Kino

Panahi on Panahi

d'Lëtzebuerger Land vom 17.02.2023

Es wäre kurzsichtig, anzunehmen, Jafar Panahis Filme seien nur Zeitdokumente, die die Umstände im heutigen Iran beleuchten. Panahis Filme gehen weiter. Sie stehen in einem unweigerlich engen Widerstreit mit diesen Umständen und beleuchten sie zum einen. Zum anderen aber bringen die Umstände Panahis Filme erst hervor. Ihre überaus subversive Qualität hat Panahis Regiekarriere Anfang der 2010er-Jahre neuen Aufschwung verliehen. Er drehte in etwas mehr als zehn Jahren fünf Spielfilme, die ihm zu großer internationaler Anerkennung auf Filmfestivals in Cannes, Venedig und in Berlin verhalfen, wo Taxi Teheran 2015 den Goldenen Bären gewann und zum wohl bekanntesten Film des sogenannten Neuen Iranischen Kinos wurde.

Während Panahis letzter Film Drei Gesichter (2018) ein Seitenhieb auf die iranischen Behörden, eine Liebeserklärung an das Kino und die Frauen sowie das kritische Porträt einer traditionalistischen Gesellschaft war, dem man die Selbstironie deutlich anmerkte, ist sein neuer Film No Bears in seiner desillusionistischen Haltung ein noch pessimistischeres und bittereres Werk. Dass Panahi erst vor rund zwei Wochen in Teheran aus der Haft entlassen wurde, spricht umso mehr für die politische Brisanz seiner Filmstoffe.

Dabei macht die Eröffnungssequenz zunächst den metareflexiven Charakter des neuen Werkes stark: Wir sehen Bilder einer belebten Straße. Menschen sitzen in einer Kneipe, Musiker sammeln Geld. Da erscheint ein Paar, Zara (Mina Kavani) und Sinan (Sinan Yusufoglu). Ein Wortgefecht über eine geplante Flucht nach Frankreich entbrennt, und plötzlich vernehmen wir eine weitere, ganz entfernte Stimme. Es ist die eines Filmregisseurs, der seine Schauspieler auf Distanz via Internetverbindung dirigiert. Jafar Panahi spielt einen Regisseur namens Jafar Panahi, der sich in einem Dorf irgendwo nahe der türkischen Grenze untergebracht hat und von dort aus Anweisungen nach Teheran für ein Filmprojekt gibt. Zu diesem selbstreflexiven Handlungsstrang über die künstlerische Tätigkeit in einem oppressiven System gelangt eine weitere Handlungslinie, die vom fremden Eindringling in ein geregeltes Gesellschaftsgefüge erzählt. Davon, wie Panahi in einen Konflikt unter den Dorfbewohnern hineingezogen wird, wo ein Streit zweier junger Männer um eine Frau einige kuriose Traditionen offenlegt, Panahi mithin aufgrund seiner Videokamera in Mitverantwortung gezogen wird. Der iranische Regisseur erzählt all dies mit gewohnt verschmitztem Augenzwinkern, ohne dabei seine Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Noch nicht einmal, wenn es da unter den Dorfbewohnern heißt, Bären würden in der nahen Umgebung ihr Unwesen treiben – ein leiser Hinweis auf eine sehr abergläubische, verengte Weltsicht, die auch Ausdruck der Bestätigung alles Geregelten ist.

Indem er sich selbst unter dem Namen „Panahi“ inszeniert, legt der Regisseur die effektvolle Grundlage für einen sehr hybriden Film, der irgendwo zwischen Dokumentarfilm, Tagebuch, Autofiktion und politischem Kino angesiedelt ist. Gleichzeitig verliert er nie die so werkkonstante Dimension seines Filmschaffens aus dem Blick: die iranische Gesellschaft gefühlvoll, aber schonungslos zu befragen. Seine besondere Subversion bezieht No Bears aus einer äußerst fragilen, jedoch konzentrierten und ruhigen Selbstbetrachtung. Sie reflektiert über das Wesen von Bildern und über die Beziehung zwischen Bild und Abbild. Ferner über die Kunst, die mit äußeren Umständen in Konflikt gerät, und die Macht des Bewegtbildes. In einem größeren Zusammenhang kommt Panahi auf die Rolle des Kinos und die des Filmkünstlers zu sprechen. Diese Vielschichtigkeit bildet das zentrale Kraftfeld seines neuen Werks, das von Autothematik und den Oszillationen zwischen Dokumentar- und Fiktionselementen getragen wird – Elemente, die zu integralen Bestandteilen der reichen Textur dieses außergewöhnlichen Films werden.

Marc Trappendreher
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