusste vorher auch nicht viel über Medienpädagogik. Das Wissen habe ich mir im Laufe der Jahre angeeignet.“ Eingestellt wurde die ehemalige Journalistin, die für namhafte deutsche Zeitungen geschrieben hat und vor 17 Jahren ins Lycée Aline Mayrisch hinzustieß, zunächst, um die Schülerzeitung Periscope zu begleiten und Schülern journalistisches Handwerk, wie das Recherchieren, Einordnen und Überprüfen von Informationen, zu vermitteln. Bald fiel ihr auf: Viele Schüler machten mit ihrem Smartphone lieber Fotos von der Zeitung und schickten die Beiträge dann per soziale Plattform herum. „Judith hat antizipiert, dass die Zukunft nicht dem Papier, sondern anderen Formaten gehört“, erzählt Carole Chaine. Wir sitzen am Konferenztisch im aufgeräumten hellen Direktionszimmer.

Bevor es losgehen konnte, erzählen die beiden, mussten die Wahlluxemburger und ihre KollegInnen ein pädagogisches Konzept entwickeln, das Unterstützung der Lehrer bekam. Zur Orientierung half ein Rahmenplan Medienerziehung, der landesweit aber nie verbindlichen Charakter hatte. Ziel sollte sein, den Schülerinnen und Schülern „einen verantwortungsbewussten Umgang mit elektronischen Medien und ihren Inhalten zu vermitteln“. Ein Medienteam bietet für Jugendliche von der 7e bis zur 1ière Wahlkurse und außerschulische Projekte an, sie lernen wie journalistisches Arbeiten geht, produzieren Radiosendungen und Kurzfilme (siehe d’Land vom 23.3.2018). Schnell kam die Idee auf, neben einem Team von – freiwilligen – Medienexperten eine Online-Plattform E-laml aufzubauen, von der Lehrkräfte pädagogisch-didaktische Inhalte abrufen können. So lassen sich gemeinsame fächerübergreifende Projekte organisieren. Denn das ist eine weitere Spezialität im Aline Mayrisch: Dass oft mehrere Lehrer unterschiedlicher Fachdisziplinen gemeinsam ein Projekt planen und durchführen. Diejenigen, die nicht so technikaffin sind, können sich vom Medienteam einweisen lassen und lernen so, die Scheu vorm Unterricht mit Laptop oder I-Pad zu verlieren.

Funktionieren kann diese Zusammenarbeit deshalb, weil ein kompetentes Team von Technikern die Infrastruktur und den Maschinenpark aufgebaut hat und aus dem FF kennt. Ein Anruf reicht, wenn ein Beamer nicht funktioniert oder eine Applikation partout nicht starten will. Inzwischen hat das Lyzeum ein regelrechtes Medienlabor, mit Radio- und Fernsehstudio und Kameras, mit denen es Videos und Beiträge fürs Schulfernsehen in fast professioneller Qualität produziert, mit Unterstützung eines technischen Dienst. Schüler können die Option Medien wählen; der Andrang ist groß.

Bevor die Kamera läuft, das Mikro aufzeichnet oder die Suchmaschine beim Recherchieren hilft, erhalten alle 7e-Schüler eine Einführung in Mediennutzung. Dabei wird nicht nur notwendiges technisches Knowhow vermittelt, sondern zudem Basiswissen zu Datenschutz und Cybersicherheit. Denn wer nicht in der Medienwerkstatt ist, arbeitet im Unterricht mit dem Laptop oder mit dem I-Pad. Mittlerweile haben landesweit alle Schüler und Lehrer ein Online-Konto in einer Cloud. Sie ermöglicht es, Dateien online zu speichern und auf diese zu jeder Zeit von jedem Ort zuzugreifen. „Es ist wichtig, dass die Schüler wissen, dass sie nicht einfach Fotos nehmen und in die Cloud laden oder ins Internet stellen können“, betont Schulleiterin Chaine.“ Die Internet-Berater von BeeSecure sind gern gesehene Gäste in der Schule.

Auch mit Hilfe von Schulkonferenzen vertiefen Schüler, Lehrer und Eltern ihr digitales Wissen. Gegenstand der letzten Konferenz waren Urheber- und Autorenrechte. „Das war schon recht technisch“, sagt selbst Reicherzer. Weil sich die Jugendlichen der Medienoption über neueste Trends und Hoax austauschen, hält sich die Aufregung über Meldungen, das Momo-Challenge würde in den Netzwerken, auf Youtube und sogar in Online-Videospielen erneut die Runde machen, am Lycée Aline Mayrisch in Grenzen. „Wir wissen davon, seit es das erste Mal aufkam und nicht klar war, ob es sich um einen schlechten Scherz handelte oder ein ernstzunehmendes Phänomen“, so Reicherzer. Momo-Challenge soll ein Spiel sein, bei dem Spieler Mutproben bestehen müssen und an dessen Ende die Aufforderung stehe, sich selbst zu töten. Ein Schüler in Frankreich soll, das meldeten Medien im Winter, sich deswegen umgebracht haben. Doch Recherchen seriöser Nachrichtenorganisationen haben bis heute nicht nachweisen können, dass das „Spiel“ wirklich existiert, trotz angeblicher Todesmeldungen. Und UK Safer Internet, eine Fachstelle für Internetsicherheit, meldete Ende Februar: Bei Momo handele es sich um Fake News, und es sei die Hysterie Erwachsener, die die eigentliche Gefahr darstelle. Mit manipulierten Informationen haben sich Schüler intensiv auseinandergesetzt, sogar ihre eigene Fake News produziert. Mittlerweile sei das Thema „durch“, sagt Reicherzer. „Das können viele Schüler nicht mehr hören.“

Während für die meisten Schüler der Umgang mit sozialen Netzwerken, Applikationen zum Alltag gehört, ist das für Lehrer nicht immer der Fall. Manche haben anfänglich Hemmungen. „Mit den Medien verändert sich die Beziehung zum Schüler. Es geht weniger darum, Wissen zu vermitteln, als mit den Schülern gemeinsam Lösungen zu entwickeln und ihnen zu helfen, wie sie Informationen bewerten“, sagt Reicherzer. Der Lehrer sitzt nicht mehr vorne und die Schüler hören zu, sondern betreut individuell: Die Zeit, die er gewinnt, weil er keine Vorträge mehr hält, kann er anders nutzen. Inzwischen kämen immer mehr Lehrer auf den Geschmack. „Die merken auch, dass der Gebrauch von I-Pads für viele Schüler eine zusätzliche Motivation ist, sich einzubringen.“ Und dank des Medienteams und der Erfahrung, die viele KollegInnen schon gemacht haben, wird der Einsatz von I-Pad und Smartphone immer mehr zur Routine.

Nicht immer hinterherkommen die Eltern. Mütter und Väter hätten oft Schwierigkeiten, die richtigen Grenzen zu setzen, erzählt Carole Chaine. „Es ist wichtig, dass Eltern wissen, wie ihre Kinder I-Pad und Smartphone nutzen.“ Die Schulleiter sieht auch die Eltern in der Pflicht, wenn es um einen altersgerechten, verantwortungsvollen Umgang mit Internet und Handy gehe: „Medienerziehung geht uns alle an.“ Eltern müssten klare Regeln haben – und sich auch selbst dran halten, sagt Reicherzer. Mancher Vater, manche Mutter waren anfänglich skeptisch, ob der Medienschwerpunkt ihren Sohn oder Tochter nicht überfordern werde.

Dann erklärt die Schulleiterin oder jemand vom Medienteam geduldig, dass I-Pad, Laptop und Smartphone auch im Aline Mayrisch keineswegs immer und zu jedem Zeitpunkt zugänglich sind, dass es guten Unterricht gibt, der auch gänzlich ohne neue Technologien auskommt – und Schüler dies auch einsehen: Insbesondere bei älteren Schülern, die Smartphones besitzen und I-Pads regelmäßig nutzen, machen im Laufe der Schulzeit irgendwann die Erfahrung, dass die ständige Präsenz des Handys auch belastend sein kann, weil es ablenkt und im schlimmsten Fall die Schulleistungen darunter leiden. In vielen Klassen werden deshalb vor der Stunde die Mobiltelefone eingesammelt. Rausgeholt werden dürfen sie nur, um etwas für den Unterricht nachzuschauen. Peer-Mediatoren gehen in den Pausen umher und sprechen (jüngere) Schüler auf ihre Handynutzung an. Von einem allgemeinen Mobiltelefonverbot, wie im Sommer in Frankreich für Vorschulen, Grundschulen und weiterführenden Schulen beschlossen, halten Chaine und Reicherzer nichts: „Wir können ihnen das Smartphone wegnehmen – aber dann wüssten sie immer noch nicht, wie sie es sinnvoll nutzen können.“

Ines Kurschat
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