Die Faszination für nordische Mythen ist ungebrochen. Nirgendwo zeigt sich dies deutlicher als in ihrer popkulturellen Rezeption, wo sie eine beständige Wiederkehr erleben, nun durch den amerikanischen Regisseur Robert Eggers. Einmal mehr nutzt er die Assoziation und Ordnung stiftenden Muster des Genrefilms, um daraus seine ganz eigenen Werke zu schaffen: In The Witch (2015) und The Lighthouse (2019) bediente er allenfalls die Standardformeln des Horrorfilms. Sein neuer Film The Northman ist im Modus des Abenteuerfilms erzählt.Dies ist allerdings mehr ein Vorwand um darüber hinaus sein ganz persönliches, stilistisch eindrucksvolles Programm auszubreiten. Unter diesem Aspekt ist sein neuer Film The Northman dem Film Valhalla Rising (2009) des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn beinahe seelenverwandt. In beiden Filmen geht es vordergründig schlicht um Rache: Als der abtrünnige Bruder Fjölnir (Claes Bang) den König Aurvandil (Ethan Hawke) tötet, sinnt sein Sohn auf Vergeltung. Als erwachsener und kampferprobter Mann kehrt Amleth (Alexander Skarsg ård) in seine Heimat zurück, um den Mord an seinem Vater zu rächen und seine Mutter Gudrún (Nicole Kidman) zu befreien. Basierend auf der isländischen «Amletus»-Sage, die William Shakespeare als Vorlage für «Hamlet» diente, schafft Eggers einen Wikingerfilm, der weit entfernt ist von den romantisierten Darstellungen der Wikingerzeit, wie sie etwa die Fernsehserien Vikings oder deren Nachfolger Vikings: Valhalla auf Netflix abbilden.
Antrieb der Handlung ist die Motivation der Figuren, sie denken und handeln nach der Vorstellung eines einfachen, schicksalsbesiegelten Weltbildes von Gut und Böse, von Rache und Sühne. Bei Eggers verhalten sich Gut und Böse jedoch nicht mehr wie Ursache und Wirkung, sondern heben sich gegenseitig aus. Es gibt in The Northman mithin kein Gut und Böse mehr, nurmehr Brutalität. Der Held des Films agiert brutal, weil die Welt in der er lebt brutal ist. So dünn diese Handlung und das zentrale Themenfeld auch sind: Diese Dürftigkeit ist notwendig für das Ausfächern einer archaischen Untergangsstimmung. Alles drängt auf die schicksalhafte Konfrontation. Immer auch geht es um die Bestialität, um das Tier im Manne, welches zu exzessiven Gewalttaten führt. Das sind lauthals brüllende Männer, nackt und blutend, die entschlossen sind, sich gegenseitig den Untergang zu bereiten – ein Finale, das sich förmlich in die Netzhaut einbrennen will.
Wie bei Eggers üblich, gibt es keine verlässlichen Fixpunkte zur Bestimmung eines spezifischen Filmgenres: Nie ist sicher auszumachen, ob das Übernatürliche, das sich da Bahn bricht, innerfilmischer Plausibilität entspringt oder doch nur in den Köpfen der Filmfiguren stattfindet und somit Ausdruck einer subjektiven Wahrnehmung ist. Das nordische Mythenrepertoire, aus dem ausgiebig zitiert wird, stellt dabei wichtige Bezugspunkte dar. Immer wieder nimmt sich der Film Zeit für nahezu entdramatisierte Szenen, die insbesondere der Praktizierung von Riten oder auch der Darstellung des Übernatürlichen gelten. In erzählökonomischer Hinsicht dürfen sie jedoch als überflüssig gewertet werden. Eben darin liegt das besondere erzählerische Augenmerk des Films: In Eggers The Northman geht es nicht zuvorderst um die gebannte Verfolgung der Handlung, noch nicht einmal so sehr um die Anbindung an diesen Helden, nein, es geht vielmehr um die sinnliche Filmerfahrung, das Eintauchen in eine Erlebniswelt von Archaik und Schicksalsschwere. Dies gelingt dem Regisseur mittels einer spezifischen Stilistik: Ungebrochene Kamerafahrten und lang andauernde statische Einstellungen dienen der möglichst breiten Einnahme der visuellen Ebene, die mit einem extremen und doch reduzierten Sounddesign auf auditiver Ebene kollidiert. Die Filmmusik von Robin Carolan und Sebastian Gainsborough, die sich im Wesentlichen auf Drones, also tiefe Bassschläge, limitiert, ist betörend und beängstigend zugleich und schafft einen beinahe meditativen Klangteppich – eine filmische Sinnesreise zum Vorhof von Walhalla.