„Sou, dann ënnerschreiwe mer dat“, sagte Luc Frieden. Es war nur eine weitere PR-Show, als der Formateur von der CSV der Öffentlichkeit am Donnerstagvormittag im Staatsministerium die Eckpunkte des schwarz-blauen Koalitionsvertrags vorstellte, nachdem er ihn gemeinsam mit den beiden Delegationsführern Xavier Bettel (DP) und Claude Wiseler (CSV) unterzeichnet hatte. Vereidigt werden die neuen Minister/innen am heutigen Freitag, am Montag sollen sie sich zu ihrem ersten Regierungsrat treffen, um dem Koalitionsabkommen zuzustimmen, danach soll das über 200 Din-A4-Seiten lange Dokument den Abgeordneten überreicht werden, bevor Frieden am Mittwoch seine Regierungserklärung im Parlament hält, wo er den größeren Zusammenhang erklären will, in dem die darin vereinbarte Politik zur Geltung kommen soll. Die Debatte in der Abgeordnetenkammer soll am Donnerstag stattfinden. Eigentlich wollte Luc Frieden den Vertrag erst nach seiner Regierungserklärung publik machen, doch auf Druck der Medien und der Opposition hat er schließlich eingelenkt.
„Lëtzebuerg stärke fir d‘Zukunft“, lautet die gemeinsame Zielsetzung von CSV und DP, die sie in „intensiven, konstruktiven a flotte Gespréicher“ erreicht hätten, „mat vill Freed“ seien sie ans Werk gegangen und hätten „eng grouss Aarbecht“ geleistet. Friedens Enthusiasmus kann nur schwer darüber hinwegtäuschen, dass das Koalitionsabkommen ein Geschenk an seine Freunde von der Handelskammer und der Arbeitgeberverbände ist. Die Zukunft, in die CSV und DP Luxemburg gemeinsam führen wollen, ist eine von niedrigeren Betriebssteuern (der taux d‘affichage soll auf OECD-Durchschnitt gesenkt werden, der insbesondere wegen sehr niedrigen Steuersätzen in Teilen Osteuropas und in den baltischen Staaten unter dem von Luxemburg liegt), von öffentlichen Zuschüssen für Betriebe (vor allem im Hinblick auf die Energietransition) und von vereinfachten Verwaltungsprozeduren (Once-Only-Prinzip, „Silence vaut accord“-Regel). Ob diese Maßnahmen tatsächlich ausreichen werden, um „Finanzplatz, Handel, Landwirtschaft und Weinbau“ wettbewerbsfähiger gegenüber ihren Konkurrenten aus dem Ausland zu machen, ist fraglich.
Eine unternehmerfreundliche Politik wird die neue Regierung auch beim Natur- und Umweltschutz einleiten, was insbesondere Grundeigentümern, Bauherren und dem Bauwesen zugute kommen soll. Innerhalb des Bauperimeters seien die Naturschutzgesetze in den vergangenen Jahren zu streng angewandt worden. Vermutlich sollen die Kompensierungsmaßnahmen abgeschafft werden, wie es im CSV-Wahlprogramm vorgesehen war. Zudem sollen die PAG- und PAP-Prozeduren vereinfacht, die Erweiterung des Bauperimeters erleichtert werden. Details dazu gab es am Donnerstag nicht, doch die DP hatte in ihr Wahlprogramm geschrieben, sie werde „Grundstücke in Grünzonen als Bauland einstufen, das ausschließlich für öffentlichen Wohnungsbau infrage kommt und nicht auf dem freien Markt gehandelt werden kann“. Am Donnerstag sprach Frieden nicht von öffentlichem, sondern von erschwinglichem Wohnungsbau, der mindestens ein Drittel des Gesamtprojekts bei einer Perimetererweiterung ausmachen soll.
Der grüne Wohnungsbauminister Henri Kox hatte den subventionierten Wohnungsbau in einem im Sommer verabschiedeten Gesetz auf öffentliche Bauträger beschränkt. Um schneller zu bauen und das Bauwesen vor der Krise zu bewahren, wollen CSV und DP künftig die Privatwirtschaft stärker in den Bau von erschwinglichem Wohnraum einbinden. Unter welchen Bedingungen ist bislang nicht bekannt, doch es ist davon auszugehen, dass Privatpromotoren künftig auch mit staatlichen Zuschüssen rechnen werden können. Kox hatte die Beschränkung auf öffentliche Bauträger eingeführt, um zu vermeiden, dass vor allem assoziative Investoren mit öffentlich finanzierten Immobilien nach einer gewissen Ablauffrist (20 Jahren) Profite erzielen können.
Höhere Vergünstigungen erhalten künftig auch wieder private Investoren, die Mietwohnungen kaufen. DP und CSV wollen das amortissement accéléré wieder erhöhen. Der frühere DP-Finanzminister Pierre Gramegna und seine Nachfolgerin Yuriko Backes hatten die beschleunigte Abschreibung in den vergangenen Jahren gebremst und begrenzt, weil die DP es für den rasanten Anstieg der Wohnungspreise mitverantwortlich machte. Frieden und Bettel wollen nun ab Anfang 2024 das amortissement accéléré „wiedereinführen“, für ein oder zwei Jahre und mit einer noch nicht definierten Obergrenze; sie wollen den Mehrwertsteuersatz beim Verkauf von Immobilien senken, den Bëllegen Akt (Steuerkredit auf notarielle Urkunden) und die Grenze zur steuerlichen Absetzung von Schuldzinsen aus einem Immobilienkredit erhöhen – das alles, um die Bautätigkeit und den Immobilienmarkt „wieder in Bewegung“ zu bringen. Welche Auswirkungen diese Anreize auf die Wohnungspreise haben werden, bleibt abzuwarten.
Insgesamt ist die geplante Wirtschafts- und Steuerpolitik der neuen Regierung erst einmal spekulativ. Sie soll die Konjunktur wieder ankurbeln, die erhöhte Wirtschaftsleistung soll die Steuereinnahmen erhöhen und den Staatshaushalt wieder ins Gleichgewicht bringen. Dazu gehört auch eine Stärkung der Kaufkraft durch die Bereinigung der Steuertabelle in Höhe von vier Indextranchen. Allerdings beinhalten diese vier Tranchen bereits die Anpassung der zweieinhalb Tranchen, die DP, LSAP und Grüne mit den Sozialpartnern bei der Tripartite im März ausgehandelt hatten und vor den Sommerferien vom Parlament verabschiedet wurden, sodass die neue Regierung genau genommen nur eine Bereinigung der Steuertabelle von anderthalb Indextranchen vornimmt. Für die von der DP seit zehn Jahren versprochenen Individualisierung der Einkommenssteuer soll bis 2026 ein „Projekt“ vorliegen, die Steuerklasse 1A soll schon vorher entlastet werden.
Eine „Austeritätspolitik“, wie sie der bisherige Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) vergangene Woche im Tageblatt und gegenüber anderen Medien befürchtet hatte, ist laut Frieden nicht geplant. Der Revis soll sogar erhöht werden, aber nicht zu sehr, denn er soll unter dem sozialen Mindestlohn bleiben, damit die Menschen verstehen, dass „schaffe sech lount“, sagte Frieden. Eine Erhöhung des Mindestlohns ist nicht geplant, in der Welt von CSV und DP wäre das kontraproduktiv.
Sollten die steuerpolitischen Anreize nicht zu dem gewünschten Wirtschaftsaufschwung führen, könnten Sparmaßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt doch notwendig werden. Diese Hintertür ließ Luc Frieden sich offen, als er betonte, nicht jedes Detail könne im Koalitionsvertrag geregelt werden, gegebenenfalls müsse man in den jeweiligen Ministerien auf Unvorhersehbares reagieren können.
Der Trickle-Down-Ansatz war das Herzstück von Luc Friedens Wahlkampagne. Einer Liberalisierung der Gesellschaft wollte die DP sich nicht widersetzen. Diese äußert sich auch im gesundheitspolitischen Bereich, wo die beiden Regierungsparteien das Gesetz über den „virage ambulatoire“ überarbeiten wollen, das Gesundheitswesen weniger krankenhauszentriert gestalten und die Gründung privater Arztgesellschaften erlauben wollen, die Kernspintomografen und andere Großgeräte auch ohne Anbindung an ein Spital betreiben dürfen, wie Luc Frieden gestern verkündete.
In der Klimapolitik wollen CSV und DP die Energietransition gegen Umwelt- und Naturschutz ausspielen. Man wolle massiv in den Ausbau von erneuerbaren Energien, in Windräder und Transportnetze für Strom und Wärme investieren. Diese dürften nicht durch Umweltauflagen ausgebremst werden, unterstrich Frieden, der von einem „Paradigmenwechsel“ sprach.
Auch wenn die Wahlprogramme von DP und CSV sich in vielen Punkten überschnitten, konnten die stimmenmäßig gewichtigeren Christsozialen sich am Ende gegenüber den Liberalen durchsetzen. Die CSV besetzt alle wichtigen Ministerien (Staatsministerium, Finanzen, Justiz, Inneres, Polizei, Gesundheit und soziale Sicherheit), die DP konnte sich vor allem in der Bildung und teilweise in der Familienpolitik behaupten. Mit dem Wohnungsbau, der Verteidigung sowie Mobilität, Landesplanung und Integration übernehmen sie schwierige Ressorts, von denen die meisten in den vergangenen fünf Jahren von Grünen geleitet wurden. In gesellschaftspolitischen Fragen konnte die DP Zugeständnisse bei der medizinisch unterstützten Fortpflanzung (PMA) und beim Adoptionsrecht durchsetzen; die Leihmutterschaft wird zwar nicht legalisiert (die DP war dafür, die CSV dagegen), doch immerhin sollen Eltern, die sich eine Leihmutter im Ausland „leisten können“, ihr Kind künftig in Luxemburg rechtmäßig anmelden dürfen, wie Xavier Bettel ausführte. Auch bei der sogenannten „Herdprämie“ erzielte man einen Kompromiss.
Einig war man sich derweil in sicherheitspolitischen Fragen: Neben der Ausweitung der Platzverweises und der Einführung der comparution immédiate wollen CSV und DP die Gemeindepolizei einführen, die eine Einheit innerhalb der großherzoglichen Polizei werden soll, jedoch den Befehlen der Bürgermeister/innen unterstehen soll.