Vor 30 Jahren erschien mit SimCity ein Computerspiel, wie kein anderes. Gewinnen konnte man hier nicht, sondern man erhielt die Möglichkeit, die Stadt seiner Träume zu bauen. So weit, wie es die Spielregeln und Systeme erlaubten. Diese erschlossen sich Spielende nach und nach. Gleichzeitig lernten sie die Herausforderungen moderner Städteplanung kennen. Von der Energie- und Wasserversorgung hin zum Verkehrsmanagement, inklusive öffentlichen Transports und einer vereinfachten Aufteilung von Residenz-, Kommerz- und Industriezonen. Mit den Jahren folgten mehr Ebenen, weshalb Spieler und Spielerinnen sich in immer komplexere Systeme hineinarbeiten mussten. Und dadurch mehr lernten.
Dieser Lernprozess liegt zahlreichen Videospielen zu Grunde. Wie andere Medien auch, kann dieses nicht anders, als die Realität in ihren Systemen widerspiegeln. Auch Kreativität gehört zu diesen Lernprozessen hinzu. Wenn Kinder und Jugendliche mittlerweile direkt mit Minecraft angesprochen werden, lassen sich daraus mehrere Schlüsse ziehen. Zum einen erlaubt es Minecraft, sich ähnlich wie bei SimCity auszudrücken. Zum anderen kann die Gestaltung zusammen mit anderen Spielern geschehen. Das gemeinsame Erschaffen eines Projektes fördert hier soziale Komponente. Das Zusammentragen und Verplanen von Ressourcen runden die gemeinschaftliche Erfahrung ab.
Während Systeme und Spielmechaniken immer mehr Inhalte – und damit Botschaften – transportieren können, leisten traditionellere Elemente wie das Setting oder die Erzählung das ihrige. Tatsächlich profitieren sogenannte „Educational Games“ von zusätzlicher Kontextualisierung. Der Klassiker unter den Lernspielen ist Oregon Trail: Während die Mechaniken des Spieles versuchen, die verschiedene sozioökonomischen Aspekte eines Pionier-Treck zwischen den 1840-er und 1860-er zu erfassen und zu vermitteln, sind es das Setting und die Texte, welche den historischen Hintergrund vermitteln.
Das hat seine Grenzen. Zum einen können Spielmechaniken überbetont werden, wodurch die Kontextualisierung und die Wissensvermittlung leiden. Andererseits kann sich die Wissensvermittlung so sehr in den Vordergrund schieben, dass der Spaßfaktor verloren geht. Wenige Spiele schaffen diese Balance, was durch den Graben zwischen Edutainment und reiner Unterhaltungssoftware unterstrichen wird. Wie bereits erwähnt bildet das direkte Beibringen von Lerninhalten nur einen Aspekt dar: Der Blick über den thematischen Tellerrand hin zum modernen Videospiel lohnt sich hier. Tangentiales Lernen spielt eine wichtige Rolle: Die meisten Spiele vermitteln Wissen oder Inhalte nicht direkt. Stattdessen schüren sie Interesse an einem Thema. Dieses Phänomen ist kein Neues und begrenzt sich nicht auf Videospiele, sondern ist in fast allen anderen Medien anzutreffen. Videospielen bieten jedoch den Vorteil, dass sie von Natur aus interaktiv sind und Spielende die Themen direkter berühren.
Es lohnt sich also, die thematischen Paletten der modernen Videospielindustrie zu betrachten und ihre Methoden, diese Inhalte zu vermitteln. Fernab des Klischees des blutrünstigen und sich im plakativen Sexismus wälzenden Mediums hat sich eine Vielzahl an Tendenzen etabliert. Seit einem guten Jahrzehnt haben sich unabhängige Entwickler fern von Electronic Arts, Ubisoft oder Activision/Blizzard daran gemacht, ein breites thematisches Spektrum abzudecken. Tangente Lernerfahrungen gibt es hier zuhauf. Gone Home’s Erkundungstour vermittelt Offenheit, die aktuelle spanische Entwicklung Gris lässt eine/n Traumabewältigung hautnah miterleben und Celeste lässt die Spielende mit der von Panikattacken geplagten Protagonistin mitwachsen. Spiele wie diese sind mehr als bloße Mechanik, mehr als Storytelling. Sie versuchen, Erfahrungen zu vermitteln und Spielende an ihnen teilnehmen zu lassen. Als solches sind sie pädagogisch wertvoll, ohne dass dabei der Spaßfaktor oder die Herausforderung verloren geht.
Andere Spiele wagen sich vor, direkt politische Inhalte zu thematisieren. In „Papers, Please“ beispielsweise übernehmen die Spieler/innen den Grenzkontrolleur einer pseudo-sowietischen Nation. Die Obrigkeit gibt einem klare Regeln, wer herein zu lassen ist, und wer nicht. Mit jedem Tag ändern diese Regeln, teilweise durch internationale Entwicklungen. Als Passkontrolleur/in wird man jedoch mit unmöglichen Situationen konfrontiert. Beispiel: Lässt man sich bestechen, um jemanden durchzulassen, dessen Papiere nicht in Ordnung sind? Falls ja, riskiert man damit Strafen, wodurch Geld für Medikamente für die eigenen Kinder fehlt. So erfährt man die Kaltblütigkeit eines faschistischen Systems. This War of Mine setzt ebenfalls auf gewichtige Entscheidungen. Im Gegensatz zu anderen Spielen erlebt man hier Kriegsgräuel aus der Perspektive der Zivilisten. Als Zivilist/in wird man hier ganz anderen Szenarien ausgesetzt, als bei einem üblichen Egoshooter der „Call of Duty“-Reihe. Hier steht nicht mehr der Kampf im Mittelpunkt, sondern das nackte Überleben. Allein diese Wahl der Perspektive ermutigt neue Lernerfahrungen.
Man sollte den großen Herstellern hier kein Unrecht tun. Ubisofts Assassins Creed-Reihe beispielsweise spielt je nach Titel in den unterschiedlichsten Epochen der Geschichte. Die Entwickler geben sich hier redlich Mühe, Städte aus den Epochen wiederaufleben zu lassen. Aus den Spielenden werden virtuelle Zeitreisende, die Rom, Alexandria oder andere Lokalitäten und ihre historischen Persönlichkeiten im Vordergrund der Geschichte sind. Ähnliches ergab sich bereits bei der Welle von Spielen, die im Zweiten Weltkrieg stattfinden und dabei mal mehr, mal weniger historische Details und Kontexte miteinbauen. Dass zahlreiche Videospiele mittlerweile digitale Nachschlagwerke enthalten, ist eine große Chance. Sie können als zusätzliches Sprungbrett für weitere, eigene Recherchen dienen.