In vier Millionen Briefkästen in Österreich flattert dieser Tage willkommene Post vom Finanzminister. Der Brief beinhaltet einen Gutschein über 150 Euro, der mit der nächsten Strom-Jahresabrechnung eingelöst werden kann – sofern das Haushaltseinkommen für Alleinlebende maximal 55 000 Euro, für Mehrpersonenhaushalte maximal 110 000 Euro im Jahr beträgt. Damit will die österreichische Regierung gegen die absehbare Belastung der Bürger durch steigende Energiekosten angehen. Maßnahmen gegen die Teuerung, vor allem im Bereich Energie, hatte die konservativ-grüne Regierung in Wien bereits zu Jahresbeginn angekündigt - unter anderem ein Teuerungsausgleich für vulnerable Gruppen sowie die Senkung des Ökostrombeitrags. Mit dem im März beschlossenen Gutschein beziffern sich die Unterstützungen mittlerweile auf vier Milliarden Euro.
Umweltministerin Leonore Gewessler ist in Sachen Energiepolitik doppelt gefordert. Als Grün-Politikerin hat sie sich den Ausbau der erneuerbaren Energie und Bemühungen um höhere Energieeffizienz auf die Fahnen geschrieben. Zudem lässt der Krieg in der Ukraine schmerzlich erkennen, wie erpressbar Österreich ist, was russisches Erdgas betrifft. Noch 2009, als die russische Gazprom erstmals die Kräfte spielen ließ und Gaslieferungen stoppte, kam nur die Hälfte des Bedarfs aus russischen Pipelines. Heute sind es rund 80 Prozent. Dennoch gibt sie sich optimistisch. Zwar könne Österreich nicht von heute auf morgen auf Lieferungen aus Moskau verzichten, ein gemeinsamer „Kraftakt“ werde jedoch ermöglichen, die Abhängigkeit bis 2027 zu beenden. Die Umweltministerin, die im Türkis-Grünen Kabinett in Wien aktuell zu einer der profiliertesten Figuren avanciert, setzt dabei auf drei Säulen: Verzicht, also eine Reduktion des Gasverbrauchs, wo immer möglich, etwa im privaten Bereich beim Einbau von Gasthermen. Ausbau in Hinblick auf Biogas und grünen Wasserstoff. Schließlich Diversifizierung – etwa, auch ethisch äußerst umstritten, den Import von Flüssiggas. In einem Notfall würde der österreichische Energielenkungsplan in Kraft treten und die Haushalte schützen, die dann primär mit Gas versorgt würden. Erstmals wurde auch beschlossen, für die kommende Heizsaison Gasreserven anzulegen; bis November sollen die Speicher zu 80 Prozent gefüllt werden.
Gewessler setzt auf eine gemeinsame europäische Vorgangsweise – und positioniert Österreich im Gegenzug als Partner in einer gemeinsamen Haltung gegenüber Russland: Wien werde ein Öl-Embargo gegen Russland mittragen, verkündete die Ministerin Anfang Mai. Österreich legt hier eine Kehrtwende hin, denn in den vergangenen Jahren waren Signale österreichischer politischer wie wirtschaftlicher Vertreter gegenüber Moskau eher von der Ambition getragen, beim russischen Präsidenten Gefallen zu finden. Kann der Weg in die freiwillige Weg in die Abhängigkeit vom russischen Gas noch als der EU-Gründungslogik folgend argumentiert werden, über wirtschaftliche Verflechtungen die politischen Beziehungen zu stabilisieren, so erzählen Begleiterscheinungen eine andere Geschichte.
Wie Deutschland in Ex-Kanzler Schröder, so hat auch Österreich etwa in Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel einen „Putin-Versteher“ im Aufsichtsrat eines russischen Staatskonzerns, in dem Fall Lukoil, vorzuweisen. Auch die Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer und Christian Kern sowie mehrere Minister waren ebenso wie Manager in der Bau- und Energiebranche in staatsnahen Unternehmen, bei Beratern oder Instituten zumindest häufige Gäste; die 1956 der aus der „Sowjetischen Mineralölverwaltung“ hervorgegangene, heute teilstaatliche OMV hegt historisch bedingt mehr einschlägige Verflechtungen als Vorbehalte. Irritierend wirkt das Verhältnis speziell der Grazer Kommunistischen Partei, die seit Herbst die Bürgermeisterin in der Stadtregierung stellt, zu Russland und der Ukraine. Medien zeigten einen KPÖ-Vertreter beim Besuch des Grabes des separatistischen Kriegstreibers in der Ostukraine 2019. Mit Beginn des Krieges tat sich die Grazer KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr schwer, klar Position gegen den Angriffskrieg zu beziehen.
Das originellste Zeichen einer speziellen Beziehung nach Osten setzte die damalige Außenministerin Karin Kneissl im August 2018: Die Politikerin lud zu ihrer Hochzeit niemand Geringeren als Vladimir Putin ein, der auch prompt kam, was sie ihm mit einem Tanz und einem tiefen Knicks dankte. Kneissl, die zwar kein FPÖ-Parteimitglied war, aber den Posten für die Freiheitlichen bekleidete, illustrierte damit spektakulär das stets gesuchte Naheverhältnis der extremen österreichischen Rechten zu Moskau.
Dass Kanzler Karl Nehammer zuletzt mit Verweis auf die vermeintlich hilfreiche Position Österreichs als neutraler Staat mit einer Reise nach Moskau einen schlecht abgestimmten Alleingang hinlegte, wurde in der österreichischen politischen Landschaft größtenteils kritisiert. Nur wenige fanden, wie der Koalitionspartner diplomatisch formulierte, „es könnte einen Versuch wert“ gewesen sein. Die vom Ex-Bild-Chefredakteur begleitete Aktion sollte, so die verbreitete Vermutung, eher dem eigenen Image und Profil dienen.