leitartikel

Hybris

d'Lëtzebuerger Land vom 19.01.2024

Seit November regieren CSV und DP nicht nur in den beiden größten Städten Luxemburg und Esch/Alzette (mit den Grünen), sondern auch im Staat. Eine derartige Konzentration von bürgerlich-konservativer Macht hat es in Luxemburg selten gegeben. Wozu sie führen kann, ließ sich in den letzten Wochen erahnen.

„Hei huet de Wieler trotzdeem eng kloer Majoritéit vu 35 Sëtz decidéiert“, sagte Premierminister Luc Frieden (CSV) beim Neijoerschinterview im RTL Télé. Er wiederholt diesen Satz bei jeder Gelegenheit, um den rechtsliberalen Kurs der neuen Regierung zu legitimieren und ihn gegenüber der Kritik der politischen Linken zu verteidigen. 35 Sitze sind in der Tat mehr, als die beiden Vorgängerregierungen aus DP, LSAP und Grünen hatten. Gleichzeitig täuschen die 35 Sitze darüber hinweg, dass das Luxemburger Wahlsystem mit seinen vier Bezirken und der D’Hondt-Berechnungsmethode zur Mandatsaufteilung die CSV unverhältnismäßig bevorteilt. In Wählerstimmen ausgedrückt, ist die neue CSV-DP Mehrheit mit 47,91 Prozent schwächer als die beiden Dreierbündnisse vor ihr (2013: 48,88 Prozent; 2018: 49,63 Prozent). Friedens Erzählung von der „kloer Majoritéit“ täuscht ebenfalls darüber hinweg, dass bis auf die CSV-DP-Koalition von 1999 (Juncker-Polfer) keine Mehrheit mit christsozialer Beteiligung weniger Sitze hatte als die aktuelle.

Vergleichsweise schwach ist auch der Premierminister selbst. Im Zentrumsbezirk wurde er nur Zweitgewählter hinter Xavier Bettel (DP), der im Gegensatz zu Frieden mehr Stimmen erhielt als Jean Asselborn (LSAP) und Gilles Roth (CSV), obwohl die im bevölkerungsreicheren Süden antraten.

Luc Frieden vergleicht seine Rolle als Premierminister mit der eines Generaldirektors, eines Betriebschefs: „Een den eng féierend Roll spillt fir déi ganz Ekipp an een den och matschwätzt, wat déi eenzel Ministere maachen.“ Schon im Wahlkampf hatte er den Wähler/innen versprochen, „mat der Fauscht op den Dësch“ zu schlagen und ein Machtwort zu sprechen, wenn es nicht so geht, wie er möchte. Damit Frieden genug Zeit hat, um alle Minister/innen zu kontrollieren, hat er sich selber nicht zu viel Arbeit aufgebürdet; hat neben dem Staatsministerium nur die Ressorts Kultus, Medien und Kommunikation übernommen; hat sich die unerfahrene Elisabeth Margue als delegierte Ministerin an seine Seite geholt.

Doch steht Luc Frieden diese autoritäre Chefrolle überhaupt zu? „Le Premier ministre coordonne l’action du Gouvernement et veille au maintien de l’unité de l’action gouvernementale“, steht in der Verfassung. Und in der königlichen Verordnung von 1857 über die Organisation der Regierung heißt es: „Le Ministre d’État surveille la marche générale des affaires, et veille au maintien de l’unité des principes à appliquer dans les diverses parties du service de l’État.“ Für ihre jeweiligen Ressorts sind die einzelnen Minister/innen selber zuständig.

Jurist/innen haben sich unseres Wissens nach bislang selten mit der Rolle des Premierministers befasst. Eine Ausnahme ist eine Abhandlung des Rechtsanwalts und LSAP-Politikers Alex Bodry, aus der hervorgeht, dass der Premierminister nicht der hierarchische Chef der anderen Regierungsmitglieder ist – das Gesetz keinen lien de subordination zwischen ihm und den anderen Minister/innen herstellt. Auch habe der Premierminister nicht das Recht, seinen persönlichen politischen Standpunkt gegenüber dem Koalitionspartner durchzusetzen, schreibt Bodry. Sein Text, der Ende der 1990-er Jahre in einem Bulletin des Cercle François Laurent veröffentlicht wurde, muss vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass er damals Minister in einer CSV-LSAP-Regierung unter Jean-Claude Juncker (CSV) war.

Tatsächlich sieht die Luxemburger Verfassung aber für den Premierminister kein Richtlinienprinzip oder geschäftsführendes Mandat, wie etwa für den deutschen Bundeskanzler, vor. Dafür fehlt ihm schlichtweg die demokratische Legitimation. Der Premierminister ist kein Kanzler und schon gar kein Präsident. Er wird weder direkt von den Staatsbürger/innen, noch vom Parlament gewählt. Wie die anderen Minister/innen wird er vom Großherzog ernannt. Er ist ein koordinierender und repräsentierender Primus inter Pares. Für Luc Frieden gilt das in noch höherem Maße als für seine Vorgänger Juncker und Bettel, die ihre direkten Kontrahenten bei Wahlen stets um Längen hinter sich ließen. Luc Frieden erhielt hingegen von allen vier Spitzenkandidat/innen – verhältnismäßig zum Gesamtresultat ihrer Partei in dem jeweiligen Bezirk, in dem sie antraten – bei weitem am wenigsten persönliche Stimmen.

Luc Laboulle
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