Ist sie das? Die zweite Welle der Corona-Pandemie? Die Anzahl der registrierten Infektionen stieg in den vergangenen Tagen wieder an. Allein in der vergangenen Woche kamen in Deutschland mehr als 8 500 neue Fälle hinzu. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Entwicklung „besorgniserregend, aber noch beherrschbar“. Damit sie nicht aus dem Ruder läuft, versucht die Bundesregierung nun gemeinsam mit den Bundesländern eine Strategie zu entwickeln, um einen neuerlichen Lockdown zu vermeiden. Bereits am Montag trafen sich die Gesundheitsminister der Länder, am Dienstag tagte in Berlin der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD, gestern dann das Spitzengespräch zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder. Ziel ist es, gemeinsame Regeln unter anderem für private Feiern und eine Maskenpflicht aufzusetzen, die Vorgaben für die Corona-Test zu vereinheitlichen und das Kurzarbeitergeld zu verlängern.
Familienfeiern tragen neben Reise-Rückkehrer/innen besonders zur Ausbreitung des Virus bei. Bisher gibt es keine einheitliche Regelung, die im gesamten Bundesgebiet gilt: Im Südwesten und in Berlin etwa dürfen gegenwärtig bis zu 500 Personen zusammenkommen. In Hamburg gilt bei privaten Feiern in der eigenen Wohnung eine Obergrenze von 25 Personen und in angemieteten Räumen, in denen auch Alkohol ausgeschenkt wird, von 50 Personen. Mehrere Länder sind grundsätzlich für eine allgemeine Obergrenze, andere lehnen dies ab, Baden-Württemberg und Bayern ziehen eine Verschärfung in Erwägung.
Heftigen Gegenwind bekam CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zu Wochenbeginn für ihren Vorschlag, eine generelle Maskenpflicht auch am Arbeitsplatz einzuführen: Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) etwa verwies auf die schon zu Beginn der Corona-Krise erstellten Arbeitsschutzregeln. Auf dieser Grundlage seien in vielen Unternehmen „sehr konkrete, sehr spezielle und richtige Regelungen getroffen worden“, die ausreichten. Schon zuvor hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund den Vorschlag Kramp-Karrenbauers als „blindem Aktionismus“ abgetan. Doch auch in der eigenen Partei herrscht Unverständnis: Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) stellte fest, dass Statistiken zufolge lediglich sechs Prozent der Neuansteckungen auf den Arbeitsplatz zurückgingen. Er gehe davon aus, dass dieser Bereich gut geregelt sei und dass es dort wirksame Schutzkonzepte gebe. Einen weiteren Regelungsbedarf sieht er nicht. Allenfalls Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigt bisher Sympathien für Kramp-Karrenbauers Plan: „Ich werde mich sehr dafür einsetzen, eine einheitliche Maskenpflicht zu haben, und zwar nicht nur in der Bahn“, sagte er im Deutschlandfunk.
Aufgrund der jüngst eingeführten Corona-Pflichttests für Reiserückkehrer aus Risikogebieten – zu denen bis vor kurzem auch Luxemburg zählt – geraten die medizinischen Labore zunehmend an ihre Grenzen. Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci teilte mit, dass in der deutschen Hauptstadt die Testkapazitäten weitgehend ausgeschöpft seien. „Wir sind jetzt bei 93 Prozent“, sagte sie. Es fehle in den Laboren zunehmend auch an Verbrauchsmaterialien. Laut einem Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums werden pro Woche rund 875 000 Corona-Tests gemacht. Die Labore hätten eine theoretische Kapazität von rund 1,2 Millionen. Gesundheitsminister Spahn schlägt nun vor, die Pflichttests wieder abzuschaffen. Stattdessen sollen Rückkehrer aus Risikogebieten verpflichtet werden, sich umgehend in Quarantäne zu begeben. Vorzeitig könnten sie daraus nur dann entlassen werden, wenn sie frühestens fünf Tage nach der Einreise einen Test mit negativem Ergebnis vorweisen können.
In punkto Kurzarbeitergeld drängen die Sozialdemokraten darauf, die Regeln zum Bezug deutlich zu verlängern. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant, das Kurzarbeitergeld aufzustocken und die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge bis März 2022 zu verlängern. Die Höchstbezugsdauer könnte zudem von zwölf auf 24 Monate steigen – wobei dies womöglich von einer Qualifizierung der Beschäftigten abhängig gemacht wird. Die Beiträge der Arbeitgeber zu den Sozialkassen sollen den Arbeitgebern bis März 2021 komplett erstattet werden und danach nur noch zu 50 Prozent – sofern sie ihre Mitarbeiter nicht weiterbilden. Die Verlängerung der Regeln zur Kurzarbeit ist im konservativen Lager nicht unumstritten. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat Wünsche angemeldet: Er will die Überbrückungshilfen für den Mittelstand wie für Gastronomen, Hoteliers, Reisebüro-Betreiber sowie Selbstständige aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche bis Ende des Jahres verlängern. Ansonsten würden diese Ende August auslaufen – wobei rückwirkende Anträge bis Ende September möglich sind.
Mit diesem Maßnahmenpaket will die Bundesregierung nun das Land gegen die weiteren Auswirkungen der Pandemie wappnen. Ob die Strategie von Erfolg gekrönt sein wird, ist auch davon abhängig, inwieweit das Thema in den kommenden Bundestagswahlkampf einbezogen werden wird. Auch wenn erst im September nächsten Jahres Wahlen anstehen, versuchen heute schon viele Politikerinnen und Politiker Versprechen zu machen und Erfolge für sich zu verbuchen.