„Überhaupt nicht überrascht“ habe sie die Position von Bezirksstaatsanwalt Georges Oswald, sagte Hauptstadt-Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) am gestrigen Donnerstag beim „City Breakfast“ mit der Presse. Oswald hatte am Tag zuvor im RTL-Radio nicht nur erzählt, was alle schon wussten, dass 2008 die „mendicité simple“ durch ein Versehen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Er unterstrich auch, dass Rechtssprechungen, sogar in zweiter Instanz, seither bestätigt haben, dass die einfache Bettelei nicht mehr verboten ist. Das würden Gerichte und Staatsanwaltschaft weiterhin so handhaben, „egal, was andere Leute sagen“. Zumal bisher kein Justizminister einen Anlass sah, die seit 15 Jahren bestehende Rechtsunsicherheit zu beheben.
Für Lydie Polfer wiederum ist das kein Anlass, an der Rechtsgrundlage der Stater Polizeiverordnung zu zweifeln: Der Gesetzgeber habe das Verbot des einfachen Betteln ja nicht abschaffen wollen. Also gelte es noch, und „Gottseidank“ sehe Innenminister Léon Gloden (CSV) das auch so. Mit der Position des Staatsanwalts „kommen wir schon seit acht oder zehn Jahren nicht klar, und das weiß er auch“. Dass die Gerichte das ähnlich sehen, ficht die Bürgermeisterin nicht an: „Auch der beste Richter hat nicht mehr zu sagen als der Gesetzgeber.“ Und dem sei ja nur eine Nummerierung im Code pénal verrutscht
Politisch aber ist das Bettelverbot in der Hauptstadt angreifbarer geworden. Darauf deuten auch die Nuancen in den Äußerungen von Justizministerin Eelisabeth Margue (CSV) hin. Am Dienstag in der Abgeordnetenkammer fand sie noch, das Strafgesetz in diesem Punkt nachzubessern, sei nicht nötig. Im RTL-Radio gestern schloss sie das nicht mehr aus, allerdings eher im Zuge einer größeren Reform des Code pénal, und prioritär sei die nicht. Lydie Polfer wiederum wappnet sich mit Argumenten wie vor einem Jahr, als das Bettelverbot verhängt werden sollte: Die Stadt werde allein gelassen. Damals von der LSAP-Innenministerin, die die Änderung an der Polizeiverordnung nicht gutheißen wollte, und nun vom Staatsanwalt, der im Radio erklärt hat, es bringe nichts, Geldstrafen gegenüber Leuten zu verhängen, die nichts in der Tasche haben. Wer so argumentiert, meinte Lydie Polfer, stelle noch ganz andere Bereiche des Strafgesetzes in Frage.
In Frage aber steht nun auch, was die Polizei tun soll und darf. Der Innenminister wollte sich am Dienstag im Parlament nicht öffentlich zu den Einsatzgrundsätzen äußern, die sein Ministerium mit der Polizei und dem Stater Schöffenrat vereinbart hat. Ein von Grünen und Piraten beantragter huis-clos sollte diesen Mittwoch stattfinden, wegen des Wetters wurde er auf nächsten Dienstag verlegt. Fest steht mittlerweile, dass das Bettelverbot öffentlich im Kammerplenum diskutiert werden muss: Die Petition 2991, die das Betteln „zu jeder Zeit und an jedem Ort“ erlauben will, erreichte gestern Mittag 4 933 Unterschriften.